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Besuch bei einem Dinosaurier28.07.2012

zc-3/2012 Titel: Atomwaffenfrei.jetzt

Internationale Radtour für Atomwaffenfreiheit zum Nato-Hauptquartier in Brüssel

Wer kennt es noch, das uralte Plakat? Ein roter Saurier und daneben der Text: Ausgestorben - zu viel Panzer, zu wenig Hirn. Und wie ein schwerfälliger Saurier präsentiert sich das Nato-Hauptquartier in Brüssel den Radlern von „Global Zero Now“ am 4. Juni. RadlerInnen und Begleitfahrzeuge sind zwar pünktlich da, dürfen aber im Regen warten; „nein, die Begleitfahrzeuge dürfen nicht auf den Besucherparkplatz“ usw. Schließlich macht ein Brüsseler Zivilpolizist, der überhaupt nicht gut auf die Nato-Security-Guard zu sprechen ist, dem Spuk ein Ende: Genau vor der Haupteinfahrt zur Nato weist er uns ein wegen Bauarbeiten unbefahrenes Straßenstück an, dort dürfen wir alles abstellen und auch die Installation „Nuclear Grass“ auslegen.

Im Nato-Hauptquartier wird unsere Gruppe zunächst von der Bürochefin des Generalsekretärs Rasmussen empfangen. Wolfgang Schlupp-Hauck, einer der Koordinatoren der Kampagne atomwaffenfrei.jetzt, überreicht mit einigen Erläuterungen die Mappe mit den Unterschriften der Bürgermeister für den Frieden, die unsere Forderung nach sofortiger Vernichtung aller Atomwaffen - daher „Global Zero Now“ - unterstützen.

Das anschließende Gespräch mit den Nato-Botschaftern der Niederlande, Belgiens und Deutschlands gibt wenigstens ansatzweise die Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch, wenngleich die Beiträge der Diplomaten sich doch weitgehend im Bereich vorgestanzter Formulierungen bewegen. Allerdings: Zumindest im Kreise der Botschafter erkennt man die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Bewegungen, wenn es darum geht, neue Aspekte - hier also die Forderung nach völliger atomarer Abrüstung - in die politische Debatte einzuführen. Andererseits verweisen die Herren auf die Schwerfälligkeit einer Riesenorganisation (Dinosaurier!). Was sie nicht erkennen (wollen), das ist die Dominanz der USA bei allen Entscheidungen der Nato. Da können Parlamente und der Deutsche Bundestag beschließen, was sie wollen: Wenn es die Militärs der USA für richtig halten, ihre Atombomben in Europa zu behalten oder gar zu modernisieren, dann wird das so durchgezogen.

Etwas andere Gesichtspunkte betonte der Journalist (und DFG-VK-Mitglied) Andreas Zumach bei seinem Vortrag, den er bei mehreren Gelegenheiten während der internationalen Radtour hielt. Es sei durchaus auch die Bundesregierung, die sich einer atomaren Abrüstung in den Weg stelle, wenn sie an der so genannten „atomaren Teilhabe“, einem Relikt nicht aus der Saurierzeit, sondern aus der Zeit des kalten Krieges, festhält.

Noch wichtiger ist für Zumach ein weiterer Punkt: Was etwas verharmlosend als die „Modernisierung“ von US-Atombomben daherkommt, ist in Wirklichkeit eine qualitative Verbesserung dieser Waffen im Sinne der tatsächlichen Einsetzbarkeit. Wie das? Aller Voraussicht nach sollen die veralteten „großen“ Atombomben durch kleinere, aber wesentlich präziser steuerbare Waffen ersetzt werden, was ihren Einsatz auf dem „Gefechtsfeld“ (oder vielleicht gegen eine iranische Atomfabrik?) wahrscheinlicher macht.


Heute hier, morgen dort

Es liegt in der Natur einer derartigen Radtour, dass die einzelnen Tagesetappen ganz unterschiedlich ausfallen: Einmal ein schlichter Campingplatz in der Eifel, keine örtliche Friedensgruppe, kein Abendprogramm; dann wieder Begrüßung auf dem Marktplatz mit „Pauken und Trompeten“, kaum Zeit zur Erholung und abends gleich eine Vortragsveranstaltung in einem Gemeindehaus. Das war zuweilen schon anstrengend.

