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Die Plutonium-Gefahren „unserer“ AKW 18.03.2012

SCHLUSSendlich

Ein Jahr nach der Fukushima-Katastrohe
Von Marion Küpker (in ZivilCourage 1/2012 Zeitschrift der DFG-VK für Antimilitarismus und Pazifismus)²

In sechs deutschen Atom-Standorten fanden am 11. März, dem ersten Jahrestag der Katastrophe in Fukushima, Aktionen statt. Welche Gefahr geht denn nun von unseren AKW tagtäglich aus, von denen die letzten sechs erst 2021/2022 abgeschaltet werden sollen? Zum Beispiel vom AKW Brokdorf, welches nur 60 Kilometer vom Zentrum der 2-Millionen-Metropole Hamburg entfernt liegt?! Dies ist die Distanz von der Fukushima-Reaktoranlage hin zur Stadt Fukushima City, der Stadt, in der von StudentInnen die strahlende Erde der Spielplätze und Schulhöfe abgetragen wurde.

Mit 1.480 Megawatt brutto hat das AKW Brokdorf ein Viertel weniger Leistung als alle drei Fukushima-Reaktoren zusammen, in denen es zu Kernschmelzen kam. Im Jahr 2010 belegte Brokdorf den Spitzenplatz 3 bei der Stromproduktion der leistungsstärksten AKW der Welt, und es war dabei keine deutsche Ausnahme, denn sechs „unserer“ AKW fielen unter die ersten 10 Plätze. In den Jahren davor waren es manchmal sogar sieben!


Alle deutschen AKW mit MOX

MOX ist die Abkürzung für Mischoxid. Im Gegensatz zu herkömmlichen Brennelementen (BE) aus Uran(-dioxid) enthalten MOX-Brennelemente eine Beimischung von Plutonium(-dioxid). Seit dem Jahr 2000 wird MOX in neun deutschen AKW eingesetzt. Seine Turbo-Qualität führt zu einer gefährlichen Leistungssteigerung und erzeugt viele zusätzliche Probleme, z.B. kam es durch Überlastung des Materials zu Tritium-Leckagen. Die Druckwasserreaktoren in den AKW Brokdorf, Philippsburg, Grafenrheinfeld, Emsland, Grohnde (läuft aktuell nicht), Neckarwestheim und Isar sowie die Siedewasserreaktoren Gundremmingen B + C haben einen MOX-Brennelemente-Anteil von 25 bis 50 Prozent, was im Schnitt ein Drittel aller Brennelemente ausmacht. Jeder dieser Reaktoren wird mit meist mehr als 100 Tonnen Urandioxid/Plutoniumdioxid-Brennstoffen gefahren, das bedeutet bei einem Plutoniumdioxidgehalt von 4 Prozent grob gerechnet pro AKW 1,2 Tonnen Plutonium allein in den neuen MOX-Brennelementen. Während der Dauer des Einsatzes steigt der Plutoniumgehalt durch den Neutronenbeschuss noch an. Etwa vier Jahre sind MOX-Brennelemente in Betrieb, und bei der jährlichen Revision wird hiervon in der Regel ein Drittel ausgetauscht. Diese Plutonium-Berechnung berücksichtigt nicht die Bestände der BE-Abklingbecken und Versuchsreaktoren sowie der skandalträchtigen Atommüll(zwischen)lager.

Weltweit werden MOX-Brennelemente nur in Sellafield/Großbritannien und Marcoule/Frankreich sowie in Dessel/Belgien hergestellt. Die deutschen Kernkraftwerksbetreiber haben für den Zeitraum 2009 bis 2016 die Fertigung und Lieferung von 170 Tonnen MOX (6,8 Tonnen Plutonium) mit den britischen und französischen Wiederaufarbeitungsanlagen vereinbart. Die britische Eigentümerin NDA, die auch das japanische Kernenergieunternehmen Tepco mit MOX-BE belieferte, teilte im August 2011 ohne konkretes Datum mit, dass sie ihre Sellafield-MOX-Anlage (SMP) „zum frühest möglichen Zeitpunkt“ schließen wolle. Alle Betreiber haben bereits vorsorglich Verhandlungen mit dem Unternehmen Areva über die Fertigung von MOX-BE aufgenommen, falls MOX aus Sellafield nicht mehr verfügbar sein sollte.

In Deutschland wurde 1994 aufgrund schwerer technischer Probleme die MOX-Verarbeitung in Hanau eingestellt. Heute wird bei uns „nur“ uranhaltiges Material (auf 3 Prozent angereichertes Uran 235) in der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau für die Brennelemente-Fabrik Lingen hergestellt. Die UAA Gronau der Firma Urenco, die einen Weltmarktanteil von circa 30 Prozent für Brennstäbe hat, beliefert auch Tepco, Betreiberin von Fukushima I und II.


