Dies ist das Archiv der alten DFG-VK-Webseite. Sie war von 2007 bis 19. Oktober 2015 online. Schau Dich gern um.
Die aktuelle Seite findest Du unter www.dfg-vk.de.

Wehrpflicht ... und tschüss!14.11.2010

Zivilcourage 04-2010 Wehrpflicht? ... und tschüss!

Von Stefan Philipp (für ZivilCourage – Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus – 4/2010)

Vielleicht musste es ja ein Minister aus der CSU sein, noch dazu ein Adliger, der die größte Reform der Bundeswehr seit ihrem Bestehen 1955 bewerkstelligt - Aussetzung der Wehrpflicht, erhebliche Reduzierung des Truppenumfangs und eine (wahrscheinlich) drastische Verkleinerung des Ministeriums. Hätten nicht SPD und Grüne Ende der 1990er Jahre die Bundeswehr in ihren ersten, und noch dazu völkerrechtswidrigen Krieg befohlen, sondern eine CDU-geführte Bundesregierung, wäre wohl ein Proteststurm übers Land gefegt (wahrscheinlich angeführt von den Sozialdemokraten). Und hätte umgekehrt die SPD die „heilige Kuh“ Wehrpflicht geschlachtet, wären die von Christdemokraten ausgestoßenen Rufe „Vaterlandsverrat“ unüberhörbar gewesen. So ist Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, jüngster bundesdeutscher Kriegsminister, CSU-Präsidiumsmitglied sowie ehemals Wehrdienstleistender bei den Gebirgsjägern und Unteroffizier der Reserve, wohl genau der richtige Mann, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, um das deutsche Militär so richtig kriegsfähig zu machen.

Denn das ist klar: Die Wehrpflicht wird nicht etwa deshalb ausgesetzt, weil sich die Einsicht durchgesetzt hätte, dass sie eine massive Freiheitseinschränkung für die von ihr betroffenen jungen Männer ist, die sich mit den Grund- und Menschenrechten und den Freiheitsgarantien des Grundgesetzes nicht vereinbaren lässt. Und auch nicht deshalb, weil Deutschland nun eine Friedenspolitik entwickeln und praktizieren will, die auf Krieg und Gewalt verzichtet. Im Gegenteil: Guttenberg zieht die Konsequenz aus der Einsicht, dass die Bundeswehr in ihrer bisherigen Form ein aufgeblähter und ineffizienter Apparat ist, mit dem sich nicht richtig Krieg führen lässt. Der Laie hat schon bisher nicht verstanden, warum die Bundeswehr sich an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit sah, wenn 7.000 SoldatInnen gleichzeitig im Auslandseinsatz sind. Bei einem Gesamtumfang von 250.000 Uniformierten bedeutet das: „Hinter jedem Soldaten im Einsatz stehen 35 Kameraden und 15 zivile Mitarbeiter im Grundbetrieb und zur Unterstützung.“ So formulierte es der eben veröffentlichte Bericht der Strukturkommission, die im letzten Herbst bei den Koalitionsverhandlungen der schwarz-gelben Regierung vereinbart worden war. Die Wehrpflicht ist dabei übrigens nicht wirklich der Hemmschuh. Von den ca. 240.000 SoldatInnen sind nur 28.500 Wehrpflichtige, also knapp über 10 Prozent. Diese müssen zwar ausgebildet und irgendwie beschäftigt werden, was Personal bei den Zeit- und BerufssoldatInnen bindet. Wenn die Kommission aber vorschlägt, die Truppe auf 180.000 SoldatInnen zu reduzieren und gleichzeitig die Zahl der sich „im Einsatz“ Befindenden „wenigstens zu verdoppeln“, dann kann man sich vorstellen, wie katastrophal die Armee insgesamt bisher gemanagt wird. Jedes Unternehmen wäre schon längst pleite, würde so verschwenderisch mit seinen Ressourcen umgehen.

Künftig soll „vom Einsatz her“ gedacht und die Struktur darauf ausgerichtet werden. Für PazifistInnen und AntimilitaristInnen bedeutet das: Der Umbau der Bundeswehr bedeutet durch das Platzen des Wehrpflichtballons einen menschenrechtlichen Freiheitsgewinn. Auf der anderen Seite wird das Militär gefährlicher. Es gibt deshalb überhaupt keinen Grund, Guttenberg die Ehrenmitgliedschaft in der DFG-VK anzutragen, wie an manchen Stellen im Verband schon scherzhaft überlegt wurde. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass Bürokratien ein großes Beharrungsvermögen haben, der Umbau der Bundeswehr also sehr viel langsamer vorankommen wird, als die Kommission und der Minister sich das vorstellen - das Ziel ist klar benannt: Die „neue Bundeswehr“ wird aufgebaut, und sie wird eine effiziente Kriegsmaschine sein.

Dass es Guttenberg gelungen ist, die Unionsparteien, die die Wehrpflicht bis vor wenigen Wochen noch als ihren Identitätskern angesehen haben, innerhalb kürzester Zeit komplett „umzudrehen“, macht ihn umso gefährlicher (auch als möglichen Merkel-Nachfolger). Bei den Parteitagen con CDU und CSU, die die neue Linie beschließen sollen, wird es noch Diskussionen geben. Das Ergebnis allerdings steht schon fest: In der gemeinsamen Sitzung der Präsidien beider Parteien ist es formuliert worden (siehe Kasten). Man könnte sich fast die Zeiten eines unfähigen Ministers Scharping zurückwünschen.

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage.


Mehr Informationen: http://www.dfg-vk.de/thematisches/umruestung-bundeswehr/

[zurück]

Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen • 2018 • Impressum