Doch bemerkenswerter waren die unterschiedlichen Gegebenheiten für die lokalen Gruppen. So hatte das Vredesburo Eindhoven die Betreuung unserer Gruppe mit ganz wenigen Personen geleistet. Und auch bei unserer Fahrt zum Militärflugplatz Volkel waren wir praktisch unter uns, das Informationszentrum der Basis war geschlossen, schweigende Wachsoldaten standen ein paar Meter hinter dem Tor, und die Übergabe einer Kopie unserer Forderungen an den Kommandanten war nicht möglich. Dafür gab es in Volkel und Umgebung eine ausführliche Presseberichterstattung mit Fotos schon in den Tagen vor unserer Anreise. Übrigens: Unser Schreiben wurde schließlich doch noch übergeben - ein netter Fahrradpolizist, die einzige Amtsperson an unserer Seite, nahm die Mappe an sich und versprach, sie dem Kommandanten zuzuschicken.

Ganz anders im belgischen Kleine Brogel: Die Gruppen von Pax Christi und Vrede hatten im Städtchen Peer eine ordentliche Anzahl von Aktiven aufgeboten, sicher auch begünstigt durch den Samstagstermin. Gute Unterhaltung lieferten uns die Bewacher der Luftwaffenbasis, die alles aufgeboten hatten, was das Militär so hat: vom Panzerwagen bis zum militärischen Schäferhund. Und diese ganze Wachmannschaft bewegte sich, während wir das Gelände umrundeten, fast ständig parallel zu uns an der Innenseite des Zauns entlang. Man hat dort wohl Erfahrung mit Friedensmenschen, die wissen, wie man einen Zaun aufschneidet¡ Der stellvertretende Basiskommandant hingegen war ganz locker; Wolfgang Schlupp-Hauck erklärte ihm in aller Ausführlichkeit den Sinn unserer Aktion und konnte ihm schließlich auch durch den Zaun hindurch unsere Post überreichen.


„Nuclear Grass“

Diese Kunstraseninstallation von Annamalt und Edward Naujok hatten wir ab Büchel bis zum Ende der Reise dabei. Sie zeigt in den grünen Rasen eingebrannt die teilweise grotesk verrenkten Umrisse von toten Menschen und Tieren, in der Mitte ein Fadenkreuz. Die Umrisse können (bei trockenem Wetter) noch mit Holzasche gefüllt werden, und wenn der Wind weht... Eine im Grunde ganz einfache, doch eindrucksvolle Installation, die wir mehrere Male einsetzen konnten, besonders bei unseren Aktionen an den Militärflugplätzen.


Wie weiter?

Da gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. Manche der Teilnehmer bedauerten, dass die Tour oft - wegen der schöneren Radwege - Dörfer und Städte umgangen hat. Ihnen wären kürzere Tagesetappen lieber gewesen, um möglichst in jedem Ort einen Infostand zu errichten und reichlich Flugblätter zu verteilen. Andere träumen von einem Radmarathon, welcher an einem Tag Büchel mit Volkel und Kleine Brogel verbinden könnte. Und wieder andere setzen auf verstärkte Lobbyarbeit, um das Thema bei den Politikern auf die „Agenda“ zu bringen. Mit der Entschließung des Bundestags vom März 2010 ist erst ein Anfang gemacht, denn die Bundesregierung tut nichts in Sachen Atomwaffenabzug, und jetzt sind alle mit der Euro-/Finanz-/Bankenkrise beschäftigt.


Und was macht der Nato-Saurier?

Er phantasiert. Im Nato-Gebäude in Brüssel fiel mir ein Selbstdarstellungsplakat auf. Der Text: We provide security for the 21st century. Ich fürchte, dass der Dinosaurier davon sogar überzeugt ist.

Ernst Rattinger ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Mittelbaden.
für ZivilCourage 3/2012

Mehr Informationen: http://www.atomwaffenfrei.de

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