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»Helfen Sie uns, den Waffenhandel zu stoppen!«03.11.2011

Logo Stoppt den Waffenhandel

Interview mit Prof. Dr. Margot Käßmann, Schirmherrin der Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!
 
 
       Frau Professor Käßmann, bitte ergänzen Sie die Aussage »Rüstungsexporte sind…«
 
Margot Käßmann: »Rüstungsexporte sind kontraproduktiv für das Bemühen, Konflikte zu deeskalieren. Sie stehen für mich im Widerspruch zum christlichen Auftrag, Frieden zu schaffen.«
 
       Sie haben sich dankenswerter Weise bereit erklärt, die Schirmherrschaft für unsere Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel zu übernehmen. Was hat sie zu diesem Schritt bewogen?
 
»Gerechtigkeit und Frieden gehören unmittelbar zusammen. Ich bin seit den Aktionen der Friedensbewegung in den Achtziger Jahren und seit dem konziliaren Prozess in Vancouver 1983 gegen Rüstungsexporte eingetreten. Beim Waffenhandel zeigen sich immer wieder die ganzen Widersprüche: Wir beklagen die Kriege der Welt und wollen für Frieden eintreten, und gleichzeitig verdient unsere Volkswirtschaft daran. Das ist doch absurd!«
 
       Obwohl Deutschland weltweit der drittgrößte Rüstungsexporteur ist, spielt das Thema in der gesellschaftlichen Diskussion allenfalls sporadisch eine Rolle, wie beim geplanten Panzerdeal mit Saudi-Arabien. Das Thema Waffenhandel und unsere Mitverantwortung werden weitgehend totgeschwiegen. Was muss passieren, damit die Menschen – und mit ihnen die Kirchen – endlich laut aufschreien?
 
»Unsere Volkswirtschaft profitiert von der Gewalt und den Kriegen, die wir beklagen. Die Friedensbewegung und die Kirchen können angesichts dieser furchtbaren Situation nicht schweigen. Es geht darum, das Thema Waffenhandel bewusst zu machen. Genau deshalb ist die Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! so wichtig.«
 
       Anfang Juli 2011 wurde publik, dass der Bundessicherheitsrat unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Export von 200 Kampfpanzern des Typs Leopard 2 nach Saudi-Arabien zugestimmt haben soll. Wie beurteilen Sie diesen Waffentransfer?
 
»Dieser Rüstungsexport wäre ein fatales Signal gegenüber den Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt. Gerade erst sind saudi-arabische Soldaten gegen Demonstrierende in Bahrain vorgegangen. Wir können die Bundesregierung nur auffordern, diesem Waffentransfer nicht zuzustimmen.«
 
       Wie stehen Sie dazu, dass der Bundessicherheitsrat mit Frau Merkel und ihren Ministern in geheimer Sitzung über besonders brisante Rüstungsexporte entscheidet?
 
»Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, GKKE, hat immer wieder Transparenzdefizite beklagt. Es fehlt an Informationen und an Beteiligung. Meines Erachtens muss es beim Waffenhandel eine offene parlamentarische Kontrolle geben – wenn es schon Rüstungsexporte gibt. Alles andere schadet der Demokratie.«
 
       Laut Rüstungsexportbericht 2010 der GKKE ist die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien »sehr schlecht«, ebenso die in anderen Staaten wie Angola, Brasilien, Nigeria, Pakistan, Russland, der Türkei und vielen anderen mehr. All diese Staaten haben in den vergangenen Jahren ganz legal Waffen aus Deutschland erhalten (siehe Rüstungsexportbericht 2010 der GKKE, Seite 62). Wie sehen Sie diese Waffenlieferungen?
 
»Mir ist unbegreiflich, dass Deutschland Waffen in solche Staaten liefert. Das widerspricht dem Eintreten für die Menschenrechte. Wie sollen wir das denjenigen vermitteln, die sich im eigenen Land für Freiheit und Menschenrechte engagieren?«
 
       In Ihrem aktuellen Buch »Sehnsucht nach Leben« schreiben Sie: »Rüstungsausgaben, Waffenexporte, sie sind für mich schlicht ein Zeichen von Versagen.« Wer versagt, wenn Geld für Rüstung ausgegeben wird und Waffen exportiert werden? (siehe »Sehnsucht nach Leben«, Seite 90.)
 
»Ich denke, das ist politisches, aber auch gesamtgesellschaftliches Versagen. Von Deutschland ging im letzten Jahrhundert zweimal ein grausamer Krieg aus mit entsetzlich zerstörerischen Folgen. Das verpflichtet uns, heute nicht wieder zu Kriegen in der Welt  beizutragen.«
 
       Jesus Christus hat in der Bergpredigt verkündet: »Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.« An anderer Stelle der Bergpredigt fordert er: »Liebt eure Feinde.« Stehen diese Aussagen Jesu nicht dem Handel mit Waffen diametral entgegen?
 
