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Fehlleitmedien01.02.2012

verwitterte Uranmunition

Eine Analyse der neueren Mediengeschichte zeigt einen bemerkenswerten Mangel an kritischer Berichterstattung zum Thema Uranmunition (Von Ralf Hutter in Neues Deutschland)
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wendet sich nun zumindest sporadisch den Gefahren von Uranmunition zu. So endet ein großes Schweigen.

Dass das ZDF auf Sardinien dreht, lässt hoffen. Der Deutschlandfunk sendete bereits im August einen dreiviertelstündigen Beitrag namens »Das Quirra-Syndrom«. Dabei hatten die großen Medien dem Thema Uranmunition zehn Jahre lang gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Kurz nach Ausstrahlung des Radiobeitrags sagte der verantwortliche Redakteur Hermann Theißen gegenüber »nd«: »Ich bin erst durch Hörerreaktionen auf die Funkstille aufmerksam geworden. Diese Geschichte war nicht zu mir vorgedrungen.«

Die »Geschichte« dieser Funkstille lässt sich nachvollziehen. Bis Anfang 2001 gab es nämlich sehr wohl in großen deutschen Medien eine Debatte über die Gefahren von Uranmunition - schließlich war auch die Bundeswehr durch ihre Einsätze auf dem Balkan betroffen. Doch dann berief der damalige Militärminister Rudolf Scharping eine Kommission aus Journalisten, Militärs und Wissenschaftlern ein, die nach einem halben Jahr das gewünschte Ergebnis lieferte: Uranmunition hat keine giftigen Nebenwirkungen. Vorsitzender der Kommission war Theo Sommer, früherer Herausgeber der Wochenzeitung »Die Zeit«. In dieser Zeitung veröffentlichte dann auch der Redakteur Gero von Randow zwei wortgewaltige Artikel, die alle lächerlich machten, die kritisch zu DU-Munition recherchierten.

»So etwas löst schon einen gewissen Schock aus«, sagt Siegesmund von Ilsemann. »Da denken sich wahrscheinlich viele Kollegen: Wenn das so in der ›Zeit‹ steht, dann lohnt es sich vielleicht nicht mehr, da weiter zu recherchieren.« Von Ilsemann leitete acht Jahre lang das Büro des Magazins »Spiegel« in Washington und glaubt, der Erste gewesen zu sein, der größer über die Gefahren von Uranmunition berichtete. Zur Kommission äußert er sich misstrauisch: »Die Sommer-Kommission wurde bewusst von Minister Scharping zusammengestellt. Sommer war unter Helmut Schmidt im Planungsstab des Verteidigungsministeriums gewesen. Der war gut vernetzt.«

Von Ilsemann hat ab 2001 selbst auch nicht mehr zu dem Thema veröffentlicht, denn »es gab dann nicht mehr so viel Neues«. Doch auch er ist »ein bisschen ratlos, warum die Medien das so vernachlässigt haben«. Zum »Spiegel« kann von Ilsemann nähere Angaben machen: »Das Fachleuteprinzip wurde aufgeweicht.« Seit seinem Ausscheiden 2007 »beschäftigt sich niemand so richtig mit dem Thema«. Hinzu komme eine Verflachung des journalistischen Niveaus - und ein Effekt des Ablebens von »Spiegel«-Gründer und -Herausgeber Rudolf Augstein. »Nach Augsteins Tod 2003 war ich ein ziemlicher Einzelkämpfer, was kriegskritische oder amerikakritische Themen angeht«, erklärt der Ex-Redakteur.

»Lobenswert« nennt von Ilsemann hingegen den Film »Tödlicher Staub« von Frieder Wagner. Wagner war langjähriger freier Dokumentarfilmer gewesen, seine zum Teil preisgekrönten Beiträge liefen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - bis er sich dem Thema Uranmunition widmete. Einen dreiviertelstündigen Beitrag zu Verseuchungen in Irak sendete der WDR 2004 noch. Dann wollte er nicht mehr mit Wagner zusammenarbeiten. »Mir wurde gesagt: ›Deine Themen gelten als schwierig‹«, erzählt Wagner heute. Der engagierte Filmemacher wandte daraufhin seine Ersparnisse für den Dreh eines 90-minütigen Films auf: »Tödlicher Staub«. Der versammelt eindrückliche Fakten und Meinungen aus mehreren Ländern und lief 2007 auf der Berlinale - doch einen Verleih fand Wagner dafür nie.

