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Verweigerung und Kriegswiderstand 22.02.2010

Zivilcourage 01-2010

Bericht über eine DFG-VK-Fachtagung in Köln / Von Klaus Maliga (in ZivilCourage 1/2010 - Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK)

Um die Dimensionen von Kriegsdienstverweigerung und Befehlsverweigerung in Zeiten des Krieges und der deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan ging es bei der inzwischen fünften friedenspolitischen Fachtagung des nordrhein-westfalischen DFG-VK-Landesverbands. Gemeinsam mit der DFG-VK-Gruppe Köln und dem DFG-VK-Bildungswerk NRW fand diese Ende November in Köln statt. DFG-VK-Landessprecher Kai-Uwe Dosch konnte dabei zu einer ersten Referats- und Fragestunde den US-Soldaten Chris Capps, der aus der Army desertiert ist und den Dienst im Krieg verweigert, und Christian Neumann vom „Darmstädter Signal“ begrüßen.

Danach moderierte Klaus Maliga eine Gesprächsrunde mit Capps, Neumann und Dosch, die um Christoph König erweitert wurde: König ist Chirurg und Oberstabsarzt; er hat nach seinen Einsätzen im Kosovo und in Afghanistan sein Ausscheiden aus dem Militärdienst beantragt. Das Verfahren läuft noch.

Die bald zwei Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung nahmen die Gelegenheit wahr, besonders die Referenten, die in den Kriegsgebieten waren, nach ihren persönlichen Eindrücken, Erlebnissen, Erfahrungen und Umdenkungsprozessen zu fragen.

Zunächst schilderte Chris Capps, der von 2004 bis 2007 in der US-Armee diente, wie er blauäugig und in der Hoffnung auf berufliche Förderung eingerückt ist: „Ein guter Beruf, und danach studieren.“ Eine Haltung, die bei den meisten Soldatinnen und Soldaten in der US-Armee angesichts der schlechten sozialen Absicherung für die Bevölkerungsmehrheit in den USA, der Wirtschaftskrise und der fehlenden Arbeitsplätze vorherrschend sei. Dann beschrieb er eindrucksvoll die Stationen seines Wandels: vom Leben in der Kaserne, der De-facto-Rechtlosigkeit der Soldaten, der Verschickung in den Irak und den Demütigungen der Gegner. Schließlich wechselte seine Perspektive: Nach Gesprächen mit Soldaten aus den Kampfeinsätzen begann er, die „Feinde“ anders wahrzunehmen, als es ihm beigebracht worden war. Die Entscheidung zu desertieren fiel, als er - entgegen den Zusagen - nicht in Deutschland stationiert werden sollte, sondern nach Afghanistan geschickt wurde.

Chris Capps sah seine Lage und die anderer Deserteure zwiespältig: Die Armee lasse einen Großteil von ihnen ohne stärkere Repressalien ziehen; gleichzeitig versuche sie, an denjenigen, die die Öffentlichkeit suchten, Exempel zu statuieren.

Die Moral in der US-Army sei am Tiefstpunkt; der Krieg in Afghanistan sei viel schlimmer als im Irak. Die meisten kehrten traumatisiert aus den Einsätzen zurück; nach ihrer Armeezeit seien sie „kaputt“.


Widerstand in der Armee?

Ein Thema, das auch Neumann und König ansprachen. Nach spätestens fünf richtigen Kampfeinsätzen, so sei die Erfahrung, hätte die Traumatisierung die Soldaten erreicht, stellte Christian Neumann fest, der seine 150 Mitglieder starke Organisation kritischer Soldaten und Soldatinnen vorstellte.

Neumann hob unter anderem hervor, dass für die Bundeswehr selbst die Bewerberzahlen in den aktuellen Zeiten der wirtschaftlichen Krise (fünf Bewerber auf eine Stelle) nicht ausreichend seien, um genügend geeignete Soldaten für ihre Kampfgruppen zu rekrutieren.

Der Vertreter des „Darmstädter Signals“ forderte einen neuen Typus des Soldaten: Kein Kadaver-Gehorsam mehr, sondern Widerstand gegen rechtswidrige Befehle. Neumanns Plädoyer, auf diese Weise innerhalb der Bundeswehr gegen Kriegseinsätze zu arbeiten, sorgte dann auch für lebendige Diskussionen bei der Fachtagung. Der Referent bezog sich in seiner Haltung unter anderem auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der die Gewissensfreiheit der Soldaten höherwertig sei als die Funktionsfähigkeit der Truppe. Neumann: „Gehorsamsverweigerung beschäftigt die Armeespitze“. „Wehrkraftzersetzung“, so Neumann weiter, gebe es schon lange nicht mehr als Straftatbestand; inzwischen heiße es nur noch „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“.

Christoph König beschrieb und beklagte in der anschließenden Gesprächsrunde, dass den Militär-Ärzten bei ihren Einsätzen in den Kriegsgebieten keine ausreichenden Rechte für die Ausübung ihrer helfenden Tätigkeiten zugestanden würden. Der Dienst sei völlig im Sinne der Armeepropaganda und den Erfordernissen der Truppe funktionalisiert und somit entstellt. Einen Verletzten im Krieg zu versorgen sei etwas ganz anderes als im zivilen Leben. König: „Verletzungen im Krieg ergeben sich nicht schicksalhaft, sondern sind provoziert!“

In der Diskussion analysierte Kai-Uwe Dosch unter anderem die Zusammenhänge von Kriegsdienstverweigerung und Kriegswiderstand als gesellschaftlichen Ansatz. Kritisch setzte er sich auch mit Neumanns Werbung für einen Kriegswiderstand in der Armee auseinander. Die Möglichkeiten dazu seien sehr beschränkt: „Alle unterhalb der Armeespitze sind Befehlsempfänger“. Für ihn sei es ein Paradoxon, Kriegswiderstand zu leisten und zugleich in einem Apparat zu dienen, der Kriegsführung erst möglich macht.

Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer in der Einschätzung, dass die hohen Zahlen von Kriegsdienstverweigerern allein nicht ausreichten, Kriegswiderstand zu leisten. Der Zivildienst sei inzwischen so normal, dass sich daraus noch keine Politisierung ableiten lasse.

Mit Skepsis betrachtete Chris Capps mit Blick auf Deutschland Überlegungen, die Wehrpflicht abzuschaffen und die Bundeswehr in eine Berufsarmee umzuwandeln. Dann würde in Deutschland das Gefühl dafür verloren gehen, „was Krieg ist“. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht sei nichts gewonnen; die Verantwortung in der Bevölkerung für Kriegseinsätze oder Kriegsverluste würde völlig aufgegeben: „Dann heißt es nur noch: Die haben doch selbst Schuld, dass sie da mitmachen.“

Klaus Maliga ist Mitglied im Landesvorstand des nordrhein-westfälischen DFG-VK-Landesverbands.

Mehr Informationen: http://www.zc-online.de

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