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Rüstungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland12.12.2007

Korvette_Braunschweig- wikimedia

Ein Beitrag von Lühr Henken* auf dem 2. Sozialforum am 19.10.2007 in Cottbus


Von 2006 bis 2010 soll die Bundeswehr den radikalsten Umbau ihrer Geschichte erfahren. Einhergehend mit einer Verringerung der Soldatenzahl von 285.000 auf 252.500 und der Standorte von 621 auf rund 400 erhält die Bundeswehr eine verschlankte Struktur. Sie wird in drei völlig neue Kategorien unterteilt, die ihr neue Offensivkraft verleihen soll: in sogenannte Eingreif-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte. Das ist Bestandteil des neues Weißbuchs der Bundeswehr vom Oktober 2006. „Ein Weißbuch ist eine Sammlung mit Vorschlägen zum Vorgehen in einem bestimmten Bereich“ . Weshalb der Aufwand?

Der Beitrag als pdf-Datei mit Quellenangaben und Verweisen:
Lühr Henken, Rüstungsprogramme der Bundeswehr, Vortrag auf dem Sozialforum Cottbus 19.10.2007


Die Bundesregierung definiert als zentrale Herausforderung im Weißbuch die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die auch in die Hände von Terroristen gelangen können . Darüber hinaus werden Ziele und Aufgaben der Bundeswehr formuliert. Hier die zwei wichtigsten:
1. Die Bundesregierung arbeitet an einer strategischen Partnerschaft von EU und NATO. Also an einer Partnerschaft zwischen einem Militärpakt, der NATO, mit einer eher zivil geltenden Organisation, der EU. Der Militärpakt NATO führte 1999 einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien und führt derzeit einen Krieg in Afghanistan. Da die EU mit diesem Kriegsbündnis eine dauerhafte Partnerschaft bilden soll, legt das den Schluss nahe, dass die Bundesregierung aktiv die Militarisierung der EU vorantreiben will. Das ist auch der Fall.

2. Aber auch Interessen wirtschaftlicher Natur sind im Weißbuch festgeschrieben: Ein Zitat daraus: „Deutschland, dessen wirtschaftlicher Wohlstand vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen.“ Folglich „muss die Sicherheit der Energieinfrastruktur gewährleistet werden.“ Der Begriff Energieinfrastruktur schließt die gesamte Versorgungskette – beginnend an der Quelle – ein. Ergo: Militär soll dafür eingesetzt werden.

Offensichtlich waren der deutschen Kanzlerin Merkel diese Aussagen noch nicht prägnant genug. Das Weißbuch war noch gar nicht veröffentlicht, da ließ sie ihren CDU-Bundesvorstand bereits einen außenpolitischen Leitantrag für den bevorstehenden CDU-Parteitag im November letzten Jahres formulieren: Die CDU beschloss: „Gerade im Zeitalter der Globalisierung ist die deutsche Wirtschaft mehr als zuvor auf den freien Zugang zu den Märkten und Rohstoffen der Welt angewiesen. Die Bundeswehr kann als Teil der staatlichen Sicherheitsvorsorge im Rahmen internationaler Einsätze zur Sicherung der Handelswege und Rohstoffzugänge beitragen.“ Klarer kann man es kaum formulieren. Zugangssicherung schließt den Zugang zu Lagerstätten von Erdöl, Gas und Mineralien in fremden Ländern ein und beschränkt sich nicht auf Seewegsicherung. Dazu ist zu sagen: Es ist nichts gegen ein Interesse an Rohstoffen anderer Länder einzuwenden, sehr wohl jedoch dagegen, sich diese gewaltsam aneignen zu wollen.

Mit dem Weißbuch geht es der Bundesregierung im Kern um die deutsche Beteiligung an schnellen Eingreiftruppen von NATO und EU für den weltweiten Einsatz. Schauen wir uns an, was sich in EU und NATO in punkto neuer Militärstrukturen tut.