Ebenfalls 2004 erhielt Wagner eine bemerkenswerte Abfuhr beim Deutschlandfunk . Ein bereits ins Redaktionssystem eingespielter Beitrag zum Thema des WDR-Films wurde einen Tag vor Sendetermin gestrichen. Wagner sollte trotz vorhergehender inhaltlicher Diskussionen noch ganze 15 Einwände klären. Das gelang ihm seinen Angaben zufolge innerhalb von drei Tagen, der Schriftverkehr liegt »nd« vor. Frieder Wagner findet es »peinlich, dass ein Deutschlandfunk-Redakteur überhaupt solche Fragen stellte«.

Tatsächlich müssen so einige der Fragen, die der verantwortliche Redakteur Rolf Clement nach Rücksprache mit dem Leiter seiner Wissenschaftsredaktion stellte, auch Laien befremden. Da wird das Gewicht eines Stoffes nicht über dessen Dichte, sondern über sein Atomgewicht bestimmt. Und was Strahlungsmessungen und die Funktionsweise eines Geigerzähler betrifft, zeigt sich die Fachredaktion bemerkenswert unwissend - zu unwissend. Autor Wagner vermutet Voreingenommenheit als Grund für die letztendliche Ablehnung seines Beitrags.

Was sagt der Deutschlandfunk heute - also auch nach dem Beitrag zu Quirra - dazu? Militärexperte Rolf Clement erinnert sich zunächst daran, dass die Berichterstattung 2001 nach dem Wirken der Sommer-Kommission »tatsächlich abbrach«. Doch als er den Namen Wagners hört, bricht er selbst ab und verweist auf die Pressestelle. Die wiederum will eine angeblich »inzwischen mehr als alte Diskussion« (wo es die jemals gegeben haben soll, wird auch auf Nachfrage nicht angegeben) nicht »wieder aufleben lassen« und schweigt zu sämtlichen Fragen.

»Salto di Quirra« sagt Rolf Clement übrigens nichts. Und in den Online-Archiven der großen überregionalen Zeitungen bringt die Suche nach dem Wort »Quirra« weiterhin keinen Treffer.

Kritische Information
Die umfassende, kürzlich aktualisierte Dokumentation von kritischen Texten zu Uranmunition namens »Kriegführung mit Urangeschossen« von Brigitte Runge und Fritz Vilmar kann beim Arbeitskreis für Friedenspolitik in Berlin bestellt werden (www.friedenspolitik.com).
Der Film »Tödlicher Staub« ist beim Autor Frieder Wagner erhältlich: ochowa-film@t-online.de Unter anderem eine Liste mit Forschungsergebnissen (Stand: 2010) bietet: http://www.ippnw.de/frieden/uranmunition.html

Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/217166.fehlleitmedien.html


Lexikon:

DU-Munition

Wenn Natururan für die Verwendung in Kernkraftwerken bearbeitet wird, entsteht dabei als Nebenprodukt in relativ großer Menge abgereichertes Uran, englisch: depleted uranium (DU). Dieser schwach radioaktive und chemisch-toxische Stoff ist wegen seiner hohen Dichte geeignet für panzerbrechende Munition und wird deshalb bei mehreren Waffensystemen verwendet. DU wurde von NATO-Staaten seit 1991 mindestens in Irak und auf dem Balkan eingesetzt. Alle angefragten Regierungen, auch die deutsche, bestreiten seitdem unbeabsichtigte Gesundheitsgefährdungen durch Rückstände dieser Munition und berufen sich dabei auf wissenschaftliche Studien.
Gegenläufige Stimmen berufen sich jedoch auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse. So werde nicht berücksichtigt, dass beim Aufprall der Raketen Feinstaub entstehe, der sich später bei Dritten in den Lungen festsetze und im Blut in alle Körperteile gelangen könne. Obwohl DU nicht stark strahle, könne der sich so ergebende dauerhafte Kontakt mit Körperzellen Krebs bewirken. Zudem sei erwiesen, dass die Kombination von Radio- und Chemotoxizität besondere Risiken bedeute. Der Staub, vor dessen Gefährlichkeit die US-Armee seit Jahrzehnten intern warnt, ist nicht nur für Soldaten eine Gefahr, sondern etwa auch für die in Irak in Panzerwracks spielenden Kinder. rhu
Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/217168.lexikon.html

Mehr Informationen: http://www.ippnw.de/frieden/uranmunition.html

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