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Peter Tobiassen: Das Verbot von Zwangs- und Pflichtdiensten - national und international01.03.2004

Gelöbnix 1999 Berlin

Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht wird in dem in diesem Jahr zu wählenden Bundestag ein wichtiges Thema sein. Hochgehalten wird die Idee vor allem von denen, die - wie man so schön sagt - von keiner Sachkenntnis getrübt sind. Abzüglich Dienstausnahmen und Untaugliche müßten jedes Jahr mindestens 600.000 Dienstpflichtige als ungelernte und zum größten Teil unmotivierte Hilfsarbeiter im sozialen, Umwelt und Gesundheitsbereich untergebracht werden. Das bedeutet eine vielfache Belastung statt Entlastung für die Berufstätigen in diesen Bereichen. Mindestens 15 Milliarden Mark müßte der Bund aufwenden, um die Dienstpflichtigen in den Dienst zu bringen. Die Einführung einer Dienstpflicht hätte zur Folge

* die Verlängerung der Ausbildungszeit, die man gerade verkürzen möchte, und den späteren Berufseinstieg;
* die Erhöhung der Bundesausgaben in einer Zeit, in der Milliarden gespart werden müssen;
* die Abnahme der Attraktivität der Arbeit im sozialen und Gesundheitsbereich, in dem ausgebildete Kräfte dringend gesucht werden.

Zur nötigen Sachkenntnis gehört auch, sich über die rechtlichen Grundlagen für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht klar zu werden. Die Bundesrepublik Deutschland könnte nur um den Preis der internationalen Isolierung eine Dienstpflicht einführen. Rund ein Dutzend internationale Vereinbarungen von der UNO-Menschenrechtserklärung bis zur KSZE-Schlußakte müßten gekündigt werden.

In Art. 25 GG ist festgelegt: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes." Es muß also, wenn über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert wird, nicht nur Art. 12 GG zur Kenntnis genommen, sondern auch beachtet werden, was internationales Recht vorschreibt. "Jeder hat das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen." (Art. 12 Abs. 1 GG) Das ist völlig selbstverständlich, selbst wenn die Arbeitsämter die Arbeitsmarktprognosen in der Berufsberatung sehr hoch hängen und eine düstere Vision zeichnen nach dem Motto: Dieser Beruf hat keine Zukunft. Wer einen Beruf ohne Zukunft möchte, wird nicht gehindert, ihn zu erlernen.

"Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht." (Art. 12 Abs. 2 GG) Das ist genauso selbstverständlich. Und es hat seinen guten Grund. Nach den Erfahrungen mit Lagern unter der Torüberschrift "Arbeit macht frei" und nach der Entwicklung des zunächst freiwilligen Arbeitsdienstes im Jahre 1931 in der Weimarer Republik zum Zwangsarbeitsdienst der Nazis wurde diese Vorschrift zu einem wichtigen Recht im Abschnitt 1 "Die Grundrechte" des Grundgesetzes. Die Einschränkung dieser Freiheitsbestimmung ist nur in Katastrophenfällen für Leib und Leben des Nächsten von Bedeutung: Unter "herkömmliche allgemeine, für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht" wird das Sandsäckeschleppen gegen Hochwasser, das Wasserpumpen bei Feuer, die Streupflicht bei Glatteis verstanden. Es wurde mit dem Grundgesetz gerade nicht an den Arbeitsdienst der Nazis angeknüpft, sondern an das, was nötig ist, um in Katastrophen und Notfällen Hilfe zu haben.

"Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig." (Art. 12 Abs. 3 GG) Zwangsdienst ist sonst - außer im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht - eben nicht zulässig. Diese drei Aussagen des Artikel 12 Grundgesetz sind von wünschenswerter Klarheit. Eigentlich müßten schon sie die Diskussion - wenn sie denn auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stattfindet - zu einem klaren "Nein" bei jeder Überlegung zur Einführung von Zwangs und Pflichtdiensten in Deutschland führen. Aber der Bundestag hat die Geschäftsgrundlage für sein Handeln, das Grundgesetz, zur Disposition gestellt. Werden politische Vorstellungen in die grundgesetzlichen Schranken verwiesen, werden eben die Schranken beseitigt, zum Nachteil der Freiheit. Alles nach dem Motto: Politisch Verfolgte genießen Asyl, vorausgesetzt, sie landen am Fallschirm in Deutschland. Das Grundgesetz ist nicht mehr die Grundlage politischen Handelns, sondern das Objekt der Machtbegierde. Um so wichtiger wird der Blick auf internationales Recht.

