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Zeit zur Umkehr - Umrisse einer Verhandlungslösung, die eine Atommacht Iran verhindern würde10.11.2006

Thomas Carl Schwoerer

Von Thomas Carl Schwoerer

Im Streit über die Uran-Anreicherung ist es dem aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien bestehenden EU-Trio und dem Iran bisher nicht gelungen, einen Kompromiss zu finden. Auch das Projekt der Anreicherung iranischen Urans in Russland ist nicht vorangekommen. Der Gouverneursrat der Internationalen Atom-Agentur wird daraufhin möglicherweise diese Woche beschließen, das Thema an den UN-Sicherheitsrat zu überweisen. Es drohen Strafmaßnahmen des Sicherheitsrats gegen den Iran. Die Situation kann leicht außer Kontrolle geraten und erinnert an das Szenario vor dem letzten Irak-Krieg.

Nun hat der Iran nach dem Atomwaffensperrvertrag, den er immerhin im Gegensatz etwa zu Indien unterschrieben hat, das Recht, Uran anzureichern. Andererseits lassen sich die zivile und militärische Nutzung von angereichertem Uran nicht sauber voneinander trennen. Länder, die nach Atomwaffen streben, werden dies stets über die Brücke der Atomkraft versuchen. Der Ausbau der Atomkraft trägt damit zwangsläufig zur Verbreitung von Atomwaffen bei. Hier zeigt sich eine Schwäche des Atomwaffensperrvertrags, die dringend zu beheben wäre.

Einigkeit besteht darin, dass der Iran keine Atommacht werden darf. Wie aber kann man ihm das vertraglich verbriefte Recht auf Urananreicherung eher abhandeln? Durch Drohungen, Gegendrohungen, Isolation als Paria-Staat und Strafmaßnahmen? Oder durch ein Geben und Nehmen in der Währung, an der die iranische Führung am stärksten interessiert wäre: Sicherheit?

Der Iran sieht sich durch die militärische Präsenz der USA in Afghanistan, Irak, Saudi Arabien und den zentralasiatischen Staaten von allen Seiten eingekreist. Zudem verfügt Israel über 200 bis 300 atomare Sprengköpfe, die den Iran erreichen können. Die USA machen kein Geheimnis aus ihren Bestrebungen eines Regimewechsels im Iran und nach machtpolitischer Vorherrschaft in der Öl- und Gasregion Mittlerer Osten und geben Millionen Dollar aus für Oppositionsgruppen und das Iran-Programm von Voice of America.

Die USA haben Nordkorea weitgehende Sicherheitsgarantien angeboten. Für den Iran gab es aber keine Sicherheitsgarantie vor einem israelischen oder amerikanischen nuklearen oder konventionellen Angriff. Und es gab keine Garantie, dass die USA die Brennstoffversorgung des Iran mittragen würden. Das EU-Trio hat die Verhandlungen mit nicht-substantiellen Angeboten scheitern lassen und damit die Fraktion derer in Teheran gestärkt, die die Option Atomwaffen verfolgen.

Wie könnte eine diplomatische Lösung hingegen aussehen? Sie müsste die Anerkennung der legitimen Sicherheitsinteressen aller Parteien, insbesondere von Israel und Iran, einschließen. Hetzreden und verbale Angriffe etwa gegen Israel wären ebenso zu unterlassen wie die Sondierung militärischer Optionen – Art. 2 der UN-Charta verbietet nicht nur die Anwendung von Gewalt, sondern ausdrücklich auch deren Androhung. Konkret würde der UN-Generalsekretär von seinem Recht Gebrauch machen, eine UN-Kommission ins Leben zu rufen und eine internationale UN-Mediations-Kommission von renommierten Persönlichkeiten einberufen. Sie würde unter seinem Vorsitz innerhalb eines halben Jahres Vorschläge für eine friedliche Lösung des Konflikts ausarbeiten. Währenddessen wäre eine Denkpause im Konflikt einzulegen. Der Iran sollte in dieser Zeit die Anreicherung von Uran und weitere nukleartechnologische Forschungsarbeiten aussetzen, alle Konfliktparteien sollten jegliche Drohungen gegeneinander unterlassen.

Gemäß der Resolution der Internationalen Atom-Agentur vom 4. Februar 2006 sollte eine Atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten geschaffen werden, zur Entschärfung des Konflikts zwischen dem Iran und anderen Regionalmächten. Schon durch eine diesbezügliche Konferenz würden die Reformkräfte in der gesamten Region Auftrieb erhalten, und der innenpolitische Konsens für Atomwaffen verlöre seine Legitimation. Sicherheitsgarantien und eine solche Konferenz würden nicht das heutige Regime im Iran stabilisieren, sondern das Feindbild „Westen“ unterhöhlen und den dortigen Reformkräften mehr politischen Spielraum verschaffen.

Zudem könnte der Westen seine Glaubwürdigkeit und damit seine Verhandlungsposition verbessern, wenn er selbst den Atomwaffensperrvertrag einhalten würde. Dazu gehört im Gegensatz zur heutigen Praxis, dass Großbritannien und Frankreich auf die Modernisierung ihrer Atomwaffen verzichten, Atomwaffen abgerüstet werden und Deutschland nicht den Forschungsreaktor in Garching mit waffenfähigem Uran betreibt und auf „nukleare Teilhabe“ sowie auf die in 2005 zugesagte Lieferung atomwaffenfähiger U-Boote an Israel verzichtet.

Die EU darf sich nicht vor einen Kriegskarren spannen lassen - die US-Regierung braucht für einen Krieg gegen den Iran zumindest die moralische Unterstützung der EU-Staaten. Um so dringlicher ist es, dass die Bundesregierung jede deutsche Unterstützung für einen Krieg gegen den Iran unmissverständlich ausschließt und sich auch innerhalb der EU dafür einsetzt: Krieg ist Terror und kann keine Option sein, die man sich ernsthaft offen halten möchte. Die Bundesregierung sollte gegenüber der US-Regierung klarstellen, dass die amerikanischen Militärbasen in Deutschland nicht erneut für die Führung eines Angriffskrieges genutzt werden dürfen und dass es keine Überflugsrechte und keine Zusammenarbeit der Geheimdienste dafür gibt. Und sie sollte sich von den völkerrechtswidrigen Atomwaffen-Erstschlagsdrohungen des Bündnispartners Frankreich distanzieren.

Es kommt jetzt darauf an, die Dynamik zum Thema „Atommacht Iran“ schnellstens umzukehren. Der Weg dahin führt über Sicherheitsgarantien und eine Konferenz für eine Atomwaffenfreie Zone.

Thomas Carl Schwoerer ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK).

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