1. EU

1.1. Schnelle Eingreiftruppen

Seit Anfang 2001 ist die bis dahin zivile EU formell ein Militärpakt. Seitdem hat sie die sogenannten Petersberger Aufgaben vom Militärpakt Westeuropäische Union (WEU) übernommen. Die „Petersberger Aufgaben“ beinhalten: humanitäre Aufgaben, friedenserhaltene Maßnahmen („Peace-Keeping“) und „Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens“. Also Krieg.

Um das auch wirklich zu können, baut die EU eine Schnelle Eingreiftruppe auf. Sie soll 80.000 Soldaten umfassen. Ihre faktische Einsatzfähigkeit wird für 2010 angestrebt. Als Kriegsmaterial sollen ihr rund 100 Schiffe darunter vier Flugzeugträger, fünf U-Boote, mindestens 17 Fregatten und zwei Korvetten sowie mindestens 400 Kampfflugzeuge zur Verfügung stehen. Die Bundeswehr stellt mit 18.000 von den 80.000 Soldaten das größte nationale Kontingent aller EU-Staaten.

1.2. Battlegroups
Die Speerspitze dieser Schnellen Eingreiftruppe bilden sogenannte Battlegroups, jeweils 1.500 Mann stark, für die die EU-Staaten im Zeitraum 2005 bis 2012 Kontingente für 22 Battlegroups gemeldet haben. Die Bundeswehr beteiligt sich an acht und will in vieren die Führung übernehmen. Das ist die häufigste Beteiligung und die häufigste Führungsübernahme aller EU-Staaten. Man kann sagen: Deutschland beteiligt sich in höchstem Maße an der Militarisierung der EU.
Jeweils zwei Battlegroups stehen für ein halbes Jahr in kurzfristiger Einsatzbereitschaft. Spätestens zehn Tage nach dem politischen Beschluss sollen sie im Umkreis von bis zu 6.000 km um Brüssel eigenständig (d.h. ohne NATO-Unterstützung) einsetzbar sein und zwischen einem und vier Monate durchhalten können. Es gibt ein Battlegroup-Konzept. Darin heißt es: Ihr Einsatz soll „vorrangig (aber nicht exklusiv)“ auf Grundlage eines Mandats nach Kapitel VII der UN-Charta erfolgen. Wozu die Einschränkung? Sollen sie auch ohne UN-Mandat eingesetzt werden können? Die diesbezügliche offizielle „Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit zwischen VN und EU bei der Krisenbewältigung“ vom 7. Juni 2007 bestätigt diese Vermutung: „Mit der Errichtung der vollen Einsatzbereitschaft der EU-Gefechtsverbände (die Battlegroups, Anm. L.H.) hat die EU ihre Fähigkeiten für Krisenbewältigungsoperationen, die eine rasche militärische Reaktion erfordern, verbessert. Das Gefechtsverbandskonzept der EU sieht auch die Möglichkeit vor, auf Ersuchen des Sicherheitsrats der VN – ggf. mit einem Mandat – EU-geführte Krisenbewältigungsoperationen durchzuführen.“ Würde dort festgelegt worden sein, dass der Einsatz der Battlegroups zwingend an ein UN-Mandat gebunden ist, wäre der rechtlichen Seite genüge getan. Aber so ist der Kampfeinsatz durchaus auch ohne Mitwirkung der UN möglich. Das wäre Völkerrechtsbruch!

Neben der EU hat sich auch die NATO eine Schnelle Eingreiftruppe zugelegt.