Das giftigste Element der Welt

Während es sich bei der Atombombe auf die Stadt Hiroshima um eine Uranbombe handelte, kam über Nagasaki zum ersten mal eine Atombombe mit insgesamt 6,2 Kilogramm Plutonium zum Einsatz. Dabei wurden im Fissions-Prozess lediglich etwa 20 Prozent, also rund 1,2 Kilogramm gespalten, 5 Kilogramm Plutonium wurden freigesetzt, zusätzlich zu der immensen zerstörenden Energie. 73.000 Menschen fanden einen grausamen Tod, und das Sterben geht bis heute weiter ñ noch einmal doppelt so viele Menschen sind bisher an den Spätfolgen gestorben. Und: Ein Millionstel Gramm Plutonium eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen kann Krebs erzeugen! Die Menge an Plutonium in den heutigen Atombomben variiert bis zum Zehnfachen des damaligen Inhaltes, wobei deren Modernisierung hin zu kleineren und damit „einsatzfähigeren“ Atombomben geht.


Fukushima und MOX

Von Fukushima 1 wurde bekannt, dass die dort eingesetzten Uran-Brennelemente bereits am Ende ihrer Betriebszeit waren und im selben Monat, in dem die Katastrophe geschah, ausgetauscht werden sollten. Das heißt, dass auch diese BE 1 Prozent Plutonium enthielten, das heute vermixt in der Kernschmelze steckt! In Fukushima 3 kamen von den insgesamt 516 Brennelementen sogar 32 MOX-BE, d.h. mit 4 Prozent Plutoniumoxid, zum Einsatz. Das ergibt zusammen mindestens 330 Kilogramm Plutonium allein in den von den Kernschmelzen betroffenen Reaktoren mit zusammen 1.500 Brennelementen. In dieser Rechnung fehlen die hoffentlich unter Kontrolle gebrachten und bleibenden sieben Brennelemente-Abklingbecken innerhalb der sechs Fukushima-Reaktoren sowie die zwei externen Abklingbecken und das Lager für neue Brennelemente mit einer Gesamtkapazität für insgesamt 16.000 BE.

Aber zurück zu uns: Mindestens 1,2 Tonnen Plutonium pro deutschem AKW macht pro AKW das Plutonium von 200 Nagasaki-Bomben aus. Welch Wahnsinn treibt PolitikerInnen und KraftwerksbetreiberInnen, solche Anlagen zu genehmigen und zu betreiben?! Welche Ignoranz gegenüber den möglichen alltäglichen Gefahren, wo die Reaktor-Ummantelung zwar dem Aufprall von kleinen Flugzeugen, aber nicht von größeren Passagiermaschinen standhalten soll. Mensch kann nur hoffen, dass nie ein Pilot - aus welcher Frustration heraus auch immer - mal auf falsche Gedanken kommt. Oder eine/r der 23.000 landesweiten „Atom-Nomaden“, die 80 Prozent des AKW-Personals ausmachen. Diese Leiharbeiter der Subunternehmer führen die jährlichen Revisionsarbeiten in den Bereichen der AKW durch, in denen sich das Stammpersonal lieber nicht aufhält. Sie bekommen die meiste Strahlung ab. Aber auch ohne menschliche Fehler ist z.B. das AKW Brokdorf, das in der Region mit dem tiefsten Punkt Deutschlands liegt (-3,40 Meter), auch wenn es auf ca. 1,50 Meter über Normal-Null angehoben wurde, durch Flutkatastrophen gefährdet. Das AKW-Gelände kann volllaufen, und eine autarke Notstromversorgung kann laut Reaktoraufsichtsbehörde nicht unter allen Umständen gewährleistet werden. Das AKW im Ernstfall mit Elbwasser durchspülen zu müssen, um eine Kernschmelze wieder zu stoppen (wie im Fall Fukushima), hätte tödliche Folgen nicht nur für das Wattenmeer der Nordsee - ein einzigartiges und sensibles Ökotop für 5.000 Spezies, „Kinderstube“ für Fische, Brutvögel und Meeressäuger und Rastplatz für riesige Zugvögelschwärme. MOX-Brennelemente werden u.a. auch per LKW durch das Hamburger Stadtgebiet transportiert. Bleibt nur zu hoffen, dass es nie zu einem Unfall mit Feuer kommt, bei dem die Transportbehälter beschädigt werden. Es gab in der Vergangenheit bereits viele Störfälle, die zu einer Kernschmelze hätten führen können.

Jeder Tag kann ein Tag zu viel sein. Und jedeR kann im täglichen Handeln etwas tun - beispielsweise den Stromanbieter wechseln, weg von e.on, RWE, Vattenfall, EnBW hin zu EWS Schönau, Greenpeace Energy, Naturstrom oder LichtBlick; das Konto wechseln, weg von den Atombanken Deutsche Bank, Postbank und Commerzbank (um nur einige zu nennen) hin zur GLS Bank, Umweltbank, EthikBank oder Triodos Bank.

Marion Küpker ist internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atom- und Uranwaffen.

(in ZivilCourage 1/2012 – Zeitschrift der DFG-VK für Antimilitarismus und Pazifismus)

Mehr Informationen: http://www.ausgestrahlt.de

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