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„Nur“ für Frieden zu sein ermöglicht Krieg „mit“!01.03.2011

Plakat-Krieg sabotieren

Zur DFG-VK-Programmdiskussion: Provokation als antimilitaristisches Aktionswerkzeug
Von Eugen Januschke (für Zivilcourage 1-2011)

Im Unterschied zum so genannten Kalten Krieg führt Deutschland heute handfeste Kriege. Damit muss das Ziel der DFG-VK nicht nur die Beseitigung von Kriegsursachen und die Reduzierung der strukturellen Kriegsführungsfähigkeit Deutschlands sein - beides bleiben wichtige und langfristige Aufgaben für die DFG-VK -, sondern es bedarf verstärkter Anstrengungen, signifikant zur Beendigung von laufenden Kriegen mit Beteiligung der Bundeswehr beizutragen. Dabei erhöht sich die Dringlichkeit für kurzfristige Effekte von solchen Aktionen. Es muss überlegt werden, auch auf andere Aktionsformen als die bisher für die DFG-VK üblichen zurückzugreifen. Hier wird begründet, dass die Provokation eine solche neue Aktionsform darstellt.urch die nun laufenden Kriege mit Beteiligung der Bundeswehr, lässt sich eine gesellschaftliche Gruppe in Deutschland ausmachen, die als „ambivalente Mehrheit für den Frieden“ bezeichnet werden kann. Diese gesellschaftliche Mehrheit spricht sich seit Jahren regelmäßig in Umfragen gegen den Krieg in Afghanistan aus. Aber schon bei Wahlen ist hiervon nichts mehr zu merken; geschweige denn bei Versuchen, der Fortführung dieses Krieges mit direkterer und persönlicher Einflussnahme zu begegnen. In ihrer Passivität ermöglicht die „ambivalente Mehrheit für den Frieden“ den Krieg mit. Die bisherige Strategie der DFG-VK zielt sicherlich auch auf ein Aktivieren von Menschen aus dieser Friedensmehrheit. Allerdings liegt der Schwerpunkt der DFG-VK auf Maßnahmen, die dieser Mehrheit Gehör verschaffen wollen im politischen Entscheidungsprozess. Als Mittel der Strategie des Gehörverschaffens dienen z.B. die Lancierung von entsprechenden Inhalten in Leitmedien, Parlamentariergespräche, Postkartenaktionen, Unterschriftenlisten und dergleichen.

Um zumindest einen Teil dieser „ambivalenten Mehrheit für den Frieden“ zu einem signifikanten Einsatz gegen den laufenden Krieg zu bewegen, erscheint es überlegenswert, eine andere Strategie einzuschlagen, als die Friedensmehrheit immer nur zu „pampern“. Ein mögliches Mittel dieser anderen Strategie kann die Provokation sein. Wie wirkt Provokation, damit sie als Mittel einer solchen Strategie dienen kann? Zunächst gilt festzustellen, dass Provokation hierbei kein Selbstzweck ist. Sie möchte in den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess eingreifen, indem sie Denkprozesse über bestimmte gesellschaftliche Zustände auslösen will. Das Nachdenken soll erreicht werden durch Diskussionen über diese Zustände zwischen den beteiligten Personengruppen: den ProvokateurInnen, den Wohlwollenden und den Verärgerten. Dabei geht es in einer offenen Form der Provokation um eine grundsätzliche Infragestellung der kritisierten gesellschaftlichen Verhältnisse, aber auch der Provokation. Das unmittelbare Ziel der Provokation ist dabei nicht, Identifikation mit den ProvokateurInnen herzustellen und von dieser Identifikation zu profitieren, sondern Diskussion und Widerspruch zu produzieren. Deshalb werden die inhaltlichen Ziele der Provokation nicht als durchdeklinierte Wahrheit präsentiert, sondern ergeben sich aus dem Prozess des herbeigeführten Konflikts. Letztlich hat eine solche Art von Provokation auch ein „aufklärerisches“ Anliegen, das gesellschaftlich verändernd wirken will: Menschen sollen einbezogen, konfrontiert und im übertragenen wie wörtlichen Sinne nicht unbeteiligt gelassen werden.

Um diese Wirkung zu erreichen, konstituiert jede Provokation eine Identität der jeweils Provozierten. Gänge Beispiele hierfür sind „die Spießer“, „die Heteros“, „die Herrschenden“, „das Establishment“, „der Mainstream“, etc. Für die Zielgruppe der „ambivalente Mehrheit für den Frieden“ liegt das identitätsstiftende Moment der Provokation in der Aussage: „Nur“ für Frieden zu sein, ermöglicht Krieg „mit“. Bei dem Schampussaufen der „Aktion Y“ stand hierfür das Thema der „falschen“ Trauer, so zumindest eine Interpretationsmöglichkeit dieser Provokation. Damit sollte klar sein, dass die „ambivalente Mehrheit für den Frieden“ weder Zuschauer der Provokation ist, noch gar die Rolle eines Schiedsrichters der Provokation spielen soll, um deren Gunst zu buhlen wäre. Es gilt, die Menschen dieser Mehrheit selbst zu provozieren, um sie zu involvieren.

Nun ist die Provokation zwar nicht auf eine Mehrheitsfähigkeit angewiesen, aber ihre Vermittelbarkeit ist umso wichtiger. Doch in der Provokation selbst ist eine inhaltliche Erklärung so nicht möglich und, falls Repressionen drohen, auch sonst nicht von den ProvokateurInnen zu leisten. Hier bedarf es eines Umfelds von Wohlwollenden, die diese zusätzliche Erklärungsarbeit leisten, ohne sich dafür notwendigerweise mit der Provokation in all ihren Aspekten identifizieren zu müssen. Diese Rolle des Umfeldes ist umso wichtiger, je stärker eine Provokation auf eine massenmediale Verbreitung setzt. Denn die Medien können nicht als „Partner“ in der Provokation verstanden werden, sondern bedienen sich der Provokation für ihre jeweils eigenen Ziele und deuten die Provokation entsprechend. Damit dennoch die Provokation als sparsames Mittel - mit möglichst geringen Aufwand soll eine möglichst große Wirkung erzielt werden, indem man Medien und Provozierten die Arbeit überlässt - den gewünschten Effekt erzielt, bedarf es zumindest einer inhaltliche Vorbereitung des Umfeldes der Wohlwollenden. Dies ist umso notwendiger, wenn ein vermeintlich wohlwollendes Umfeld durch die Provokation selbst identifiziert wird, wie dies bei „Tag Y“ mit der DFG-VK der Fall war.
Nicht nur hierbei müssen signifikante und schmerzhafte Fehler in Inhalt und Durchführung der Provokation „Tag Y“ konstatiert werden. Aber gerade deshalb ist eine verbandliche Diskussion notwendig, die zu einer Weiterentwicklung dieser Aktionsform beiträgt. Dazu sollte im Programm der DFG-VK klar gestellt werden, dass die Provokation als Aktionsform prinzipiell anerkannt ist, wodurch die Diskussionen um konkrete Provokationen zur Weiterentwicklung dieser Aktionsform dienen können und nicht durch allgemeine Rechtfertigungszwänge eingeengt werden.

Eugen Januschke ist promovierter Semiotiker und aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.

Mehr Informationen: http://www.bamm.de

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