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Krieg in Kinderköpfen. Von virtuellen Welten zur realen Gewalt 09.09.2007

G3-Gewehr von Heckler & Koch

Ein neues Projekt für die Schule und die Jugendarbeit im Rahmen der Kleinwaffenkampagne der DFG-VK

Von Jürgen Grässlin und Stephan Möhrle

Die modernen Medien, wie Internet, Fernsehen, Handys, Gameboys und Computerspiele, beeinflussen und verändern die Kindheit in nie gekanntem und zumeist weit unterschätztem Ausmaß. Sie hinterlassen ihre Spuren in Gehirnen bis hin zur Veränderung von Synapsen, was einer breiten Öffentlichkeit spätestens seit den empirischen Untersuchungen des Ulmer Hirnforschers Manfred Spitzer bekannt ist. Laut Spitzer verbringen Kinder und Jugendliche heutzutage durchschnittlich eine Stunde mehr Zeit vor dem Fernseher und Computer als in der Schule, die für viele inzwischen eine unliebsame Unterbrechung der mediendominierten Freizeit darstelle. „Bildschirm-Medien machen dick und krank, wirken sich in der Schule ungünstig auf die Aufmerksamkeit und das Lesenlernen der Kinder aus und führen zu vermehrter Gewaltbereitschaft sowie tatsächlicher Gewalt“, so Spitzers vernichtendes Urteil.

Die gewaltsame Konfliktaustragung bei Kindern und Jugendlichen hat nachweislich zugenommen, die der gewaltfreien Konfliktdeeskalation und -lösung wird dagegen weitgehend vernachlässigt. Das baden-württembergische Innenministerium stellte Anfang Juni 2007 eine „gravierende Zunahme mit einem Plus von 49,6 Prozent“ bei Sachbeschädigungen durch Jugendliche fest. „Bei der einfachen Körperverletzung“ habe sich die Zahl der Tatverdächtigen innerhalb eines Jahres „mehr als verdoppelt“.

Einer von sicherlich mehreren Gründen ist das Freizeitverhalten mit gewaltverherrlichenden Computerspielen wie „Counter-Strike“, „Grand Theft Auto“, „Half Life“, „Doom“, „Quake“, „Resident Evil“ u.v.a.m.

Die libanesische Hisbollah plant den Krieg im Süden Libanons zukünftig als Computerspiel zu verkaufen. Ziel dieses „Spiels“ soll sein, auf israelisches Territorium vorzudringen, die feindlichen Einheiten und deren Panzer zu zerstören, Soldaten zu kidnappen und Raketen auf Städte in Israel abzufeuern. Laut Reuters soll „die islamistische Jugend mit den Idealen der Hisbollah“ gefüttert werden.

Das gewaltverherrlichende Computerspiel „Special Force 2" basiert auf realen Kampfhandlungen. „Dieses Spiel“, so der offizielle Hisbollah-Sprecher Ali Daher, „präsentiert den Kindern die Kultur des Widerstandes: Dass Besatzung nicht toleriert werden muss und das Land und die Nation beschützt werden müssen." Grundlage dieses Kriegsspieles ist der 34-tägige Konflikt zwischen libanesischen Guerilla-Kriegern und israelischen Militärtruppen. Mit „America’s Army“ werden Jugendliche ab 17 Jahren zum realen Kriegsdienst bei der US-Army verführt. Im Irak oder Afghanistan wird der virtuell geübte Headshot zum realen – staatlich legitimierten – Kopfschuss.

Derlei „Spiele“ belegen, dass die Grenzen zwischen virtuellem Spiel und realen Schlachtfeld heute längst fließend sind. In den USA, in Deutschland und anderen Staaten werden die Folgen des virtuellen Mordens seit den Amokläufen Jugendlicher in Littleton und Erfurt kontrovers diskutiert. Unbestritten ist, dass fast alle Amokläufer ihre Freizeit auch mit genannten „Killerspielen“ verbracht haben. Im Mittelpunkt der vehement geführten Auseinandersetzung steht häufig die Frage, ob und in welchem Umfang ein/e Spieler/in durch die Gewaltdarstellung in Computerspielen Weise beeinflusst werden kann bzw. wird.

