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Brisante Erkenntnisse im G36-Deal20.12.2010

Zivilcourage 2010 05 Die NATO - altes Kriegsbündnis mit neuer Strategie

Heckler & Koch soll illegal Gewehre an die mexikanische Polizei geliefert haben
(Von Jürgen Grässlin für Zivilcourage 5-2010)

Bei Heckler & Koch ist Feuer unterm Dach: Mit Wissen der H&K-Geschäftsleitung sollen verbotenerweise G36-Gewehre, später auch Ersatzteile in mexikanische Unruheprovinzen exportiert worden sein. Die Strafanzeige wegen des Verdachts illegaler Waffenlieferungen wurde bereits im April 2010 gestellt. Das Zollkriminalamt in Köln und die Staatsanwaltschaft ermitteln seither.

Was dem zuständigen Stuttgarter Staatsanwalt bei bereits erfolgten Zeugenvernehmungen mitgeteilt worden ist und was er bei kommenden Vernehmungen noch erfahren dürfte, weist den Weg zu einem Rüstungsexportskandal auf allerhöchster Ebene: So sollen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz verletzt, das Bundesausfuhramt und letztlich der Bundessicherheitsrat unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel getäuscht worden sein. Die Bundesregierung reagierte offenbar mit einem bis dato geltenden Genehmigungsstopp für H&K-Waffenexporte nach Mexiko.

Meine neuerlichen Recherchen haben nunmehr ergeben, dass der Fall noch brisanter ist als bislang bekannt: Trotz katastrophaler Menschenrechtslage, jahrelanger Verwicklungen von Polizeien in schwerste Menschenrechtsverletzungen und weit verbreiteter Korruption in Reihen der Polizei haben mehrere Experten der Waffenschmiede sogar die Schießausbildung von Polizeien vor Ort höchstpersönlich mit übernommen - wohlgemerkt auch in verbotenen Provinzen. So jedenfalls lauten präzise formulierte Vorwürfe, die aus dem Unternehmen heraus gegen die Unternehmensführung erhoben werden.

Die H&K-Geschäftsleitung zeigt sich empört: Allein schon der Vorwurf der G36-Lieferung in verbotene Unruheprovinzen sei „absurd“, verkündet der Leiter der H&K-Rüstungsexportkontrolle, Peter Beyerle. Doch die Abwiegelungsstrategie ist angesichts der erdrückenden Faktenlage zum Scheitern verurteilt.


„Orangen“ fordern Opfer

Die Mexiko-Connection des Gewehrproduzenten Heckler & Koch GmbH in Oberndorf am Neckar reicht in die 1970er zurück. Bereits damals dealte der H&K-Handlungsreisende Armin Bähr - Deckname „Vincente“ - mit Polizeien, Militärs und Geheimdiensten.

Bährs Bemühungen sind kein Einzelfall: Mit Unterstützung der Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte kann Heckler & Koch auf eine Jahrzehnte währende Tradition des Waffenhandels mit Scheindemokraten und Diktatoren in Afrika, Asien und Lateinamerika zurückblicken, die weltweit ihresgleichen sucht. Das Ergebnis ist bekannt: Rund 11 Millionen H&K-Waffen sind weltweit im Dauereinsatz, mehr als 1.500.000 Menschen haben bislang ihr Leben durch Kugeln aus dem Lauf einer von H&K entwickelten Waffe verloren, weitaus mehr sind zeitlebens verstümmelt. Schier konkurrenzlos ist Heckler & Koch „Deutschlands tödlichstes Unternehmen“.

Vincente war einer der Erfolgreichen seiner Branche. „Der kannte alle notwendigen Tricks, alle Wege“, berichtet ein Firmenmitarbeiter rückblickend. Bährs Adressaten saßen in Chile, Uruguay, Ecuador, Kolumbien und eben Mexiko. Dort betrieb Armin Bähr seine Geschäfte auch mit Behördenvertretern. Bei seinen Waffendeals bediente sich der H&K-Repräsentant im August 1977 eines kreativen Mexiko-Codes für Horst Zimmermann: Das Heer hieß „Hase, „Paul“ bezeichnete den Verteidigungsminister, „Storch“ die Polizei, hinter dem „Dichter“ versteckte sich der Staatspräsident. H&K-Waffen trugen Namen von Südfrüchten: G3-Gewehre und Scharfschützengewehre vom Typ SG1 wurden als „Bananen“ bezeichnet, hinter „Orangen“ versteckten sich HK33-Gewehre.