2. Schnelle Eingreiftruppe der NATO


Seit 2002 wurde die schnelle Eingreiftruppe NATO Response Force (NRF) schrittweise aufgebaut. Auf dem NATO-Gipfel-Treffen in Riga im November 2006 wurde die NRF mit 25.000 Soldaten voll einsatzfähig gemeldet. Binnen einer Woche soll sie weltweit verlegbar sein. Über die kriegerische Bedeutung dieser NATO-Truppe war sich der damalige Verteidigungsminister Struck völlig im Klaren. Im Juni 2005 sagte er gegenüber dem Bonner Generalanzeiger: „Es wird in der NATO keine Arbeitsteilung geben können nach dem Motto: Wir überlassen anderen Nationen friedenserzwingende Einsätze und deutsche Soldaten rücken nachher ein, um die Lage zu stabilisieren. So geht es nicht. Deutschland wird seinen Beitrag in der schnellen Eingreiftruppe (Response Force) leisten, die innerhalb einer Woche 21.000 Kampfsoldaten an jeden Ort der Welt schicken kann.“ Die NRF funktioniert so, dass sich im halbjährlichen Rhythmus die Zusammensetzung der Truppe ändert. Diese Periode dauert insgesamt drei Jahre, dann fängt der Rhythmus von vorn an. Deutschland beteiligt sich an der NRF mit Verbänden von 1.200 bis ca. 6.200 Soldaten pro Halbjahr. Kanzlerin Merkel verkündete auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2006 stolz: „Wir stellen den größten Truppenanteil an der NATO Response Force.“ Im zweiten Halbjahr 2007 beträgt der deutsche Anteil „gut ein Viertel“ . Allerdings gibt es seit geraumer Zeit wohl erhebliche Schwierigkeiten bei den USA und auch anderer Staaten, „die versprochenen Beiträge an Truppen und Material“ in Bereitschaft zu halten. Deshalb will man von einer ständigen Bereitschaftshaltung wegkommen und nur noch eine Kerntruppe aus „wenigen sofort abrufbaren Spezialeinheiten“ vorhalten, „eine Art Vorhut mit Kampftruppen, Fernmeldern und Nachschubsoldaten,“ die bei Bedarf aufgefüllt werden.
Halten wir trotzdem fest: Die Bundeswehr stellt für die Schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO jeweils das größte nationale Kontingent.


3. Strukturelle Angriffsfähigkeit der Bundeswehr


Um sich wirkungsvoll an den schnellen Eingreiftruppen von NATO und EU beteiligen zu können, erhält die Bundeswehr die von mir anfangs erwähnte neue Struktur, die zum Angriff befähigen soll. Man spricht von struktureller Angriffsfähigkeit.

3.1. Drei neue Kategorien
- 35.000 Mann Eingreifkräfte : Das sind Hightech-Soldaten aller drei Teilstreitkräfte mit entsprechender Ausrüstung für die schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO. 18.000 stehen für die EU und 15.000 davon werden für die NRF bereitgehalten. Das schließt bei der NRF Soldaten für die Vor- und Nachbereitschaft ein. Je 1.000 Soldaten stehen für die UN und für Evakuierungsmaßnahmen bereit.
Die Aggressivität des Bundeswehrkonzepts unterstreicht Generalinspekteur Schneiderhan, der die Fähigkeiten der Eingreifkräfte so beschrieb: „Sie müssen zu uneingeschränkten vernetzten Operationen und zum Gefecht der verbundenen Waffen, zur verbundenen Luft- und Seekriegführung sowie zum präzisen Waffeneinsatz im gesamten Reichweitenspektrum befähigt sein. Vielleicht müssen sie noch auf lange Zeit den Sieg durch physische Präsenz mit traditioneller Symbolik dokumentieren: die Hauptstadt fällt, Denkmäler werden gekippt, Flaggen werden eingeholt.“
- 70.000 Mann Stabilisierungskräfte sind für längerfristige Einsätze vorgesehen, also KFOR, ISAF etc. Sie sind eskalationsfähig und zwischen ihnen und den „Eingreifkräften besteht ein operatives Wechselspiel.“ Maximal 14.000 von ihnen können gleichzeitig, „aufgeteilt auf bis zu fünf verschiedene Einsatzgebiete“ , eingesetzt werden. Zur Zeit sind es 7333 in 11 Einsätzen. (Stand 2.10.07) Somit soll durchaus mehr als eine Verdopplung möglich werden.
- 147.500 Soldaten und 75.000 ziviles Personal, also insgesamt 222.500 sind Unterstützungskräfte.


