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„Wolf im Schafspelz“ oder geschickter Krisenmanager?18.03.2012

Münchner Friedenskonferenz 2012

Bemerkungen zu Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz
Von Thomas Rödl (in ZivilCourage 1/2012 – Zeitschrift der DFG-VK für Antimilitarismus und Pazifismus)

Wenn mensch die Presse- und Medienresonanz der diesjährigen Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik betrachtet, entsteht der Eindruck, die Medienleute langweile der alljährlich gleiche Rummel im Hotel Bayerischer Hof. Die Berichterstattung war dürftig und beschränkte sich meist auf die aktuellen Themen Syrien und Iran. Weitere durchaus interessante Themen und Diskussionen wurden nicht aufgegriffen oder wahrgenommen.

Die Sicherheitskonferenz hat sich in den letzten Jahren gewandelt, schlicht weil sich die internationale Lage gewandelt hat. Die Interventionskriege unter dem Titel „gegen den Terror“ haben die USA und die Nato politisch und ökonomisch geschwächt. Die Kriege waren ein Misserfolg, nicht nur gemessen an den verkündeten Kriegszielen. Deutschland positioniert sich neu und selbstbewusst zwischen USA, Nato, Russland und China.

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist die Plattform zur Diskussion deutscher sicherheitspolitischer Auffassungen, so Konferenzleiter Wolfgang Ischinger. Die „private“ Konferenz - obwohl aus Steuermitteln finanziert - bietet ein Diskussionsforum jenseits von protokollarischen Zwängen oder der Notwendigkeit, diplomatische Erklärungen zu formulieren. Schon mit der Auswahl von Themen und der Einladung bzw. Nicht-Einladung von PolitikerInnen setzt der Veranstalter Akzente und Signale. Diese Themensetzungen und Einladungen erfolgen in enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt in Berlin.

Seit einigen Jahren gibt es hierzulande eine kleine Gruppierung namens „Mün- chner Sicherheitskonferenz verändern“, die mit viel Geduld und Hartnäckigkeit erreicht hat, dass Konferenzleiter Ischinger sich mit einem kleinen Kreis von Friedensleuten mehrmals unterhalten hat. Natürlich haben wir bei diesen Gesprächen erzählt, warum wir uns für Frieden engagieren und was wir an Sicherheitskonferenz und -politik auszusetzen haben. Ischinger seinerseits erzählte, wie die Konferenzen entstehen, in welchen Abhängigkeiten und Zusammenhängen er agiert, welche Themen und Ziele ihm wichtig sind.

Dabei wurde mir klar: Das Eine sind die Themen und Fragen, die er als Konferenzveranstalter aufwirft, das Zeite ist, was die prominenten Politiker und Diplomaten daraus machen, und nochmal etwas Anderes ist es, welche Beiträge und Statements die Medien aufgreifen.

Ischinger wird von Menschen im Münchner Bündnis, die alljährlich die Demo gegen die Sicherheitskonferenz organisieren, gerne als „Wolf im Schafspelz“, als „Kriegstrommler“ bezeichnet. Er hat einen verfrühten Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan kritisiert und die Nato-Intervention in Libyen unterstützt. (nachzulesen in dem „Der Wolf im Schafspelz“).

Aufgrund der Gespräche mit Ischinger konnten einige Leute aus dem Team der Münchner Friedenskonferenz bei der Pressekonferenz im Januar (2012) dabei sein, bei der das Programm der diesjährigen Sicherheitskonferenz vorgestellt wurde. Dabei sagte er unter anderem, er sei gegen eine europäische Militärmacht, mehr Geld für Militär sei in der aktuellen Lage nicht vorhanden. In Bezug auf die strategische Neuorientierung der USA gegen China meinte er, es sei ein großer Fehler, das Verhältnis zu China nur militärisch zu betrachten. Er wiederholte auch bei dieser Gelegenheit, dass er die Initiative „Global Zero“, also die Abschaffung der Atomwaffen, und den Abzug der Atombomben aus Deutschland befürworte. Er verwies auf die „Euro-Atlantische Sicherheitsinitiative“, die ein Modell der tatsächlichen gleichberechtigten Zusammenarbeit mit Russland anstrebe (er ist im dreiköpfigen deutsch-russisch-amerikanischen Vorstand). In diesem Rahmen sind praktische Vorschläge zur Entschärfung des Streits über das Raketenabwehrsystem und zur Erhöhung der Vorwarnzeiten bezüglich der strategischen Atomwaffen erarbeitet worden. Nichts von dem, überhaupt nichts, in der Berichterstattung der lokalen Printmedien! Sie haben nämlich überhaupt nicht über diese Pressekonferenz berichtet.

