Dies ist das Archiv der alten DFG-VK-Webseite. Sie war von 2007 bis 19. Oktober 2015 online. Schau Dich gern um.
Die aktuelle Seite findest Du unter www.dfg-vk.de.

Der Westen und die arabischen Revolutionen28.03.2011

Zivilcourage 2011-01

Von Tobias Pflüger (für Zivilcourage 1-2011)

Die Aufstände in arabischen Ländern haben manche überrascht, darunter auch so manche westliche Regierung wie die der Bundesrepublik. Seit Jahren hatte und hat die deutsche Regierung die besten Beziehungen zu den verschiedenen arabischen Herrschern, egal wie brutal und undemokratisch diese herschten oder herrschen.

Für Deutschland - wie für die anderen EU-Ländern sowie die USA und Israel - waren und sind die despotischen arabischen Herrscher die Garanten für „Stabilität“ in der Region. Jahrelang wurden und werden bis heute diese autoritären arabischen Despoten gestützt gegen eine vermeintliche „islamistische“ Gefahr. Davon profitierten Mubarak in Ägypten, Ben Ali in Tunesien und davon profitieren bis heute alle anderen arabischen Herrscher von Marokko über Bahrain und Saudi-Arabien bis Dschibuti (das übrigens einen Bundeswehr-Stützpunkt hat). Dafür wurden und werden Wahlergebnisse von Wahlen wie denjenigen in Algerien oder in Palästina dann einfach nicht anerkannt.

Aber vor allem wurde diesen undemokratischen arabischen Regimes „geholfen“ von westlichen Regierungen und Industriekonzernen, nicht nur mit Waffenhilfe, also Rüstungsexporten, sondern auch mit Ausbildungs- und Ausstattungshilfe. Bei der Bundeswehr wurden und werden Soldaten der verschiedenen arabischen Staaten ausgebildet. Die Polizei und den Präsidenten untergeordnete Milizen, die z.B. in Ägypten und Tunesien diejenigen waren, die zum Teil noch viel brutaler gegen DemonstrantInnen vorgingen als die Armee, waren nicht selten ausgebildet worden mit Hilfe westlicher Staaten - darunter auch Deutschland. Ich konnte mir in Vicenza in Italien selbst ein Bild davon machen wie die EU, EU-Staaten und die G8 Polizisten, Militärs und Milizen nicht nur aus den arabischen Ländern ausgebildet haben, explizit auch in Aufstandsbekämpfung. Aus westlichen Staaten stammen somit nicht selten denn auch Waffen und sonstige Ausrüstung der Polizei, Armee und Miliz, die in den meisten arabischen Ländern noch die Macht der despotischen Herrscher absichern. Bei Reisen in diese arabischen Länder im Rahmen meines damaligen Mandats im Europäischen Parlament konnte ich das selbst wiederholt in Augenschein nehmen.

Es ist endlich an der Zeit, dass Deutschland - wie die anderen EU-Staaten und die USA, Israel, Russland und China - diese Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für autoritäre Regime endlich stoppen; das gilt nicht nur für die arabischen Länder, sondern auch für afrikanische und lateinamerikanische Länder.


„Flüchtlingsabwehr
zum Schutz des Westens“

Die Despoten der arabischen Länder sind noch aus einem weiteren Grund enge Freunde der westlichen Regierungen. Sie haben die Drecksarbeit gemacht bei der Absicherung der Europäischen Union gegen Flüchtlinge, durch Errichtung von Lagern mit EU-Geldern in ihren Ländern und „frühzeitiges“ Abfangen der Flüchtlinge an der Mittelmeerküste, bevor sie in die Arme von Frontex geraten. Die Genfer Füchtlingskonvention wurde hier völlig aus Kraft gesetzt. Das Bild von Berlusconi und Gaddafi bei der Unterzeichnung von Vereinbarungen gegen Flüchtlinge ist nur das ekelhafte Sinnbild für diese mörderische EU-Flüchtlingspolitik mit den arabischen Despoten.

Und jetzt marschiert der Westen wieder ein in den arabischen Ländern. Vorerst offensichtlich nicht militärisch - wobei ein solcher militärischer Einmarsch in Libyen real droht -, nein, es wird mit wirtschaftlicher und politischer Hilfe „einmarschiert“. Westerwelle und Niebel geben Millionenbeträge frei, um z.B. Parteienaufbau nach westlichen Vorbild in Tunesien und Ägypten zu fördern. Damit gestaltet sich der Westen die aufkeimenden Demokratien in diesen Ländern nach seinem Geschmack.

Diese „Demokratiehilfe“ des Westens ist gefährlich. Damit werden in den Revolutionsbewegungen der einzelnen Ländern diejenigen gefördert, die prowestlich sind, und diejenigen z.B. in Tunesien und Ägypten, die eine eher unabhängige, ja sogar linke Politik machen wollen, schon rein finanziell an den Rand gedrängt. Die Europäische Union ist sehr raffiniert in dieser „Demokratiehilfe“, sie hat dazu einige umfangreich ausgestatte Finanzierungsinstrumente wie das Nachbarschafts- oder das Stabilitätsinstrument. Es werden Milliarden Euro in die arabischen Länder fließen, um sie möglichst pro-westlich und kapitalfreundlich zu halten. Dann kann auch weiterhin Ausbildungs- und Ausstattungshilfe fließen.

Das Horrorszenario für die westlichen Regierungen sind säkulare, unabhängige, sozial orientierte, linke und dem Westen gegenüber kritische Entwicklungen in den arabischen Ländern. Wir sollten hierzulande öffentlich machen, was in diesen arabischen Revolutionen auch in diesem Bereich vorhanden oder am Entstehen ist, auch damit die arabischen Revolutionen nicht vom Westen gestohlen werden.

Tobias Pflüger ist seit Jahren in der DFG-VK aktiv, ist Mitinitiator der Informationsstelle Militarisierung (IMI), war Mitglied des Europäischen Parlaments und des Rats der War Resisters' International (WRI) und ist seit dem letzten Jahr Mitglied im Parteivorstand Die Linke.
--------------------------------------

DFG-VK-Themenseite zum Krieg in Libyen

Mehr Informationen: http://www.zc-online.de

[zurück]

Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen • 2018 • Impressum