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Der Wesenskern von CDU/CSU -- „Rückzugsgefechte“ um die Wehrpflicht04.08.2010

5105 Zivilcourage 03-2010

(Von Stefan Philipp für ZivilCourage – Mitgliedermagazin der DFG-VK – 3/2010)


Nach der Vereinbarung des Koalitionsvertrages im letzten Herbst zwischen CDU, CSU und FDP mit der von vielen Seiten als fauler Kompromiss kritisierten geplanten Reduzierung der Grundwehrdienstdauer auf sechs Monate schien das Thema Wehrpflicht für diese Legislaturperiode eigentlich abgehakt. Dann erschien eine Woche nach der Sparklausur der Bundesregierung Mitte Juni ein „Spiegel“-Interview mit Minister Guttenberg, mit dem die Wehrpflicht-Debatte schlagartig wieder eröffnet und höchst spannend akzentuiert wurde.

Auf die Frage, ob es die Wehrpflicht in zehn Jahren noch gebe, sagte der Minister: „Im Grundgesetz wird es sie noch geben. Faktisch wird sie in zehn Jahren wohl abgeschafft sein.“ Obwohl er sich selber als Anhänger der Wehrpflicht bezeichne, zwängen „strukturelle Gründe“ zu einer Neubewertung. Gemeint ist damit ist der vollständige Umbau der Bundeswehr, die „professioneller, schneller und flexibler“ werden müsse und bei der der schon heute „auf ein Minimum“ geschrumpfte Anteil der Landesverteidigung noch „kleiner“ werde. Also: Deutsches Militär im weltweiten Einsatz verträgt sich mit der Wehrpflicht nicht, weil sie dysfunktional und angesichts des Sparzwangs nicht finanzierbar ist. Auf die Frage schließlich, ob „die militärische Führung Ihr Argument, dass man Wehrpflichtige für die künftige Einsatzarmee nicht mehr gebrauchen kann“, akzeptiere, antwortete der Minister trocken: „Das ist ein Argument, das im Wesentlichen von der militärischen Führung formuliert wird.“

Ein solches Interview gibt man nicht mal so nebenher, man kann vielmehr davon ausgehen, dass Guttenberg einerseits seine grundsätzliche Position öffentlich verankern wollte, und dass andererseits Inhalte und Formulierungen sowohl mit der politischen und der militärischen Spitze seines Ministeriums als auch mit wichtigen Personen in CDU und CSU abgesprochen wurden. Denn es war klar: Für viele in diesen beiden Parteien ist die Wehrpflicht eine „heilige Kuh“, sie gehöre, wie der „Spiegel“ schrieb, zu deren „genetischem Kern“. Die Verteidiger dieses Wesenskerns der Union werden deshalb ihren Widerstand gegen Guttenberg und seine Pläne organisieren.

Dass Guttenberg mit seiner Popularität zu einem Rivalen für die Vorsitzenden in beiden Unionsparteien geworden ist, passt ihnen da natürlich gut ins Konzept, weil die Wehrpflicht denen die Möglichkeit gibt, den „jugendlichen Heißsporn“ zu stutzen. Aber: Ohne ein schlüssiges Konzept, das sicherheitspolitisch begründet ist, die offene Frage nach der „Wehrgerechtigkeit“ beantwortet und das das militärisch überflüssige Luxusgut Wehrpflicht (das die betroffenen jungen Männer mit ihrer geraubten Freiheit bezahlen) finanzierbar macht, werden sie die Schlachtung der heiligen Kuh schwerlich verhindern können.

Wir werden deshalb wohl nun in den nächsten Monaten »Rückzugsgefechte« erleben. Guttenberg soll Anfang September erläutern, wie er bis zu 40.000 Soldaten »abbauen« will, die beiden Unionsparteien werden auf ihren Parteitagen im Herbst ihre Position zur Wehrpflicht beschließen. Natürlich werden diejenigen, die aus ideologischen Gründen an ihr festhalten wollen, laut tönen, aber woher das Geld für die Wehrpflichtarmee kommen soll - europäisch und bezogen auf die Nato betrachtet übrigens ein absolutes Auslaufmodell -, werden sie letztlich nicht erklären können.

