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Unsere Aufgaben im Krieg20.08.2011

Plakat-Krieg desertieren

Unsere Aufgaben im Krieg
Zur Programmdebatte der DFG-VK
Von Frank Brendle für ZivilCourage 2/2011

Deutschland ist im Krieg. Generäle und Politiker schreiben ihre strategischen Richtlinien, Weißbücher usw. seit 1990 beständig fort, aber die Friedensbewegung verharrt bei ihrer Programmatik auf dem Stand des Kalten Krieges.

Beim Thema „DFG-VK im Krieg“ wird sehr deutlich, dass das Programm der DFG-VK etliche weiße Flecken aufweist. Nichts von dem, was drin steht, ist falsch, aber es ist eben längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit und trägt den aktuellen Erfordernissen nicht Rechnung. Natürlich muss ein Programm nicht auf jedes tagesaktuelle Thema eingehen. Aber es sollte jene Themen behandeln, von denen zu erwarten ist, dass sie die politische Entwicklung und das eigene Handeln auf absehbare Zeit bestimmen werden. Und genau das fehlt.

Dass Deutschland Krieg führt, ist längst mehr als nur ein „tagesaktuelles“ Ereignis. Es ist ein bestimmendes, strukturierendes Merkmal der deutschen Außenpolitik geworden. Nach 1990 wurden die Pläne, Krieg wieder zum normalen Mittel deutscher Politik zu machen, aus den Schubladen geholt und nach und nach umgesetzt und fortentwickelt. Seit der Beteiligung am Angriff auf Jugoslawien 1999 steht Deutschland ununterbrochen im Krieg, seit 2002 in Afghanistan. Ein Ende ist nicht abzusehen, und bei allem Hin und Her um die Reform der Bundeswehr ist doch eines klar: Die Orientierung am (Kriegs-)„Einsatz“ steht nicht in Frage. Die Struktur, die Bewaffnung, die Gesetzeslage, ja sogar die Zurichtung der „Heimatfront“ stehen unverkennbar unter der Maxime, dass Krieg eine jederzeit verfügbare Option ist.

Nichts davon findet sich im Programm der DFG-VK. Da ist weiter die Rede davon, dass „nach gewaltfreien Formen der Konfliktlösung“ gestrebt werde; „gesellschaftliche und ökonomische Gewaltverhältnisse in ihren Ursachen erkennen und abschaffen“ zu wollen. Unter dem Begriff „politisch handeln“ erfährt man, dass die DFG-VK sich „zunächst gegen Rüstung und Militärpolitik“ engagiert und für Abrüstung, Ächtung des Soldatentums und internationale Zusammenarbeit eintritt. Doch mit keinem Wort gehört zum politischen Handeln, wie es in unserem Programm erläutert wird, ganz konkretes Eintreten gegen die tatsächlich geführte Kriegspolitik. Dass Krieg ist, kommt im Programm einer der wichtigsten Friedensorganisationen Deutschlands nicht vor.

Das ist nicht verwunderlich: Das Programm wurde 1992 verfasst, und damals schien die Rückkehr des Krieges als Konstante deutscher Außenpolitik vielen als unvorstellbar. Doch heute muss wohl gesagt werden: Die Friedensbewegung hat in einem Land, dessen Armee seit nunmehr zwölf Jahren in unterschiedlichen Ländern Bomben wirft und Menschen tötet, mehr Aufgaben als sie das Programm benennt. Friedensarbeit darf sich nicht darin erschöpfen, für langfristige Änderungen zu werben, die zu struktureller Kriegführungsunfähigkeit führen. Dass wir diese Forderungen schon im Programm haben, ist eminent wichtig, weil es verdeutlicht, dass wir über den Tellerrand hinaus blicken. Aber darüber darf nicht der Blick auf das verloren gehen, was sich innerhalb des Tellerrandes befindet.

Ein Blick zurück in die Vergangenheit hilft uns hier leider nicht viel weiter. Guido Grünewald hat in seinem wichtigen Buch über die Geschichte der DFG dargestellt, dass sie im Ersten Weltkrieg weitgehend versagt hat.