3.2. Neue Waffen und Ausrüstungen

Zur Umsetzung des Konzepts, weltweit interventionsfähig und damit angriffsfähig zu werden, wurden seit den 1990er Jahren für die Bundeswehr zunehmend neue Waffensysteme und Ausrüstungen in Auftrag gegeben. Im Folgenden will ich diejenigen beschreiben, die die weltweite Orientierung und die Aggressivität des Konzepts belegen. Vorrang hat dabei die Ausrüstung der Eingreifkräfte. Im Weißbuch klingt das so: „Angesichts begrenzter Ressourcen wird die Material- und Ausrüstungsplanung entsprechend der Streitkräftekategorisierung differenziert vorgenommen. Die Eingreifkräfte werden vorrangig mit hochwertiger Technologie ausgerüstet, um deutliche Verbesserungen in der Befähigung zu multinationalen, streitkräftegemeinsamen, vernetzten Operationen hoher Intensität zu erzielen.“

3.2.1. Weltraum
Die Bremer Firma OHB-System AG stellt für die Bundeswehr ein System von fünf Radarsatelliten, SAR-Lupe genannt, samt Bodenstation (in Gelsdorf bei Bonn) her. Gezielt kann mit dieser licht- und wetterunabhängigen Radartechnik spätestens binnen eineinhalb Tagen jeder Ort auf der Erde anvisiert und ausspioniert werden. Objekte von einem halben Meter Größe werden so aus dem All identifizierbar. Die Technologie ist so ausgereift, dass ihre Bilder mit denen der USA vergleichbar werden und im Tausch angeboten werden können. Deutschland wird damit zum Global Player.

Nach dem Start des ersten Satelliten am 19. Dezember 2006 und des zweiten am 3. Juli 2007 werden die anderen drei Satelliten in Abständen von vier bis sechs Monaten in den Orbit lanciert. SAR-Lupe soll 2008 voll funktionsfähig sein und später mit dem optischen und auf Infrarotbasis arbeitenden französischen Helios-II- Satelliten verkoppelt werden. Dies wiederum wird von offizieller Seite als erster Schritt hin zu einem europäischen Verbund von Aufklärungssatelliten betrachtet.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag bewertete dies als einen Einstieg in die EU-Weltraumrüstung unter deutsch-französischer Führung . So werde der autonome Einsatz der schnellen Eingreiftruppen der EU und ihrer Speerspitze, den Battlegroups, unabhängig von den USA effektiviert. Die Länder der Welt müssten sich bedrohter fühlen. Dies werde zu Gegenmaßnahmen führen, die letztlich auch die Bekämpfung dieser Satelliten einbeziehe. Dabei werde es nicht nur um die Störung sondern auch um die Zerstörung von Satelliten gehen. Militärische Satelliten würden Weltraumwaffen nach sich ziehen.

3.2.2. Luftraum
Vorweg eine kurze Erklärung der sogenannten Vernetzten Operationsführung, der die „Eingreifkräfte“ unterliegen: Sie dient dazu, die Entscheidungsprozesse in Kriegssituationen zu beschleunigen. Das soll den entscheidenden Vorteil im Krieg bringen. Technisch bedeutet das: Alle Führungs- und Einsatzebenen verfügen über ein gleiches Lagebild auf ihrem Display. Entscheidend dafür sind Aufklärungsdaten, die zukünftig von Unbemannten Flugkörpern (UAV) geliefert werden sollen. Die Einführung von UAVs wird im offiziellen Sprachjargon der Bundeswehr als „Kristallisationspunkt für die Transformation in Bundeswehr und Luftwaffe“ angesehen.
Die Bundeswehr will ab 2013 sechs Global Hawk kaufen. Das mit einem Radarsystem ausgestattete Global Hawk kann binnen 24 Stunden ein Gebiet von der Größe Nordkoreas ausspionieren – und dies 5500 km von seinem Startplatz entfernt.