Viel spricht deshalb für dieses Szenario: Die Union findet programmatisch einen Kompromiss, der so ähnlich aussieht wie der, den die Sozialdemokraten bereits gefunden haben: Die Wehrpflicht bleibt im Grundsatz bestehen, einberufen wird aber nur noch, wer sich dafür freiwillig meldet. Damit wahren alle ihr Gesicht, die FDP wird sich mit dieser Lösung zufrieden geben, die Sozis können schlecht widersprechen, Grüne und Linke interessieren bei dieser ganz großen Koalition nicht.


Pazifistische Perspektiven

Für KriegsgegnerInnen, PazifistInnen und AntimilitaristInnen sieht das nicht ganz so einfach aus.
Zunächst müssten sie konstatieren, dass keines ihrer inhaltlichen Argumente den Zerfall der Wehrpflicht bewirkt hat; nicht als Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen fällt der Kriegsdienstzwang, sondern weil er zu teuer ist. Krieg hingegen wird Deutschland weiterhin führen - billiger, effektiver und »tödlicher«. Aus menschenrechtlicher Sicht fällt wenigstens die Abrichtung ganzer männlicher Generationen auf das »Dienen fürs Vaterland« weg, ein klarer Freiheitsgewinn.

Friedens- und KDV-Organisationen müssten sich nicht mehr der Beratung von Kriegsdienstverweigerern beschäftigen und sich mit Behörden und Gerichten »herumschlagen«. Die Erfahrungen der DFG-VK aus den letzten Jahrzehnten zeigen es: Politisch hat die Beratungsarbeit wenig bis nichts bewirkt, weder mitgliedermäßig für die eigene Organisation noch politisch für eine starke Antikriegsbewegung. Der faktische Wegfall der Wehrpflicht könnte und müsste von ihr und anderen Organisationen zum Anlass genommen werden, neue Konzepte wirksamer Antikriegsarbeit zu entwickeln - angefangen von der effektiven Behinderung und Skandalisierung der Rekrutierung so genannter Freiwilliger, darunter in erheblicher Zahl angesichts der wirtschaftlichen Lage perspektivloser junger Männer und Frauen, über die Betreuung und Organisierung von Desertion und Kriegsdienstverweigerung (noch) aktiver Soldaten bis hin zur Zusammenarbeit mit kritischen und desillusionierten Veteranen; alles Bausteine neben anderen für eine umfassende Strategie, die das kriegskritische Bewusstsein der Bevölkerungsmehrheit stärken und ihm politische Wirkung verleihen muss.

Und schließlich: Vielleicht gelingt es, aus der jahrzehntelangen fruchtbaren Zusammenarbeit eines breiten Bündnisses von radikalen PazifistInnen, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, Jugendverbänden und Kirchen zum Thema Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer in der Zentralstelle KDV den Schluss zu ziehen: Ein solches Bündnis ist - nun in anderem Rahmen - nötig gegen deutsche Kriegspolitik und für - mindestens - den »Vorrang von zivil«.

Vielen radikalen KriegsgegnerInnen, PazifistInnen und AntimilitaristInnen - gerade auch in der DFG-VK - würde das zu wenig sein. Aber auch sie können die Augen nicht davor verschließen, dass die „alte“ Friedensbewegung in den letzten Jahren nicht gerade größer geworden ist, dass es ihr nicht gelungen ist, wirklich die Massen zu bewegen, dass sie es nicht vermocht hat, die gegen den Afghanistankrieg kritische Bevölkerungsmehrheit zu einem bestimmenden Politikfaktor zu machen.

Vielleicht sollten sich „die Radikalen“ klar machen, dass sie mit ihrer Grundsatzposition immer Minderheit waren und das wohl auch bleiben werden. Das ändert nichts an der Richtigkeit und Bedeutung ihrer Position. Aber daraus folgt, dass sie nach Bündnispartnern suchen müssen, um wenigstens Teilziele zu erreichen. Für die Gewinnung gesellschaftlicher Mehrheiten in „Einzelfragen“ - z.B. der Beendigung des Afghanis- tankrieges - müssen breite gesellschaftliche Bündnisse geschmiedet und Kompromisse gefunden und erarbeitet werden - die berüchtigten Minimalkonsense. Wenn diese die eigenen Grundsatzpositionen nicht desavouieren, sind sie Schritte in die richtige Richtung.

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage und stellvertretender Vorsitzender der Zentralstelle KDV.


Mehr Informationen: http://www.zentralstelle-kdv.de

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