Deals wie diese begründeten eine Jahrzehnte währende Waffenbrüderschaft. Mit der Lizenzvergabe für das G3 wurden bei Fábrica de Armas Schnellfeuergewehre gefertigt. Die Endverbleibserklärung datiert vom 27. Juni 1979. Zudem erhielt Mexiko eine Lizenz für die Maschinenpistole MP5, deren Produktion gleichfalls bei Fábrica de Armas erfolgte. Der Einsatz von H&K-Gewehren, beispielsweise gegen wehrlose Demonstranten und gegen Bauern in Chiapas, ist eine eigene Geschichte.

Jahrzehnte lang funktionierte die Mexiko-Connection, ehe sie für mehrere Jahre auf ein vergleichsweise niedriges Niveau absank. Dem sollte abgeholfen werden.


G36 - Wiederbelebung des Waffenmarktes Mexiko

Vincente ist längst in Rente, andere sind nachgefolgt, beispielsweise Axel Haas, der Sachbearbeiter für den Vertrieb Mexiko. Seit September des Jahres 2002 war Heckler & Koch erneut in Mexiko aktiv und suchte bei den dortigen Streitkräften, Polizei- und Sicherheitskräften neue Kunden zu gewinnen. Mit Erfolg, denn drei Jahre danach kam es zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung zwischen der Oberndorfer Waffenschmiede und der staatlichen mexikanischen Im- und Exportfirma DCAM. Das Kontingent belief sich auf mehrere tausend Waffen.

Im Frühjahr 2006 startete Heckler & Koch in Mexiko-Stadt eine Marketingoffensive. Das Ziel: G36-Sturmgewehre - die zu den präzisesten und damit tödlichsten „Assault Rifles“ weltweit zählen - bei verschiedenen Länderpolizeien in Mexiko abzusetzen.

Hierzu wurde in der mexikanischen Hauptstadt eine Präsentationsveranstaltung bei der staatlichen Beschaffungszentrale DCAM unter der Führung von General Aguilar durchgeführt. Geladen waren Vertreter von Länderpolizeien aus den Bundesstaaten Mexikos, die fast vollzählig anwesend waren. Zudem waren bei dieser Waffenpräsentation die mexikanische HK-Vertretung der Firma Lamar und auch vier namentlich bekannte Mitarbeiter von Hecker & Koch zugegen.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Mit Abschluss der Präsentation zeigten sich Vertreter mexikanischer Länderpolizeien beeindruckt und äußerten großes Interesse am Kauf von G36-Gewehren. Sodann konnte Peter Beyerle, bei Heckler & Koch bis heute der zuständige Leiter für Recht, Behördenkontakte, Öffentlichkeitsarbeit und Exportkontrolle, im ersten Halbjahr 2006 mit deutschen Regierungsvertretern sprechen. Beyerle wollte wissen, ob er nach Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz eine Genehmigung für den Export von G36-Gewehren in alle mexikanischen Bundesstaaten erhalten könne. Kurz nach der Voranfrage stellte die Firma Heckler & Koch Oberndorf einen entsprechenden Exportantrag für die G36.

Das Freizeichen ließ nicht lange auf sich warten. Bereits im Sommer 2006 lag die Genehmigung für den Export von G36-Gewehren nach Mexiko vor. Sie war allerdings an eine Bedingung geknüpft: Heckler & Koch durfte wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen keinesfalls G36 nach Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco liefern. Diese vier Bundesstaaten mussten aus dem Genehmigungsantrag gestrichen werden.


Millionengeschäfte mit Mexiko

In der Folge hielt Peter Beyerle Rücksprache mit seinem zuständigen Vertriebsmitarbeiter und der HK-Vertretung Mexiko. Die vier mit einem Waffenexportverbot belegten Bundesstaaten wurden aus dem bisherigen Genehmigungsantrag gestrichen, die Ausfuhrgenehmigung erneut beim Bundesausfuhramt (Bafa) in Eschborn beantragt. Nach der Rücksprache mit dem Bundeswirtschaftsministerium landete der G36-Exportantrag offenbar auch beim Bundessicherheitsrat.

