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Ein Deserteurdenkmal für Hamburg13.12.2011

ZC 4/2011

Desertion und Kriegsdienstverweigerung zum Thema machen
Von Detlef Mielke für Zivilcourage 4/2011

Den Anstoß gab die Suche der Tochter des Deserteurs Willy Dittmann nach Spuren ihres Vaters. Der war als Fahnenflüchtiger 1943 in Frankreich festgenommen und im Februar 1945 in Hamburg hingerichtet worden. Elke Olsson, die seit 1962 in Schweden lebt, wandte sich an die Geschichtswerkstadt Willy-Bredel-Gesellschaft in Hamburg-Olsdorf. In der Nähe, im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, war Willi Dittmann vor seiner Hinrichtung inhaftiert, auf dem Olsdorfer Friedhof ist sein Grab.


Party am Kriegsklotz

Für MitarbeiterInnen der Willi-Bredel-Gesellschaft war diese Spurensuche Anlass, nach Namen von Fahnenflüchtigen zu forschen, die in Hamburg getötet wurden.

Bei einer ersten Aktion im Juli/August 2010 wurde ein fünfmal vier Meter großes Transparent mit 68 Namen nachweislich in Hamburg hingerichteter Deserteure für 14 Tage an die Gedenkstätte für gefallene Soldaten des Zweiten Weltkrieges gehängt. Zur Eröffnungsfeier war Elke Olssen angereist und berichtete am Grab ihres Vaters vom Leben der Familie des Fahnenflüchtigen im Werftarbeiterstadtteil Gaarden in Kiel, von der Ausgrenzung durch den Pastor, von der Verweigerung der Lebensmittelkarten, von Hunger und Ausgrenzung der Familie. Ludwig Baumann, in Hamburg geborener Fahnenflüchtiger des Zweiten Weltkrieges berichtete von den Schwierigkeit für deutsche Deserteure vergangener Kriege in der BRD.

Am Rande dieser Aktion fand sich eine Gruppe zusammen, die das Thema Deserteure an einen belebten Ort mit Symbolcharakter in Hamburg tragen wollte. Es entstand das Bündnis für ein Deserteurdenkmal in Hamburg, dem sich neben der Willi-Bredel-Gesellschaft, der DFG-VK, der VVN, dem Hamburger Bündnis gegen Rechts und dem Hamburger Forum inzwischen 10 weitere Organisationen angeschlossen haben.

Der Tag des offenen Denkmales war Anlass für eine Aktion: Am 11. September 2010 hängten wir, eingebettet in eine Veranstaltung, das Transparent an ein militaristisches Denkmal in der Nähe des Dammtor-Bahnhofes. An dieser Stelle forderten wir eine Gedenkstätte für Deserteure.

Den 8. Mai 2011, den Tag der Befreiung vom Faschismus, feierten wir in diesem Jahr etwas anders - mit einer Party am Kriegsklotz. Die Anregung dafür lieferte Uwe Storjohan, der in den letzten Kriegswochen in Hamburg desertierte, in seiner Rede auf der Veranstaltung am 11. September 2010. Er war als Soldat in Hamburg in der Nähe des Übungsplatzes Höltigbaum am Stadtrand stationiert. Soldaten für die Erschießungskommandos seien mit einer Flasche Schnaps und einem Tag dienstfrei gelockt worden. Täglichen seien Gewehrsalven von den Erschießungen bis zur Kaserne zu hören gewesen. Uwe Storjohan, der aus der Swing-Jungend kam, berichtet aber auch von dem Glücksgefühl, als er nach Fahnenflucht und Aufenthalt in einem engen Versteck hörte, wie britische Soldaten eine Jazzplatte auflegten.

Der „Kriegsklotz“ ist viel kleiner als der Reichstag, den können wir einmotten, dachten wir uns. Bei Livemusik und Ansprachen, Kaffee und Kuchen verhüllten wir den Klotz am 8. Mai in Frischhaltefolie. Eine Gruppe führte ein Theaterstück auf, das nach Gerichtsprotokollen ein Gerichtsverfahren gegen einen Deserteur darstellte.
Es hat Spaß gemacht, die Forderung nach einer Gedenkstätte für Deserteure so zu verpacken.