Sie hatte ein pazifistisches Programm, aber als der Krieg dann tatsächlich vom Zaun gebrochen wurde, übernahm sie die Behauptung, das Deutsche Reich führe einen „Verteidigungskrieg“. Von den übelsten Kriegshetzern unterschied sie sich zwar dadurch, dass sie für einen „Verständigungsfrieden“ eintrat. Diese Haltung - die auch die Mehrheits-SPD vertrat - führte in der Konsequenz aber auch nur zu einer Verlängerung des Krieges. Eine einseitige Abrüstung bzw. ein Waffenstillstand, der die Gefahr der militärischen Niederlage bedeutet hätte, wurde genauso abgelehnt wie Kriegsdienstverweigerung.

Es gab vereinzelte DFG-Aktive, die ihrem Pazifismus treu blieben und es dafür in Kauf nahmen, dass ihre bürgerlichen Karrieren ruiniert wurden, aber die Führung der DFG hoffte, wie es Grünewald formuliert, „ihre nationale Zuverlässigkeit unter Beweis stellen und aus dem gesellschaftlichen Ghetto ausbrechen zu können.“ Bei manchen mag das Ausdruck von Opportunismus gewesen sein, bei den meisten kann aber wohl unterstellt werden, dass sie subjektiv ehrlich Patrioten gewesen waren, für die ein Untergang ihres „Vaterlandes“ eine noch größere Katastrophe gewesen wäre als der Krieg.

Die programmatische Grundlage für die Anti-Kriegs-Arbeit fehlt

So schlimm ist es in unserer DFG-VK natürlich bei weitem nicht. Sie ist eine der wichtigsten Kräfte, die sich in Deutschland gegen den Afghanistan-Krieg engagieren. Aber: Unsere Anti-Kriegs-Arbeit entbehrt einer programmatischen Grund- lage. Wir haben nie darüber geredet, was ein Engagement gegen die deutsche Kriegspolitik für uns wirklich bedeutet. Ein Großteil der Spannungen, die es im Verband gibt, rührt daher, dass wir uns die Frage: Was sind unsere Aufgaben im Krieg, welches sind unsere Mittel, was bedeutet das für unsere Stellung in dieser Gesellschaft, bislang nicht gestellt haben.

Der Grundkonsens der DFG-VK ist notwendig, aber nicht ausreichend: „Ich bin entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten“, heißt es in der Grundsatzerklärung. Doch „gegen Kriegsursachen“ zu arbeiten, sagt nichts darüber aus, wie man gegen aktuelle Kriege zu wirken gedenkt, und die Verpflichtung, „keine Art von Krieg zu unterstützen“, entbehrt des Aufrufs zu praktischer Arbeit gegen den Krieg.

Dabei können wir von Glück reden, dass uns die Gretchenfrage, ob wir mit unsere Ablehnung deutscher Kriegspolitik so weit gehen würden, eine Niederlage Deutschlands in Kauf zu nehmen, nicht wirklich stellen müssen bzw. nur in sehr abgeschwächter Form: Eine Niederlage am Hindukusch wiegt schließlich nicht so schwer, wie es die Niederlage etwa im Ersten Weltkrieg tat.

Aber wenn wir uns darin einig sind, dass unser Pazifismus uns verpflichtet, die Kriegführungsfähigkeit des Staates nicht nur langfristig und strukturell, sondern auch so praktisch wie möglich zu beeinträchtigen, rührt sogleich die Frage der Mittel ans Selbstverständnis. Zu den bislang üblichen Mitteln gehören im Wesentlichen aufklärende, demonstrative und appellative Aktionen: Demonstrationen, Flugblätter, Vorträge, Unterschriftensammlungen, Artikel. Das bleibt eine unverzichtbare Aufgabe auf lange Zeit - eine Zeit, die aber jene Afghaninnen und Afghanen, die schon heute Opfer deutscher Waffen werden, nicht haben. Unsere Mittel werden pazifistisch bleiben, können aber sehr wohl Formen der Sabotage beinhalten: politische Sabotage, welche die kriegsbefürwortende Propaganda stört - hier sei auf den Artikel von Eugen Januschke zur Provokation als Aktionsmittel in der letzten ZivilCourage hingewiesen.

Indirekte Sabotage in Form von Blockaden oder Zivilem Ungehorsam gehören dazu. Die direkte Sabotage, etwa das Unschädlichmachen von Kriegsgerät, gehört hingegen bisher nicht zum Selbstverständnis der DFG-VK. Das verwundert, weil ein Blick ins Ausland zeigt, das es dort etliche Friedensgruppen mit durchweg pazifistischem, häufig christlichem, Selbstverständnis gibt, die das Zerstören militärischer Flugzeuge, Fahrzeuge, Schusswaffen, Radaranlagen als legitimes Mittel betrachten, genannt sei hier nur die Pflugscharbewegung.