Als Weiterentwicklung des Global Hawk will man den Euro Hawk. Der Bundestag gab am 1. Februar 2007 die Entwicklung eines Prototyps des Euro Hawks (für 431 Mio. Euro) in Auftrag. Ab 2010 sollen vier weitere beschafft werden.
Erstmals in der deutschen Militärgeschichte hat die (rot-grüne) Bundesregierung Marschflugkörper bestellt. Bis 2010 sollen für Tornados und Eurofighter 600 Taurus (lat. Stier) angeschafft werden. Aus einer Entfernung von bis zu 350 km vom einprogrammierten Ziel abgesetzt kann Taurus mittels der 500 kg schweren Gefechtsladung noch vier Meter dicken Beton durchschlagen. Die Marschflugkörper Taurus tragen in sehr hohem Maße zur Angriffsfähigkeit der Bundeswehr bei.
Die deutsche Luftwaffe erhält ab 2010 sechzig strategische Transportflugzeuge Airbus A 400 M. Die viermotorigen Propellermaschinen sollen die Transall ablösen, können aber doppelt so viel tragen und mehr als doppelt soweit am Stück fliegen, nämlich 9.000 km. Zehn Airbusse werden für die Luftbetankbarkeit ausgelegt, so dass sie nonstop um die Welt fliegen können. Der A 400 M wird als Schlüsselprojekt angesehen und dient offiziell der „Strategischen Verlegefähigkeit in der Luft.“ Der Airbus kann Militärgerät transportieren wie zwei Kampfhubschrauber Tiger oder einen Transporthubschrauber NH-90 oder einen Schützenpanzer Puma oder 116 Soldaten mit Ausrüstung. Möglicherweise gibt es wegen der Triebwerke Lieferverzögerungen bis zu einem Jahr, wie EADS diese Woche meldet.

Ende Juni 2003 gingen die Eurofighter in Serienproduktion. Bis zu 180 Maschinen sollen in drei Tranchen bis 2015 beschafft werden. Die Gesamtkosten belaufen sich derzeit auf 23 Mrd. Euro. Der Haushaltsausschuss des Bundestages bewilligte die zweite Tranche über 68 Maschinen Anfang Dezember 2004. Er band seine Zusage allerdings an Auflagen, wonach „in den Verträgen Regelungen zu vermeiden (seien), die eine Vorentscheidung zur Tranche 3 bedeuten könnten“ . Es besteht also durchaus die Chance, wenigstens die dritte Tranche über 75 Eurofighter noch zu verhindern. Die Verhandlungen über die Vertragsunterzeichnung dürften nächstes Jahr anstehen.
Der Haushaltsausschuss hat für die Entwicklung des Luftverteidigungssystems MEADS grünes Licht gegeben. MEADS soll Marschflugkörper und ballistische Raketen mit Reichweiten unterhalb von 1.000 km abschießen. Wenn wir uns die Umgebung Deutschlands vor Augen führen, wird deutlich, dass im Umkreis von 1000 km niemand mit Raketen oder Marschflugkörper auf uns zielt. MEADS kann also mit Landesverteidigung nichts zu tun haben – hat es auch nicht. Es soll lediglich Soldaten der schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO im Ausland schützen. Dazu taugt das vorhandene Patriot-System nicht, denn es passt nur schwer in ein Flugzeug, aber MEADS kann mit den Military-Airbussen weltweit transportiert werden. Allerdings Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen kann MEADS nicht vom Himmel holen. Deshalb hat der Bundestag der Entwicklung von Raketen des Typs Iris T-SL als Zweitflugkörper zugestimmt. 504 Iris-Raketen für 300 Mio. Euro sollen später beschafft werden.