Wohl niemand – auch kein Jugendlicher, der „Killerspiele“ spielt und ansonsten ein intaktes persönliches, familiäres, schulisches bzw. berufliches Umfeld verfügt – wird wegen des Spielens gewaltverherrlichender Computerspiele zum Amokläufer. Auffällig ist jedoch, dass fast alle Jugendlichen, die in den vergangenen Jahren Schulmassaker verübt haben, in ihrer Freizeit „Killerspiele“ anwendeten. Zudem wurde ihnen der Zugang zu Waffen ermöglicht. Nur wenn mehrere missliche Umstände (z.B. Mobbing, Leistungsdruck, Zukunftsangst, soziale Vereinsamung, Entwurzelung oder Isolation, Versager- oder Einzelgängerschicksale, intensive Gewaltphantasien, die Nachahmung vorangegangener Taten, gezielt angestrebtes Erregen von medialer Aufmerksamkeit) zusammenkommen, erfolgen Amokläufe und Schulmassaker.

Mit der fortschreitenden Medienentwicklung und der zunehmenden Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen sind Eltern und Lehrer/innen oft überfordert. Um zu lernen, wie die modernen Medien richtig eingesetzt werden können, muss die Medienkompetenz gestärkt werden. Mit dem Projekt „Krieg in Kinderköpfen“ beschäftigen wir uns in der ersten Einheit mit den Fragen: Was aber passiert, wenn Kinder nicht nur Tag für Tag durchschnittlich fünfeinhalb Stunden vor Fernsehern und Computern sitzen, sondern mittels „Ego-Shootern“ selbst aktiv Krieg „spielen“ und das massenhafte Morden üben? Sollen gewaltverherrlichende Computerspiele verboten werden? Und: Wie sehen sinnvolle Alternativen der Freizeitgestaltung aus?

Erfahrungsgemäß sind Kinder und Jugendliche, die beispielsweise häufig und intensiv Counter-Strike spielen, am besten erreichbar, wenn ihnen keine vorgefertigte Meinung aufoktroyiert wird. Im Mittelpunkt der ersten Projekteinheit steht das entscheidungsoffene das Planspiel „Sollen gewaltverherrlichende Computerspiele verboten werden?“, das über die eigene Recherche und den Aufbau von Argumentationsketten zur Entwicklung einer substanziell begründeten Meinung führt. Die kontroverse Diskussion in Pro-Gruppen (Games Club, Spielevertreiber, Counter-Strike-Hersteller, Zocker) und Contra-Gruppen (Eltern, Pädagogen, Friedensforum, Polizei) von je drei bis vier Kindern bzw. Jugendlichen mündet in die Entscheidung der dreiköpfigen „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“. Dabei ist die sechs- bis zehnstündige Unterrichtseinheit im Baukastensystem angelegt, so dass einzelne Sequenzen je nach Bedarf aufgenommen oder weggelassen werden können.

Diese Themeneinheit ist bestens geeignet für Jugendliche ab 14 Jahren, in selektiver Form auch für Kinder ab 12 Jahren. Derzeit bereiten wir eine weitere Einheit zu den Themenbereichen „Kleinwaffen und Rüstungsexporte“ vor. Das Projekt ist bestens geeignet für den Deutsch-, Gemeinschaftskunde-, Religions- und Ethikunterricht oder für Workshops in der kirchlichen, gewerkschaftlichen und freien Jugendarbeit. Interessierten den Zugang zum Thema zu erleichtern, wird das Projekt mit einer ausgewählten Literatur- und Medienliste auf den Websites www.dfg-vk.de und http://www.rib-ev.de ins Netz gestellt. Wer vorab mit den Verfassern Kontakt aufnehmen möchte, wende sich an StephanMoehrle@web.de bzw. j.graesslin@gmx.de. Nach Absprache können Schulbesuche und Vortragsveranstaltungen stattfinden.

Jürgen Grässlin ist Pädagoge, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), des Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und Vorstandsmitglied im RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.). Als Buchautor hat er mehrere Bücher zum Thema Kleinwaffen und Rüstungsexporte verfasst.

Stephan Möhrle absolvierte im Sommer 2007 die Mittlere Reife an einer Freiburger Realschule und ist Vorstandsmitglied im RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.).


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