Die Frage, wie sich die DFG-VK im Krieg verhält, kann ihre Stellung in der Gesellschaft entscheidend beeinflussen. „Im Frieden“ suchen wir nach Mehrheiten gegen den Krieg. Aber wenn der Krieg da ist, und wir immer noch entschieden gegen ihn arbeiten, kann uns dies Sympathien kosten. Denn zu einer Gesellschaft, die den Krieg mit - sei es freundlichem oder unfreundlichem - Desinteresse hinnimmt, stehen wir zwangsläufig in Opposition. Manche werden unsere Forderung nach Ächtung des Soldatentums unerträglich finden, wenn ihre Angehörigen in Uniform unter akutem Beschuss stehen, oder sie fürchten schlichtweg einen Wohlstandsverlust, wenn Deutschland den Krieg verliert. Und es ist klar, dass eine politische Kraft, die entschieden gegen die Kriegspolitik des Staates agiert, sich bei den staatlichen Behörden extrem unbeliebt macht. „Droht“ diese Kraft relevante Wirkungen zu entfalten, muss sie mit entsprechender Diffamierung und Verfolgung rechnen. Davon können in der DFG-VK sämtliche politischen Schattierungen, von Jürgen Grässlin bis zu den Berliner BamM-AktivistInnen, ein Lied singen.

Das Schielen nach Wohlgelittenheit in Staat und Gesellschaft darf unser Handeln also nicht bestimmen. Andererseits dürfen wir mit einer auch kurzfristig-interventionistischen antimilitaristischen Politik auch nicht geradewegs in die Kriminalisierungs- und Diskriminierungsfalle tappen. Wie dieser Spagat zu meistern geht - das wäre eine dringlich zu führende Debatte, die mindestens dies voraussetzt: Ein hohes Maß an Experimentierfreudigkeit und Solidarität sowie ein aktives Werben für Notwendigkeit und Legitimität vielfältiger Protestformen.

Auch die Stellung der DFG-VK zu den Soldaten ändert sich: „Im Frieden“ agitieren wir für Kriegsdienstverweigerung, gegen Rekrutierungen usw. Wir sprechen zu Soldaten als Menschen, die ja eigentlich auch keinen Krieg wollen können, die nur einen Job suchen und die es aufzuklären gilt. Aber wenn sie diesen Krieg dann führen und sich als unempfänglich für unsere Argumente erweisen - was bedeutet dann „Ächtung des Soldatentums“? Der in Deutschland herrschende Konsens lautet derzeit: Den Krieg darf man für falsch halten, aber den Soldaten muss man mit Achtung begegnen. Dabei läuft das dann doch nur darauf hinaus, den Krieg zu dulden. Eine Ächtung von Soldaten, die sich einer Armee anschließen, die Angriffskriege durchführt und Massaker befiehlt, ist unerlässlich. Wir verachten sie, weil sie die Menschen- und Lebensrechte anderer aufs Äußerste missachten - aber wir weisen ihnen zugleich den Weg, wieder zu „anständigen Mitbürgern“ zu werden: Durch Desertion und Kriegsdienstverweigerung.

Die DFG-VK präsentiert sich heute als Verein, der sich tapfer gegen den Krieg engagiert, aber gar nicht genau weiß, wie er eigentlich dazu kommt. Alle (alle, die sich überhaupt engagieren) reden vom Afghanistan-Krieg, aber das Programm der DFG-VK suggeriert immer noch, der Krieg sei etwas, das in weiter Ferne liegt und durch beharrliche pazifistische Arbeit abzuwenden sei. Es ist von gestern und gibt keinerlei Anleitungen für die heute so wichtige pazifistische Arbeit.

Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, das Programm hopplahopp umzuschreiben und per Mehrheitsbeschluss neue Aktionsmethoden und Selbstverständnisse festzuschreiben. Es geht aber darum, endlich die Debatte zu führen, wie genau wir uns eigentlich vorstellen, den Militärs ganz praktisch ins Handwerk zu pfuschen.

Frank Brendle ist ZivilCourage-Redakteur und aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.



Mehr Informationen: http://www.zc-online.de

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