Dieses höchste regierungsamtliche Gremium entscheidet unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin Angela Merkel und acht weiteren stimmberechtigten Mitgliedern in geheimer Sitzung über besonders brisante Waffentransfers. Zum damaligen Zeitpunkt gehörte Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dem Bundessicherheitsrat an. Im Glauben daran, dass die vier besagten Bundesstaaten Mexikos nicht beliefert werden würden, genehmigten Merkel, Steinmeier und die weiteren Minister den G36-Exportantrag aus dem Hause Heckler & Koch. Desgleichen stimmte das Bundesausfuhramt zu.

In Oberndorf konnten die Sektkorken knallen. Denn in mehreren Tranchen durften im Jahr 2006 mehr als 2.000 G36-Gewehre aus dem genehmigten Gesamtvolumen von vorerst 5.000, später sogar rund 8.000 Sturmgewehren bis 2009 nach Mexiko geliefert werden.

In den offiziellen Rüstungsexportberichten der Bundesregierung spiegeln sich die G36-Lieferungen wider. Im Jahr 2005 wurden lediglich 18 Einzelgenehmigungen für Gewehre erteilt, in den Folgejahren stieg diese Zahlen exorbitant an: So erfolgten im 2006 bereits 2.025 Einzelgenehmigungen für Gewehre, 2007 sogar 6.667. Finanziell ist dieser Deal ein lohnendes Geschäft, wie die regierungsamtlichen Rüstungsexportberichte gleichsam ausweisen: Der Wert der Lieferungen dieser 8.710 Gewehre belief sich in den besagten drei Jahren auf beachtliche 7.783.352 Euro.

Die Sache hatte einen Haken: Nach gesicherten Angaben sollen bereits 2006 über die DCAM G36-Gewehre auch in mexikanische Bundesstaaten gelangt sein, deren Export ausdrücklich von der Genehmigung durch die Bundesregierung bzw. das Bafa ausgenommen waren.


Fauxpas bei der Antragstellung für die Exportgenehmigung von G36-Ersatzteilen

Bereits im Laufe des Jahres 2007 erteilten verschiedene Länderpolizeien mexikanischer Bundesstaaten Folgeaufträge für das G36. Sie benötigten Ersatzteile für das Sturmgewehr, beispielsweise Tragebügel mit optischem Visier und vieles andere mehr. Zudem wurden vermutlich 40-mm-Granatwerfer von Heckler & Koch bestellt. Unter den Bestellern der G36-Ersatzteile befanden sich auch Länderpolizeien der Bundesstaaten, die offenbar unerlaubterweise G36-Gewehre geliefert bekommen hatten.

Dass Gewehre im Gebrauch Verschleißerscheinungen zeigen und schnell Ersatzteile benötigt werden, ist bekannt. Weniger bekannt dürfte sein, wie lukrativ derartige Geschäfte sind. So belief sich der Wert der 2007 erfolgten Einzelgenehmigungen für Bestandteile der genehmigten Gewehrexporte auf beachtliche 1.363.934 Euro - und damit rund das Achtzehnfache des Vorjahres.

Erneut wurde der Leiter der H&K-Exportkontrolle tätig. Mit der Nachfrage aus Mexiko beantragte Peter Beyerle beim Bundesausfuhramt die Genehmigung für den Export der gewünschten G36-Ersatzteile. Dabei passierte den H&K-Antragsstellern ein folgenschwerer Fauxpas: Durch Unachtsamkeit sollen auf der im Antragsformular vorgegebenen Endverbleibserklärung auch die verbotenen Bundesländer in Mexiko als Empfänger und Lieferanschrift für die Ersatzteile angegeben worden sein.

Beim Bundesausfuhramt wurde man hellhörig. Wie konnte es sein, dass Heckler & Koch Ausfuhrgenehmigungen für Ersatzteile selbst in mexikanische Bundesstaaten anforderte, in die doch der Export der G36-Gewehre untersagt worden war? Umgehend hakte das Bundesausfuhramt bei der Oberndorfer Waffenschmiede nach, wie sich diese Nachfragen nach Ersatzteilen aus den vier Unruheprovinzen erklären ließen, die über diese Waffen offiziell gar nicht verfügten. Schriftlich erklärte H&K daraufhin: Hierbei habe es sich um ein Versehen gehandelt, das sich EDV-technisch aus der ursprünglichen Erstanfrage für den G36-Export ergeben habe.