3.2.3. Heer
Das Heer, das heute die meisten Soldaten in Auslandseinsätzen stellt, soll künftig auch die meisten Soldaten für die Eingreifkräfte und die Stabilisierungskräfte stellen.
Für die Eingreifkräfte des Heeres sollen 88 neue Schützenpanzer Puma zur Verfügung gestellt werden, von denen insgesamt 410 Exemplare bis 2012 gekauft werden sollen. Sie können in den Airbussen transportiert werden – fünf Puma in sechs Airbusse. Das klingt seltsam, ist aber logisch, denn ein Panzer ist zu schwer für den Airbus. Deshalb werden Teile der Schutzverkleidung separat transportiert und vor Ort wieder angebaut.
Das Heer soll aus fünf Divisionen bestehen. Dazu zählen die Division Spezielle Operationen DSO (ca. 7.300 Mann), zu der neben zwei Luftlandebrigaden das geheim operierende Kommando Spezialkräfte (KSK) gehört, und die Division Luftbewegliche Operationen DLO (ca. 10.500 Mann). Wesentlicher Bestandteil der DLO ist die neue sogenannte Luftbewegliche Brigade. Sie soll 64 Kampfhubschrauber Tiger und 32 Transporthubschrauber NH-90 erhalten sowie eine 1.600 Soldaten starke Infanterie, die per Gleitschirm einfliegt. Diese Kampftruppe, dessen Kern die Tiger bilden, die die kampfstärksten Hubschrauber überhaupt sind, wird aus dem Stand einsetzbar und steht nach Bundeswehrselbstzeugnis „damit qualitativ auch international an der Spitze“ . Ab 2009 soll die erste Staffel (= 18 Tiger + 18 NH-90) einsatzbereit sein („combat ready“). Tiger verfügen über „durchschussverzeihende Rotorblätter“ und „selbstabdichtende Tanks“. Vorerst sollen 80 Tiger beschafft werden.
Eine Analyse des „Neuen Heeres“ zeigt, dass zu denjenigen Teilen der Eingreifkräfte, die von der Artillerie gestellt werden, 80 Panzerhaubitzen 2000 sowie 40 Raketenwerfer MARS zählen. „Die Panzerhaubitze 2000 ist das zurzeit modernste Rohrwaffensystem der Welt.“ Es schießt 36 km weit und kann 20 Schüsse in drei Minuten abfeuern. Der Mehrfachraketenwerfer MARS „kann Bomblet- und Minenraketen bis zu einer Entfernung von 38,5 km verschießen.“ Bombletmunition richtet sich vor allem gegen Menschen. Schwere Heereswaffen sollen auch in der Marine Verwendung finden.

3.2.4. Marine
Allgemein kann man sagen: Die Globalstrategie der deutschen Marine konzentriert sich auf fremde Küstengewässer und auf das Land dahinter.
Aufschluss über das Denken der Admiralität gab der Inspekteur der Deutschen Marine, Vizeadmiral Wolfgang Nolting, in einem langen Aufsatz aus dem April. Daraus will ich ein paar Passagen vorlesen.

Für Nolting haben sich die Meere zu den „Hauptschlagadern der Welt entwickelt. Damit kommen unsere maritimen Fähigkeiten ins Spiel,“ meint der oberste Mariner der Bundeswehr, „denn die Sicherheit von Seeverbindungslinien ist für uns und die weltweite Staatengemeinschaft von lebenswichtiger Bedeutung. [...]. Die Globalisierung bringe es mit sich, dass auch geographisch weit entfernte Ereignisse mit geringster Verzögerung negative wirtschaftliche und somit innenpolitische Auswirkungen haben könnten. „Dies nicht zuletzt,“ so Nolting, „weil unsere hochgradig im- und exportabhängige Wirtschaft zwingend auf einen freien Zu- und Abfluss an Rohstoffen und Waren angewiesen ist. [...] Wir sind mit Piraterie, Terrorismus und organisierter Kriminalität konfrontiert“ , stellt Nolting fest. Jedoch, so der Vizeadmiral, „über den möglichen Schutz ziviler Schifffahrt in gefährdeten Regionen hinaus, müssen wir die Weltmeere auch als größtes militärisches Aufmarsch- und Operationsgebiet begreifen. Nach Schätzung von Experten werden 2020 über 75 Prozent der Weltbevölkerung innerhalb eines nur 60 km breiten Küstenstreifens leben. Wir reagieren auf diesen Umstand, indem wir unsere Marine aktuell zu einer ‚Expeditionary Navy’ weiterentwickeln. Wir müssen Fähigkeiten entwickeln, die uns künftig die Teilhabe an teilstreitkraftgemeinsamen und multinationalen Szenarien bis in entfernte Randmeerregionen ermöglichen. [...]