»Ja, das tut sie. Die Feindesliebe steht dem Waffenhandel diametral entgegen.«
 
       Das fünfte Gebot lautet: »Du sollst nicht töten.« Deutschland führt Krieg in Afghanistan. Zugleich beliefern wir kriegführende Staaten – wie die NATO-Partner USA, Frankreich oder Großbritannien – mit Waffen. Wie verträgt sich das fünfte Gebot Ihrer Ansicht nach mit dem Export von Waffen an Staaten, die diese dann im Krieg einsetzen?
 
»Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung sagt in ihrem Rüstungsexportbericht 2010 zu Recht, dass – ich zitiere – ‚der Transfer von Mitteln der Gewalt prinzipiell nach den gleichen Kriterien zu beurteilen ist wie die Androhung oder Anwendung von Gewalt’.« (siehe Rüstungsexportbericht 2010 der GKKE, Seite 30)
 
       Sind Rüstungsexporte aus friedensethischer Sicht demnach überhaupt verantwortbar?
 
»Aus friedensethischer Sicht muss es um Abrüstung gehen und nicht um Aufrüstung, um Mediation und nicht um Eskalation.«
 
       Der größte Rüstungsproduzent und -exporteur Deutschlands die Daimler AG über ihre Anteile am europäischen Rüstungsriesen EADS. Die Kritischen AktionärInnen Daimler und zahlreiche Friedensorganisationen rufen dazu auf, so lange keinen Mercedes zu kaufen, bis Daimler aus dem Geschäft mit dem Tod ausgestiegen ist. Fahren Sie Mercedes?
 
»Mercedes geht gar nicht. Ich fahre ganz bewusst eine Ente. Ja, den Ansatz unterstütze ich, dass wir Autos kaufen und auch fahren sollten, deren Unternehmen nicht vom Waffenhandel profitieren.«
 
       Was versprechen Sie sich davon, dass Deutschland aus dem Waffenhandel aussteigt? Vertreter der Rüstungsindustrie behaupten, andere Staaten würden Waffen und Rüstungsgüter liefern, wenn nicht wir.
 
»In anderen Fragen ist das ja auch nicht das entscheidende Argument. Nehmen wir die engen Grenzen bei der Präimplantationsdiagnostik, der PID, oder den Ausstieg aus der Kernenergie. Erst einmal geht es um unser Land und um unsere Haltung. Der Ausstieg könnte bei der Nummer 3 der Rüstungsexporteure Signalwirkung haben.«
 
       Ziel unserer Kampagne ist die Änderung von Artikel 26 (2) des Grundgesetzes. Dieser soll in seinem Kernsatz zukünftig lauten: »Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert.« Sehen Sie diese Ergänzung des Grundgesetzes im Sinne eines Rüstungsexportverbots als notwendig an?
 
»Genau so sehe ich das. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung dieses Ziels ist die Klarstellung in Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes. Wenn wir die Geschichte anschauen, dann haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes an Rüstungsexporte in diesem Ausmaß überhaupt nicht gedacht und wollten dies auch nicht.«
 
       Eine letzte Frage zum Zeitpunkt der Kampagne: Warum ist Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! Ihrer Ansicht nach gerade jetzt besonders wichtig?
 
»Angesichts der aktuellen bewaffneten Konflikte in Norden Afrikas und im Nahen und Mittleren Osten ist dies der richtige Zeitpunkt. Um unser Ziel des grundsätzlichen Verbots des Waffenhandels zu erreichen, brauchen wir das breite gesellschaftliche Bündnis dieser Kampagne. Ich kann nur jede Bürgerin und jeden Bürger bitten: Helfen Sie uns mit Ihrer Unterschrift und mit Ihren Ideen, den Waffenhandel zu stoppen! Das gelingt dann, wenn wir den notwendigen gesellschaftlicher Druck auf die Politik entwickeln.«
 
Vielen Dank, Frau Prof. Käßmann.
 
Das Interview führte Jürgen Grässlin,
Sprecher der Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!

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²http://www.dfg-vk.de/aktuelles/dfg-vk-neuigkeiten/2011/694|Pressemitteilung zur Pressekonferenz vom 03.11.2011, "Margot Käßmann übernimmt Schirmherrschaft der Rüstungsexport-Kampagne"

Mehr Informationen: http://www.aufschrei-waffenhandel.de

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