Mit Unterzeichnung der Endverbleibsklausel hatte sich der schwäbische Waffenbauer verbürgt, dass weder G36-Gewehre noch deren Ersatzteile in die vier in bürgerkriegsähnlichen Zuständen befindlichen Bundesstaaten gelangten, geschweige denn geliefert würden. Treffen die aus dem Unternehmen heraus zugespielten umfassenden Informationen zu, dann hat Heckler & Koch sowohl die Bundesregierung als auch das Bundesausfuhramt bewusst getäuscht. Schließlich hat H&K den Eindruck erweckt, der Gewehrexport sei genehmigungsgetreu abgelaufen und - so der Vorwurf - rechtlich untersagte Lieferungen in verbotene Bundesstaaten in Mexiko verschleiert.

Vieles spricht dafür, dass diese Aussagen und Angaben seitens Heckler & Koch nicht der Wahrheit entsprechen und die G36-Gewehre und deren Ersatzteile wissentlich, gezielt und geplant auch in die untersagten mexikanischen Bundesstaaten geliefert worden sind.


Korruption und schwerste Menschenrechtsverletzungen

Gemäß einem von der mexikanischen Regierung in Auftrag gegebenen Report gilt fast die Hälfte von rund 55.000 untersuchten Polizisten als „unzuverlässig“. Bereits im Dezember 2008 erklärte Präsident Felipe Calderòn, dass die Polizei im Kampf gegen das organisierte Verbrechen ein immenses Hindernis darstelle. Die Gegenmaßnahmen zur Korruptions- und Verbrechensbekämpfung gehen bis hin zur Überwachung von Polizisten durch Satelliten wie in der Industriestadt Querétaro nordwestlich von Mexiko-Stadt - nur eines von vielen Beispielen.

Warum Waffenexporte an mexikanische Polizeikräfte besonders folgenschwer sind, weiß auch amnesty international. Bereits im Jahr 2006 - als die Bundesregierung den Export von 2025 Gewehren nach Mexiko genehmigte - prangerte die Menschenrechtsorganisation zahlreiche Fälle des Waffengebrauchs von Seiten der Polizei gegen missliebige Oppositionelle an. Beispielsweise gingen Polizeieinheiten des Bundesstaates Oaxaca - immerhin einer der legal mit deutschen Waffen belieferbaren Bundesstaaten - „mit exzessiver Gewalt gegen streikende Lehrer vor“. Weiter führte amnesty international aus, dass Polizeikräfte in Zivilkleidung Unterstützer der oppositionellen Organisation APPO durch Schusswaffengebrauch getötet hätten. Mitgliedern der Justizpolizei von Chihuahua warf ai Folter vor.

Im Jahr 2007 - mit 6.667 genehmigten Gewehrexporten Top 1 der H&K-Lieferjahre - wurden laut ai „in Mexiko erneut eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen begangen“. In seinem Jahresbericht stellt amnesty international für 2007 fest: „Mehrfach gingen Polizeikräfte bei der Auflösung von Demonstrationen mit exzessiver Gewalt vor“, des Weiteren warf ai Polizisten die Anwendung von Folter vor.

Fälle des Einsatzes von Waffengewalt durch Polizeien gegen missliebige Bürgerinnen und Bürger waren und sind in Mexiko an der Tagesordnung. Im Jahr 2008 verantworteten Angehörige von Militär und Polizei laut ai „schwere Menschenrechtsverletzungen wie exzessive Gewaltanwendung, willkürliche Inhaftierung, Folter und ungesetzliche Tötungen“. Im Oktober 2008 wurden sechs indigene Einwohner in Chiapas von Polizeikräften erschossen.

Bis heute hat sich nichts an den Gewaltexzessen gegenüber Polizisten - beispielsweise durch die Drogenmafia -, aber auch durch Polizeieinheiten geändert: „Auch die Polizeikräfte des Bundes, der Bundesstaaten und der Kommunen begingen weiterhin in mehreren Bundesstaaten schwere Menschenrechtsverletzungen“, schreibt ai im Menschenrechtsreport für das Jahr 2009. Zu ihnen zählt erneut die „exzessive Gewaltanwendung“. Todesdrohungen wurden u.a. von Polizisten in Chihuahua bei einem Verhör angewandt. Im Bundesstaat Chiapas - wie Chihuahua eine der vier offiziellen „Unruheprovinzen“ - erschoss die Polizei drei Migranten.