Die See wird zu einem Wirkraum, der nicht mehr durch die unmittelbare Küstenlinie selbst begrenzt wird, sondern weit darüber hinaus ins Hinterland reicht, um so die Unterstützung von Landoperationen zu ermöglichen. Für die Marine bedeutet dies, Fähigkeiten auszubauen, um Operationen an Land von See aus unterstützen zu können.“ Er spricht von der Nutzung der See als exterritoriale Basis, und kreiert den Begriff „Basis See“. „Bei internationaler Krisenbewältigung und Konfliktverhütung wird es künftig mehr denn je sinnvoll sein, von See aus mit militärischen Mitteln Einfluss zu nehmen. Diese Option bietet sich besonders dann an, wenn die Zahl eigener Landtruppen im Einsatzland aus politischen, militärischen, medizinischen oder kulturellen Erwägungen möglichst klein gehalten werden soll, oder dann, wenn man seine Soldaten keiner besonderen Gefährdung aussetzen möchte. Ferner können See- und Seeluftstreitkräfte ungehindert und frühzeitig den hoheitsfreien Raum der Hohen See nutzen und besonders im Vorfeld von Operationen in einem Einsatzland von See aus Entschlossenheit und Präsenz demonstrieren sowie diplomatische Aktivitäten unterstützen: Ergo keinem Automatismus das Wort reden, sondern den gesamten Spielraum der Eskalation und Deeskalation offen halten. Streitkräftegemeinsame Operationen können bei eskalierender Entwicklung durch Waffenwirkung von See an Land unterstützt werden.“
Dass dies nicht nur blanke Theorie oder Zukunftsmusik ist, zeigt sich spätestens am Bau neuartiger Korvetten, die nach dem Typschiff Braunschweig-Klasse benannt sind.

Fünf Exemplare der hochseegängigen Korvetten K 130 wurden im Dezember 2001 in Zeiten von Rot-Grün in Auftrag gegeben. Sie sind 89 m lang, 13 m breit, haben einen Tiefgang von nur 3,40 m, 1840 t, über 26 kn schnell, Reichweite bei 15 kn: 7.500 km.

Über sie steht im Weißbuch: „Mit den Korvetten K 130 verbessert die Marine künftig ihre Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit. Diese Eingreifkräfte der Marine werden zur präzisen Bekämpfung von Landzielen befähigt sein und damit streitkräftegemeinsame Operationen von See unterstützen.“

Inzwischen sind alle fünf Korvetten getauft. Sie wurden von ThyssenKrupp Marine Systems in Hamburg konzipiert und auf den beiden ThyssenKrupp-Werften Blohm + Voss in Hamburg und Nordseewerke in Emden sowie bei der Lürssen-Werft in Bremen gebaut. Ihre Namen Braunschweig, Magdeburg, Oldenburg, Erfurt und Ludwigshafen. Die Indienststellungen sollen bis November 2008 abgeschlossen sein. Standort des 1. Korvettengeschwaders ist der Marinestandort Hohe Düne in Rostock-Warnemünde.

Bewaffnung Marschflugkörper

Die Korvetten werden mit dem deutsch-schwedischen Marschflugkörper RBS 15 Mk3 bewaffnet. Die Reichweite dieser Marschflugkörper wird mit 200 km angegeben. Angegeben wird auch, dass diese durchaus ausbaufähig ist auf 400 km. Der Sprengkopf enthält 200 kg TNT. Die Zielgenauigkeit liegt im Meterbereich auf feste Ziele. Die Militärzeitschrift Soldat und Technik schwärmte geradezu: „Der RBS 15 Mk3 ist ein vielseitig einsetzbarer und höchst wirkungsvoller Flugkörper mit Landzielbekämpfungs-Fähigkeit, der seinesgleichen sucht.“ Jede der fünf Korvetten wird mit vier dieser Marschflugkörper bestückt. Sie sind auf Salvenverschuss ausgelegt. Insgesamt sind davon 60 Exemplare bestellt worden. Damit werden sämtliche Hauptstädte der Küstenländer Afrikas aus sicherer Entfernung beschießbar, aber auch z.B. Damaskus und Pjöngjang geraten in die Reichweite der deutschen Marine. Oder, um Noltings Gedanken aufzugreifen, 75 Prozent der Menschheit gerät in den Schussbereich der deutschen Korvetten.