1973 wurde auf Seite 1534 im Bundesgesetzblatt folgendes veröffentlicht: "Niemand darf gezwungen werden, Zwangs oder Pflichtarbeit zu verrichten." Damals erlangte aus den Menschrechtspakten der UNO der "Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte" vom 19.12.1966 Gesetzeskraft in der Bundesrepublik Deutschland, wurde Bestandteil des Bundesrechtes, geht den Gesetzen vor, erzeugt unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebietes. Auch in der Folge dieser Vorschrift werden eine Reihe von Ausnahmen aufgezählt, die es zu beachten gilt, wenn über eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland diskutiert wird. Zunächst wird - wie im Grundgesetz - gerichtlich verordnete Zwangsarbeit im Rahmen einer Verurteilung wegen Straftaten zugelassen. Weiter werden der Wehrdienst und der für Kriegsdienstverweigerer vorgesehene Ersatzdienst zugelassen sowie Dienstleistungen im Falle von Notständen oder Katastrophen, die das Leben und das Wohl der Gemeinschaft bedrohen. Und es werden jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehören, zugelassen. "Normale Bürgerpflicht" heißt wenn man nicht am Reichsarbeitsdienst anknüpfen will im "sauberen" Deutschland: Bürgersteigreinigungspflicht. Und von der haben sich die meisten Bürgersteiganlieger freigekauft: Bürgersteigreinigungsfirmen oder Hausmeister übernehmen diese Aufgabe. Schon 1956 (Bundesgesetzblatt Seite 641) erlangte das "Übereinkommen über Zwangs und Pflichtarbeit" vom 28.06.1930 Gesetzeskraft in Deutschland. In Artikel 2 wird als "Zwangs oder Pflichtarbeit" jede Art von Arbeit oder Dienstleistung definiert, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung stellt. Als Ausnahmen werden wiederum gerichtlich verhängte Zwangsarbeit als Strafe, militärische Dienste, die üblichen herkömmlichen Bürgerpflichten und die Hilfepflicht bei Notständen aufgezählt. Drei Jahre später wurde das "Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit" vom 25. Juni 1957 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (Seite 442). Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete sich, die "Zwangs oder Pflichtarbeit zu beseitigen und in keiner Form zu verwenden ... als Methode der Rekrutierung und Verwendung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung."

Wann immer in der Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht erläutert wird, man könne sonst die sozial und ökologisch notwendigen Arbeiten in unserer Gesellschaft nicht finanzieren, diskutiert man gegen geltendes Recht, das in der Bundesrepublik gar nicht geändert, sondern allenfalls international weiterentwickelt bzw. im Sinne der Dienstpflichtbefürworter zurückentwickelt werden kann. Die Bundesrepublik Deutschland würde drei ratifizierte Übereinkommen auf der Ebene der Vereinten Nationen und zwei Übereinkommen auf der Ebene der Internationalen Arbeitsorganisation kündigen. Diese Übereinkommen wurden von den Staaten der Erde auch als Abwehr gegen das Unrecht verstanden, das Deutschland unter gewählter Nazi Regierung mit Krieg und Völkermord über die anderen Völker brachte. Selbst die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948 hätte dann keine Geltung mehr in Deutschland. Am 05.12.1952 ratifizierte die Bundesrepublik Deutschland die "Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten" des Europarates. Auch darin läßt die Formulierung nichts zu wünschen übrig: "Niemand darf gezwungen werden, Zwangs oder Pflichtarbeit zu verrichten." Ausnahmen sind - wie auf UNO-Ebene - durch Verurteilung wegen Straftaten, für den Militär und Militärersatzdienst, Notstände und normale Bürgerpflichten zugelassen. Wer wollte wohl beschließen, daß die "Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten" in Deutschland nicht mehr gelte. In einem demokratischen Staat dürfte das wohl nicht denkbar sein.

aus: 4/3 Fachzeitschrift zu Kriegsdienstverweigerung, Wehrdienst und Zivildienst Nr. 1/1994, Seiten 6-8


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