Die Liste von Menschenrechtsverletzungen durch mexikanische Polizeikräfte ließe sich beliebig fortführen. Jetzt gilt es zu recherchieren, wann und wo G36-Gewehre von Heckler & Koch als Drohmittel oder gar als Schusswaffe im Einsatz waren.


Strafanzeige gegen die H&K-Führung

Licht ins Dunkel lässt sich seitens der Staatsanwaltschaft Stuttgart durch Zeugenbefragungen und die Auswertung der vorliegenden Dokumente bringen. Vertreten durch meinen Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer habe ich am 19. April 2010 Strafanzeige gegen die Führungsriege von Heckler & Koch gestellt, u.a. gegen die H&K-Geschäftsführer Peter Beyerle und Martin Lemperle und den Hauptgesellschafter Andreas Heeschen, zugleich Mitglied im H&K-Beirat.

Der Vorwurf lautet auf Verstoß „gegen das Außenwirtschaftsgesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie aller anderer in Betracht kommender Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften“.


Lügen haben kurze Beine

Schenkt man den Oberen des Oberndorfer Unternehmens Glauben, dann hat Europas größter Hersteller von Gewehren und Pistolen G36-Sturmgewehre ausschließlich mit Genehmigung des Bundessicherheitsrats bzw. des Bundesausfuhramtes an mexikanische Sicherheitskräfte geliefert. Weder Waffen noch Mitarbeiter seien in die mexikanischen Unruheprovinzen entsandt worden. „Alle Waffen, die an Mexiko geliefert wurden, gingen an eine zentrale Beschaffungsstelle“, so der H&K-Hauptgesellschafter Andreas Heeschen. Die mexikanische Seite habe Endverbleibserklärungen abgegeben, eine „direkte Lieferung in bestimmte mexikanische Bundesstaaten“ sei „somit gar nicht möglich“.

Selbstverständlich dürften die Waffen nicht direkt von Oberndorf in die Unruheprovinzen geliefert worden sein. Für die Umsetzung von Waffengeschäften gibt es die H&K-Vertretung Lamar und die staatliche DCAM vor Ort. Interessanterweise belegt ein offizielles Anerkennungsschreiben tagesgenau, wann Heckler & Koch-Repräsentanten mexikanischen Sicherheitskräften der Polizeiakademie Gewehre vorgeführt haben - wohlgemerkt das „fusil HK G-36“. Und auch der Ort spricht für sich: Guadalajara, die Bundeshauptstadt von Jalisco - eine der vier verbotenen Bundesstaaten mit katastrophaler Menschenrechtslage.

Die Geschäftsleitung kommt nicht umhin, einzugestehen, dass Mitarbeiter des Unternehmens eben doch in Unruheprovinzen gereist sind - was sich sogar termingenau belegen lässt. Derlei Reisen waren allerdings kein Einzelfall, H&K-Waffenexperten wurden zu Wiederholungstätern. Dem Bundessicherheitsrat hat man dagegen vorgegaukelt, man halte sich an die Vorschriften. Wenn sich Frau Merkel und ihre Minister getäuscht sehen, kann man das nachvollziehen.

Notgedrungen ruft man bei Heckler & Koch jetzt Plan B aus. Man habe mexikanischen Polizisten - wohlgemerkt im mit Belieferungsverbot belegten Bundesstaat Jalisco - lediglich Sicherheitsunterweisungen an G36-Gewehren erteilt. Doch auch diese Behauptung wird einer kritischen Überprüfung nicht lange standhalten. Denn bei den Waffenvorführungen der G36 sei es eben nicht „nur“ um Sicherheitseinweisungen gegangen, wie die H&K-Führung vorgibt, sondern auch um die Ausbildung mexikanischer Polizeien am G36-Gewehr, heißt es aus gut informierten Kreisen.


Peter Beyerle - vom Landgerichtspräsidenten zum Waffenhändler?