Bei früheren Gelegenheiten kritisierte Ischinger die „unilateralistische Politik der Bush-Administration“ und die Ost-Expansion der Nato. Bei einer öffentlichen Rückschau auf die diesjährige Konferenz warnte Ischinger vor einem Krieg gegen den Iran und meinte, man könne viel entspannter auf künftige iranische Atomwaffen blicken, denn das Arsenal, um einen hypothetischen iranischen Atomangriff abzuschrecken (sprich: vernichtende Vergeltung anzudrohen), sei sowohl regional als auch global längst vorhanden. Der Iran erhalte durch Atomwaffen keine realen militärischen Optionen, es gehe um Prestige und Sicherheitsbedürfnis.

Solche Äußerungen passen nicht ins Bild der Medien, aber auch nicht ins Weltbild der Konferenzgegner, die glauben, ein Feindbild „Nato“ und einen „Kriegstreiber“ zu brauchen, den sie persönlich attackieren können. Selbstverständlich behaupte ich hier nicht, eine umfassende und differenzierte Analyse der Sicherheitskonferenz bzw. der deutschen sicherheitspolitischen Strömungen und Interessen liefern zu können. Natürlich muss ich damit leben, dass Ischinger als Diplomat je nach Situation mal den Einen und mal den Anderen gefallen will. Oben aufgeführte Statements sind meine zugegeben subjektiven Wahrnehmungen, aber sie fielen nicht gegenüber Friedensleuten, sondern gegenüber den allgemeinen Medien, er musste damit rechnen - oder wollte es vermutlich auch -, dass diese Thesen auch aufgegriffen würden.

Wolf im Schafspelz oder geschickter Krisenmanager? Der Widerspruch lässt sich wohl dahingehend auflösen, dass verschiedene Strömungen in der deutschen Politik, auch in der Elite und im Apparat, deutsche Interessen unterschiedlich definieren und den Einsatz von Militär im einen Fall für nützlich halten, im anderen Fall aber nicht. In einem Fall US-Politik unterstützen, im anderen Fall aber nicht. In dieser Denkweise passt es gut zusammen, an der militärischen Stärke festzuhalten, aber einen Krieg gegen den Iran abzulehnen. Welches Interesse hat Deutschland an einem Regimewechsel im Iran und daran, dass die USA die unangefochtene Vorherrschaft am persischen Golf erkämpfen? Welches Interesse hat Deutschland an einem kalten Krieg gegen China? Oder an den US-amerikanischen Atombomben in Deutschland?

Fazit: Die Lage ist komplex - Abgründe, Untiefen, Klippen, Strömungen, Strudel, Gezeitenbewegungen und häufige teils künstliche Nebelbildung erschweren die Wahrnehmung der realen Konturen der Politik -, das gilt auch für die Friedensbewegung. Ich bin der Meinung, die Friedensbewegung sollte anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz für Frieden und Abrüstung demonstrieren, und den PolitikerInnen und den Medien vermitteln, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf. Die Kriegsverbrecher, Kriegstreiber und Kriegsprofiteure, die selbstverständlich auf der Konferenz vertreten sind, sollten wir beim Namen nennen und ihnen ganz gewaltfrei unsere Ablehnung deutlich machen. Alle, die zur Konferenz kommen und tatsächlich verhandeln und ihre Interessen im Rahmen des Völkerrechts vertreten wollen, sind willkommen.

Schwarz-weiß-Malerei, Aufbau von Feindbildern und Personalisierung hilft uns nicht weiter und passt auch nicht zu meinem Verständnis von Friedensarbeit. Darüber hinaus erschwert es die differenzierte Wahrnehmung der Politik und der Chancen, die sich aus dem notorischen Scheitern der Interventionspolitik ergeben.

Thomas Rödl ist Sprecher des DFG-VK-Landesverbands Bayern und einer der Organisatoren der seit 2003 in München stattfindenden Friedenskonferenz.

Mehr Informationen: http://www.friedenskonferenz.info

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