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Wehrpflicht im zweiten Halbjahr 2010 -- Hinweise für Kriegsdienstverweigerer und KDV-BeraterInnen06.08.2010

Zentralstelle KDV

(Von der Zentralstelle KDV)


Zurzeit läuft eine spannende öffentliche Debatte um das Fortbestehen der Wehrpflicht. Gleichzeitig wurde vom Bundestag gerade ein Gesetz verabschiedet, mit dem auf der einen Seite die Wehr- und Zivildienstdauer auf sechs Monate verkürzt werden soll, auf der anderen Seite aber durch einen so genannten „freiwilligen zusätzlichen Zivildienst“ soziale Einrichtungen mehr noch als bisher vom Zivildienst abhängig gemacht werden sollen.

Was bedeutet das für diejenigen, die unmittelbar vom Wehr- und Zivildienst betroffen sind. Wie sollen sie sich entschieden, wenn sie die nächsten ein oder zwei Jahre ihres Ausbildungs- oder Arbeitslebens planen?

Wir wollen nachfolgend einige Hinweise geben, die aber nicht den Anspruch haben können, endgültig zu sein. Es ist unabdingbar, die aktuelle Debatte genau zu verfolgen und in vielen Einzelfällen ist es sicher sinnvoll, das Gespräch mit Fachleuten zu suchen, zum Beispiel über die telefonische Hotline der Zentralstelle KDV.


1. Beschleunigen oder verschieben?

Grundlage für alle Entscheidungen sollte immer die Lebenssituation des Einzelnen sein.
Wer „biografische Lücken“ füllen will oder berufliche Orientierung wünscht, kann natürlich nach wie vor Wehr- oder Zivildienst antreten und diesen auch zu Ende leisten. Wenn ein Einberufungsbescheid vorliegt, in dem der Dienstort, der Dienstantrittszeitpunkt und die Dienstdauer festgelegt sind, dann ist dieser Bescheid nicht nur ein „belastender Verwaltungsakt“, sondern rechtlich auch ein so genannter „begünstigender Verwaltungsakt“. Dieser kann von den Behörden praktisch nur mit Einverständnis des Betroffenen zurückgenommen werden. Wer also auf die Ableistung des ursprünglichen Dienstes besteht, hat darauf einen Anspruch. Das gilt für Einberufungsbescheide, die eine neunmonatige Dienstdauer festlegen ebenso wie für Einberufungsbescheide, die eine Dienstzeit nach dem Aussetzungszeitpunkt der Wehrpflicht festlegen.
Wer aber weiß, dass er eine Ausbildung oder ein Studium beginnen will oder kann, sollte Wehr- und Zivildienst „nach hinten“ verschieben, weil viel dafür spricht, dass die Wehrpflicht im Laufe des nächsten Jahres ausgesetzt wird. Was dazu im Einzelnen getan werden kann, ist weiter unten nachzulesen.


2. Auswirkungen des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010

Zum 1. Dezember 2010 tritt das Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 in Kraft.
Die Dienstdauer bei Wehr- und Zivildienst wird mit Wirkung vom 1.1.2011 auf sechs Monate festgesetzt. Das bedeutet, dass Zivildienstleistende, die am 1.Mai 2010 ihren Dienst begonnen haben, nach acht Monaten Zivildienst, dass Zivildienstleistende, die am 1. Juni 2010 ihren Dienst begonnen haben, nach sieben Monaten, und dass diejenigen, die am 1. Juli 2010 ihren Dienst begonnen haben, nach sechs Monaten entlassen werden. Wer die ursprünglich festgesetzte Dienstzeit leisten will, kann das tun. Es muss dann ein entsprechender Antrag beim Bundesamt für den Zivildienst gestellt werden.

Helfer im Zivil- und Katastrophenschutz, die am 30.11.2010 oder später mindestens vier Jahre bei ihren Organisationen mitgewirkt haben, sind auf Antrag zu entlassen. Freiwillige weitere Mitwirkung ist natürlich möglich.

Kriegsdienstverweigerer, die ein Freiwilliges Jahr leisten, haben am 30.11.2010 oder später die Pflicht, Zivildienst zu leisten, erfüllt, wenn sie mindestens acht Monate im Freiwilligen Jahr tätig waren.

Ab dem 1.12.2010 besteht die Möglichkeit, im Anschluss an den Zivildienst einen sogenannten „freiwilligen zusätzlichen Zivildienst“ für drei bis sechs Monate zu vereinbaren. Der Antrag kann ab dem dritten Zivildienstmonat gestellt werden. Das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis muss sich unmittelbar an den Zivildienst anschließen. (siehe auch weiter unten unter 6.)


3. Grundsätzlich nur auf Behördenschreiben reagieren

Es ist unbekannt, welche Weisungen zurzeit an die ausführenden Behörden (Kreiswehrersatzämter und Bundesamt für den Zivildienst) gegangen sind oder noch gehen. Erste Anzeichen deuten aber darauf hin, dass auch hier der Ausstieg aus der Zwangswehrpflicht vorbereitet wird. In den letzten Jahren sind pro Quartal gut 16.000 Wehrpflichtige einberufen worden. Für das dritte Quartal 2010 (Dienstantritt Juli) sind 20 Prozent weniger, nämlich 13.000 zum Wehrdienst einberufen worden.
Wer sich nicht von sich aus meldet, wird eher in Ruhe gelassen als derjenige, der durch Anfragen etc. in das Blickfeld der Behörden kommt.