Peter Beyerle, einer der Beschuldigten der Strafanzeige, ist in Juristenkreisen und auch in der Öffentlichkeit kein Unbekannter. Nach gut siebenjähriger Amtszeit war der vormalige Präsident des Landgerichts Rotteil - dem Landkreis, in dem die Heckler & Koch GmbH ihren Stammsitz hat - zum 30. November 2005 in den Ruhestand getreten.

Anlässlich der Inauguration des Beyerle-Nachfolgers Dr. Bernhard Keihl lobte der baden-württembergische Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll (FDP) Beyerle als einsatzbereiten, offenen, engagierten und menschlich immer geradlinigen Richter, dem sein Beruf wie auf den Leib geschneidert gewesen sei. Beyerle habe „mit einer weit überdurchschnittlich ausgeprägten juristischen Begabung, genauer Kenntnis der Rechtsprechung und hervorragendem Judiz jede Herausforderung seiner langen Dienstzeit glänzend bewältigt“. Zum Ende seiner Amtszeit dankte der Justizminister Beyerle für dessen „herausragende Leistungen“.

Stimmen aus dem Unternehmen lassen keine Zweifel daran aufkommen, dass der vormalige Präsident des Landgerichts Rottweil auch seiner vermeintlichen Seriosität wegen in die H&K-Geschäftsführung geholt worden ist. Bei Behördenkontakten hätten Beyerle die Türen offen gestanden. So soll der oberste Export„kontrolleur“ nicht nur vom Mexiko-Deal gewusst haben, sondern tiefer verstrickt sein - dabei sei nicht nur an die Genehmigungen der Reisen gedacht. Auch wenn Peter Beyerle am 11. November seinen 70. Geburtstag freudig gefeiert haben sollte, mag man in diesen Tagen doch nicht in seiner Haut stecken. Denn die Lage ist weitaus prekärer, als die Geschäftsführung zurzeit noch eingesteht.


Abwiegelungsstrategie der H&K-Geschäftsführung wird scheitern

Unsere „Geräte“ - bei Heckler & Koch spricht man nicht gerne von „Waffen“ - sind dort, weiß ein Insider. Gemeint sind Unruheregionen Mexikos, die aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage niemals G36-Gewehre aus der Oberndorfer Fabrikation hätten erhalten dürfen. „Wir haben mexikanischen Polizisten sowohl die Handhabung der Waffen als auch deren Instandsetzung vermittelt“, also auch die Bedienung der G36-Gewehre und die Wiederinstandsetzung bei technischen Störungen.

Damit nicht genug: Beim Ausbildungsschießen soll sogar der Einsatz der Gewehre praktisch geprobt worden sein. Treffen die noch weitaus detailreicheren Ausführungen zu, dann wird es ernst für die H&K-Geschäftsführung. Reisen von gleich mehreren H&K-Mitarbeitern in verbotene Unruhprovinzen sollen von ganz oben genehmigt gewesen sein. Kein Wunder also, dass die Wellen auch in Mexiko hochschlagen. In einem mehrseitigen Beitrag berichtete das Politikmagazin Proceso über „Die Invasion der G36“.

Angesichts der Bedrängnis könnte die Heckler & Koch-Führung alsbald versuchen, die Verantwortung auf untergeordnete Mitarbeiter abzuwälzen, die in ausführender Funktion in den Exportdeal involviert gewesen sind. Doch auch diese werden sich zu wehren wissen. Das Problem für die H&K-Oberen liegt auf der Hand: Die Exportbeteiligten der Führungsriege der Oberndorfer Waffenschmiede sind bekannt, desgleichen die näheren Umstände und Verläufe der Reisen der H&K-Mitarbeiter in die Unruheprovinzen, ja sogar zahlreiche Details dieses vermeintlich illegalen Deals mit G36-Gewehren und deren Ersatzteilen sowie der Ausbildung mexikanischer Polizeien an der Waffe.
Jetzt ist die Staatsanwaltschaft am Zug.

Jürgen Grässlin ist DFG-VK-Bundessprecher und beschäftigt sich seit Jahren auch als Autor mit Rüstungsexporten und Heckler & Koch. Mitte Dezember berichtete das ARD-Magazin „Report“ (Mainz) über die H&K-Praxis.


Mehr Informationen: http://www.juergengraesslin.com

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