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Grenzenloses Spielen mit Kinect und Move14.11.2010

Zivilcourage 04-2010 Wehrpflicht? ... und tschüss!

Neu Computerspiele verwischen den Unterschied zwischen Spiel und Realität
Von Philipp Leiber (für ZivilCourage – Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus – 4/2010)

„Noch reeller; du bist im Spiel drin; als Spieler wirst du ein Teil des Spiels!“ - so beschreiben Publisher die Spielinnovationen Kinect und Move.

Die Zeiten, in denen wir als Gamer einen Controler in der Hand gehalten haben, scheinen vorbei zu sein. Zweifellos ist es sehr beeindruckend, sich selbst plötzlich in dem Spiel zu sehen. Es ist zwar schon länger möglich, sich seinen eigenen Spieler-Avatar zu erstellen, aber welcher Gelegenheitsspieler macht sich schon die Mühe, in einem Spiele-Setup stundenlang zwischen über 120 Augenbrauen, 800 Nasen oder 1.000 verschiedenen Frisuren hin und her zu zappen? Kurz gesagt, mit der neuen Technik ist genau das für jeden in Sekundenschnelle möglich, das Spiel tut es schlicht selbst (via Kamera, die auf dem Fernseher angebracht wird). Genau diese Kamera macht es auch möglich, mithilfe von Bewegungssensoren unsere Bewegungen zu erkennen und ins Spiel zu übertragen. Die Figur im Spiel hat nicht nur unser Gesicht, sondern macht auch dieselben Bewegungen wie wir - wir steuern also mit unserem Körper; das ist neu!

Kinect für die XBox von Microsoft kommt gänzlich ohne Controler aus und Move von Sony für die Playstation wird mit einem neuartigen futuristischen Controler (markantes Zeichen: eine leuchtende Kugel) gespielt. Dieser kann verschiedenste Funktionen einnehmen, vom Sportgerät über Haushaltsgeräte bis hin zu Waffen, je nachdem, was der Spieler gerade benötigt.

Genauso fließend wie die Übergänge zwischen den verschieden Funktionen hier sind, so fließend scheint nun auch der Übergang vom eigenen Wohnzimmer ins Spiel hinein zu sein. Dass dieser Eindruck durchaus gewollt ist, zeigen auch die vielen Plakate und Coverbilder von Zeitschriften (der Sand des Beachvolleyballfeldes läuft auf dem eigenen Teppich im Wohnzimmer aus, genau so wie auch die Verwüstung nach einer explodierten Bombe, die sich bis zur halb zerstörten Couch zieht, die im Hintergrund zu erkennen ist - je nachdem, was gerade gespielt wird).

Und genau hier sind wir bei der vorher angesprochenen fehlenden Grenze. Früher hatte der Spieler einen Controler in der Hand und hat eine Figur durch eine im Fernseher existierende Welt gesteuert, heute bewegt sich der Spieler selbst in einer Welt, die bis ins Wohnzimmer herein reicht. Es fehlt an der klaren Grenze! Im Kindergarten beispielweise bei einer Märchenstunde, gibt es das Ritual, dass zu Beginn jedes Kind durch einen geschmückten Hulla-Hupp-Reifen steigt, ab diesem Moment befindet es sich in der Märchenwelt; ist das Märchen zu Ende gelesen, steigen alle wieder aus der Welt aus, zurück in den Kindergarten. Erst danach eröffnet der Erzieher eine Gesprächsrunde über das Märchen - so haben die Kinder eine spürbare und klare Distanz zu dem Gehörten und können mit der nötigen Sicherheit das Gehörte verarbeiten. Mal davon abgesehen, dass bei einem solchen Spiel eine erwiesene „pädagogische“ Sinnhaftigkeit wie bei einem Märchen fehlt, muss davon ausgegangen werden, dass eine klare und erkennbare Distanz für die Kinder bzw. Jugendlichen nicht zu erkennen sein wird. Schwierig wird so etwas dann bei moralisch ohnehin bedenklichen Fragen, die in einem solchen Spiel getroffen werden müssen. Festzustellen bleibt, dass der Spieler in Zukunft noch viel mehr das Gefühl vermittelt bekommen wird, in dieser Welt zu existieren, und seine getroffenen Entscheidungen real sind. Es wird grenzenlos gespielt.

Solange es nur Entscheidungen sind, mit welcher Hand ich den Ball übers Netz befördere, sind Innovationen wie die Kinect oder Move beeindruckende und den Spaß fördernde Konzepte, auf die sich Spieler freuen können. Spiele mit Gewalt-Inhalten werden so aber noch (bedenklich) realer!

Philipp Leiber ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Freiburg.

Mehr Informationen: http://www.zc-online.de

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