Dies ist das Archiv der alten DFG-VK-Webseite. Sie war von 2007 bis 19. Oktober 2015 online. Schau Dich gern um.
Die aktuelle Seite findest Du unter www.dfg-vk.de.

»Im Grunde ist das an den Haaren herbeigezogen«12.05.2012

www.jungewelt.de

Die Bundesregierung fordert Spezialgerichtsbarkeit für Soldaten im Auslandseinsatz. Ein Gespräch mit Manfred Messerschmidt


Der Bundesrat hat am Freitag einen Gesetzentwurf der Bundesregierung behandelt. Dieser sieht vor, daß Straftaten von Soldaten im Auslandseinsatz zentral von der Staatsanwaltschaft Kempten bearbeitet und dort auch vor Gericht verhandelt werden. Es sollten nur Juristen entscheiden, die »mit den speziellen Abläufen von Auslandseinsätzen« vertraut seien, fordert Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Was halten Sie davon?
Die Sache mit diesen besonderen Kenntnissen über Auslandseinsätze wird gern vorgetragen, um der Öffentlichkeit die Sache schmackhaft zu machen.: Es sind in den vergangenen Jahren ungefähr 150 Straftaten von Soldaten im Ausland bekannt geworden, und davon wurden die meisten ohne besondere Schwierigkeiten von zivilen Staatsanwälten und Richtern entschieden. Der bekannteste Fall ist der von Oberst Wolfgang Klein im afghanischen Kunds, der den Luftangriff mit über 100 Toten befohlen hatte. Diese Sache wurde nicht gründlich untersucht und frühzeitig eingestellt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß zivile Staatsanwaltschaften das nicht richtig ermittelt hätten. Die kamen ja gar nicht erst zum Zuge.

Kempten liegt in einer Region mit vielen Gebirgsjägereinheiten. Könnte es da nicht passieren, daß Richter und Staatsanwälte Reservisten sind, die dann über andere Soldaten urteilen, so daß unabhängige Ermittlungen kaum gewährleistet wären?
Das muß man sicher auch befürchten. Und gerade bei den Gebirgsjägern ist nach dem Krieg noch vieles von den alten Traditionen beeinflußt gewesen, man denke nur an General Dietl, Hitlers Mustergeneral. Jedenfalls führt eine Zentralisierung zu einer engeren Kooperation von Justiz und Militär, und wenn man in Kempten Personal hat, das sich ständig mit diesen Sachen beschäftigt, dann gibt es zwangsläufig eine größere Nähe zum Militär. Die Absicht ist wahrscheinlich, am Ende eine gesonderte Militärgerichtsbarkeit einzuführen. Und was das angeht, hat schon vor Jahren der Viersternegeneral Klaus Reinhardt, zuvor Kommandeur der deutschen Truppen im Kosovo, gesagt, daß die Truppe so etwas nicht brauche, sie komme mit den bisherigen Möglichkeiten aus.

Sie haben sich als ausgewiesener Militärhistoriker auch intensiv mit der Militärjustiz der Wehrmacht beschäftigt …
Von daher kommt auch ein Großteil meiner Skepsis. Und wenn man weiß, daß in den 60er und 70er Jahren in geheimen Übungen, fernab vom Parlament, ehemalige Wehrmachtsjuristen als Berater für die Einführung einer neuen Militärjustiz beteiligt worden sind, dann muß man sich fragen, was da eigentlich angestrebt worden ist. Bei diesen Übungen hat man das Projekt des Bürgers in Uniform, das eine wichtige Konsequenz aus der Wehrmachtgeschichte war, links liegenlassen.

Nach dem Bombardement von Kundus wurden die Rufe nach einer Spezialstaatsanwaltschaft erst richtig laut. Es heißt, damit würden die Interessen von Soldaten besser gewahrt.
Da frage ich zurück: Wie soll das möglich sein, wieso sollte man Soldaten besser schützen können, wenn sie vor Staatsanwälte und Richter kommen, die mit dem Militär eng verbandelt sind? Da hat der Soldat nicht mehr die Rechte eines normalen Bürgers, und das ist nicht in Ordnung. Außerdem macht man damit innerhalb des Militärs Unterschiede: Wenn ein Soldat in der Heimat etwas macht, dann kommt er vor den normalerweise vorgesehenen Staatsanwalt, also den seines Heimatortes. Und wenn etwas im Ausland passiert, dann ist eine zentrale Staatsanwaltschaft zuständig. Ich finde, für eine gründliche rechtliche Ermittlung sind Spezialkenntnisse über die Gepflogenheiten beim Militär nicht entscheidend. Eine Militarisierung von Strafverfahren widerspricht dem Grundgesetz.

Was würde das für die zivilen Opfer von Soldaten bedeuten?
Die Rechte von Zivilisten und auch ihre Verteidigungsmöglichkeiten würden weiter eingeschränkt.


Manfred Messerschmidt gehört zu den führenden Militärhistorikern der Bundesrepublik
Interview: Frank Brendle

Quelle: http://www.jungewelt.de/2012/05-12/028.php

Mehr Informationen: http://www.afghanistankampagne.de

[zurück]

Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen • 2018 • Impressum