4. Verhalten bei der Musterung

Termine für die Musterung können verschoben werden. Je später gemustert wird, desto besser. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz sind die Behörden verpflichtet, alle Regelungen offenzulegen, die ein bestimmtes Verfahren betreffen. Wer zur Musterung kommen soll, hat einen Anspruch darauf, von der Behörde die Musterungsverordnung (Zentrale Dienstvorschrift 46/1) ausgehändigt zu bekommen. Wer zur Musterung geladen wird, sollte erst zu dem Untersuchungstermin gehen, wenn ihm zuvor die Musterungsverordnung zugeschickt wurde.

Anhand der Musterungsverordnung lässt sich mit den eigenen Ärzten ziemlich genau vorhersagen, zu welchem Ergebnis die Musterung führen wird. Es lässt sich zudem herausfinden, welche gesundheitlichen Merkmale dazu führen, dass das Anforderungsprofil für Grundwehrdienstleistende nicht mehr erfüllt werden kann.
Gegen Musterungsergebnisse, sofern sie auf „tauglich“ lauten, kann Widerspruch eingelegt, gegen Widerspruchsbescheide kann Klage eingereicht werden. Das Widerspruchsverfahren schützt gesetzlich vor einer Einberufung, das Klageverfahren in der Praxis.


5. Zurückstellungen vom Wehr- und Zivildienst

Neben den eindeutigen Zurückstellungsregelungen für Ausbildung und Studium dürften Zurückstellungen nach der Generalklausel in § 12 Absatz 4 Satz 1 Wehrpflichtgesetz bzw. § 11 Absatz 4 Satz 1 Zivildienstgesetz zukünftig eine größere Rolle spielen. In der Vorschrift heißt es: „Vom Wehr-/Zivildienst soll ein Wehrpflichtiger/anerkannter Kriegsdienstverweigerer auf Antrag zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde.“ Auch wenn die „besondere Härte“ immer nur im Vergleich mit anderen Wehr-/Zivildienstpflichtigen entstehen kann, so dürfte das Vorliegen dieser besonderen Härte leichter angenommen werden können, wenn die Wehrpflicht allgemein zur Disposition steht. Wir können also nur ermutigen, Zurückstellungsanträge zu stellen und zu begründen, warum im Einzelfall durch die Einberufung mehr als eine allgemeine Härte, die alle Einberufenen gleichermaßen trifft, entsteht.


6. Freiwilliger zusätzlicher Zivildienst

Ab dem 1.12.2010 kann ein so genannter „freiwilliger zusätzlicher Zivildienst“ geleistet werden. Dabei handelt es sich um eine neuartiges „öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis“, das einem Bundesbeamtenverhältnis auf Zeit vergleichbar ist. Dieses Dienstverhältnis kann nur auf Antrag des Dienstpflichtigen, der frühestens ab dem dritten Zivildienstmonat gestellt werden darf, eingerichtet werden. Die Einstellung unterliegt zudem der Mitbestimmung des jeweiligen Betriebs- oder Personalrats bzw. der Mitarbeitervertretung.
Bisher war es üblich, das Weiterarbeiten in der Zivildienststelle im Rahmen normaler Arbeitsverhältnisse mit üblicher tariflicher Bezahlung vorzusehen. Das sollten alle ehemaligen Zivildienstleistenden, die nach ihrer sechsmonatigen Zivildienstzeit weiterarbeiten wollen, ebenfalls anstreben.

Wer trotz dieser Möglichkeit auf das neue öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis ausweichen will, sollte darauf dringen, dass ihm zusätzlich zu den üblichen Zivildienstbezügen der Zivildienstzuschlag nach § 41a Absatz 5 Zivildienstgesetz in Höhe von 20,45 Euro kalendertäglich gezahlt wird. Die Betriebs- und Personalräte bzw. Mitarbeitervertretungen sollten darauf achten, dass dieser Zuschlag auch tatsächlich gezahlt wird.
Strikt abzulehnen ist die Weiterarbeit in der Zivildienststelle zu den bisherigen Zivildienstbedingungen. Mit einen Stundenlohn vom umgerechnet 3,75 Euro wird der geltende Mindestlohn für Pflegehilfstätigkeiten unterlaufen. Wer sich als ehemaliger Zivildienstleistender dazu hergibt, freiwillig für einen solchen Lohn zu arbeiten, schadet dem Sozialbereich.


7. Wo gibt es konkrete Hilfe?

Diese allgemeinen Hinweise sind für den Einzelfall noch zu wenig konkret. Sie können nur den groben Rahmen abstecken, in dem sich Überlegungen zum Umgang mit der Wehrpflicht bewegen sollten. Im Einzelfall können sich alle Ratsuchenden an die telefonische und E-Mail-Hotline der Zentralstelle KDV wenden. Details gibt es dazu unter www.Zentralstelle-KDV.de oder der Telefon-Info-Hotline


Mehr Informationen: http://www.machs-wie-dieter.de

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