Für 14 Tage war diese Verhüllung des Kriegsklotzes genehmigt, nach anderthalb Tagen war die Folie von Unbekannten abgerissen worden. Das bot uns die Möglichkeit, eine erneute Verhüllung zu beantragen. An 21. Mai, dem Tag an dem wir die Folie eigentlich abnehmen wollten, bewickelten wir den Klotz erneut, dieses Mal in schwarz.

Wir erhielten viel Zuspruch von PassantInnen, aber auch Missfallensäußerungen. Unsere Aktion löste Emotionen aus, ein erstes Ziel ist damit erreicht. Presseartikel, eine Nachfrage einer CDU-Abgeordneten in der Hamburger Bürgerschaft, wer denn so etwas genehmige.

Nach drei Tagen war der untere Teil der Folie heruntergerissen, die Soldatenreihen waren wieder zu sehen. Die Wirkung auf die PassantInnen war fast genau so wie bei der vollständigen Verhüllung. Ein aufgestelltes Schild mit unserer Erklärung wurde regelmäßig gelesen, etwas 20 Menschen pro Stunde blieben lange davor stehen und lasen unsere Erklärung mit der Forderung nach einer Gedenkstätte für Deserteure. Nach 12 Tagen war der Rest der Umhüllung von Unbekannten entfernt worden.

Die vorzeitige Entfernung bot erneut die Möglichkeit, eine Verhüllung zu beantragen. Am Pfingstsamstag kleideten wir den Klotz in weiß. Obenauf wehte eine weiße Fahne. „Schwarz war aber schöner“, war ein Kommentar eines offensichtlich häufig vorbeikommenden Passanten. „Vielen Dank, dass ihr das macht, ich schäme mich immer, wenn ich mit Gästen von außerhalb an diesem Ort vorbeikomme“. „Schon in den 60er Jahren war ich mit Farbe da dran“, sagte eine erfreute Siebzigjährige.

Nach drei Tagen waren die Figuren bis zur Brust freigelegt, erneut war nach 12 Tagen die Folie und dieses Mal auch die Fahne entfernt.


Die aktuelle Bedeutung
von Desertion formulieren

Uns von der DFG-VK-Gruppe Hamburg ist es wichtig, nicht in der Erinnerung an die Vergangenheit stehen zu bleiben, wir wollen Fahnenflucht positiv belegen. Wir wollen durch das Gedenken an Deserteure vergangener Kriege auf Kriegsdienstverweigerer und Deserteure heutiger Kriege hinweisen. Der Zusammenhang einer Aktion für eine Gedenkstätte für Deserteure mit dem Krieg der Bundeswehr in Afghanistan ist uns wichtig. Wir wollen unserer Freude über Bundeswehrsoldaten, die verweigern oder sich über Krankheit aus der Bundeswehr verabschieden, Ausdruck geben. Wir wollen, dass möglichst viele Bundeswehrsoldaten den Krieg verweigern.

Wir wollen auf Deserteure, die heute in großer Zahl unter uns leben, hinweisen. Für viele Migranten ist auch die Flucht vor einer Beteiligung am Krieg im Heimatland ein Wanderungsgrund. Kriegsdienstverweigerer und Deserteure brauchen Asyl.

Selbstverständlich wollen auch wir eine Erinnerungsstätte für Deserteure in Hamburg. Uns geht es aber hauptsächlich um den Prozess um die Auseinandersetzung möglichst vieler Menschen mit dem Thema Kriegsverweigerung und Desertion.


Detlef Mielke ist aktiv in der Regionalgruppe Hamburg der DFG-VK. Wer Lust hat mitzuarbeiten oder Interesse hat, einen kulturellen Beitrag bei Aktionen am „Kriegsklotz“ zu leisten, kann sich wenden an: hamburg@dfg-vk.de. Konkrete Termine werden unter www.Feindbeguenstigung.de und http://www.bundeswehr-abschaffen.de angekündigt.


Mehr Informationen: http://www.zc-online.de

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