Wichtig noch: In der „Konzeption der Bundeswehr“ sind die fünf Korvetten den Eingreifkräften zugeordnet. Dies zusammen mit sieben Fregatten, vier U-Booten sowie Seeluftstreitkräften . Das bedeutet, dass sämtliche Korvetten der NRF der NATO und den EU-Battlegroups eingegliedert werden.

Konzeptionell sind die Korvetten auf das engste mit dem nächstgrößeren Kriegsschifftyp, der Fregatte, verbunden. Schon Mitte der 1990er Jahre hatte der Kapitän zur See Klaus Mannhardt das dem zu Grunde liegende Konzept entworfen. Er schrieb 1995: Die Korvette eröffnet dem gesamten Einsatzverband ein Handlungsspektrum, das den „Verbund des Überwasserseekrieges von der Hohen See bis in die Küste hinein verwirklichen” könne. Und weiter: „Dabei wird der Verbund zwischen Fregatte und Korvette außerordentliche Bedeutung erlangen.” Mannhardt ist heute Chef des Stabes der Einsatzflottille 1, dem das 1. Korvettengeschwader unterstellt ist, und damit Stellvertreter ihres Kommandeurs.

Zusammengefasst kann man sagen: Die Korvetten sind ein spektakulär neues Kampfmittel. Mit den Korvetten erweitert die Bundeswehr ihre Möglichkeiten erheblich. Erstmals kann sie nicht nur Schiffe und U-Boote versenken, sondern auch von See aus Zerstörungen an Land – sogar im Landesinneren - herbeiführen. Das ist Kanonenbootpolitik, die mit Landesverteidigung nichts zu tun hat. Artikel 87 a des Grundgesetzes legt fest: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“

Zu den Kosten des Korvettenbaus: Die Bau- und Entwicklungskosten belaufen sich inklusive Bewaffnung auf 1,5 Mrd. Euro, also pro Schiff auf 300 Mio. .

Nun zu den Fregatten. Die Marine verfügt über 15 Fregatten (8 F 122, 4 F 123, 3 F 124). Die Besonderheit des neuesten Modells, den drei F 124 der Sachsen-Klasse, ist ihr Preis. Mit einem Stückpreis von 733 Mio. Euro sind sie noch um 100 Mio. Euro teurer als das größte Kreuzfahrtschiff der Welt die Queen Mary II.

Für die sogenannten Stabilisierungskräfte gab der Bundestag im Juni 2007 grünes Licht für einen neuen Fregattentyp: die F 125. Vier Schiffe sollen von 2014 bis 2017 beschafft werden. Die F 125 ist „für langjährige weltweite Einsätze auch in rauen Seegebieten“ konzipiert. Marineinspekteur Nolting schrieb über die F 125: „ Eine Stärke liegt dabei in der Fähigkeit, Operationen in einem Einsatzland mit Waffenwirkung von See zu unterstützen.“ Als Bewaffnung sind u.a. das 127-mm-Geschütz OTO-Melara mit einer Reichweite von bis zu 23 km und ein Mehrfach-Raketenwerfer vorgesehen. Ob die schon erwähnte „Stalinorgel“ MARS auf die F 125 montiert wird oder das GMLRS ist nicht entschieden. GMLRS steht für Guided Multiple Launched Rocket System. Dabei handelt es sich um gelenkte Raketen, die Reichweiten von 70 km erzielen können, aber auch ein Aufwuchspotenzial auf 100 km Reichweite haben. Den Lenkraketen steht eine breite Palette von Gefechtsköpfen zur Verfügung, die Ziele wie Menschen, Panzer und verbunkerte Stellungen töten bzw. zerstören können. Zudem sollen auf den Fregatten jeweils 50 Mann Spezial-Kampftruppen stationiert werden können, die von mitgeführten Speedbooten aus andere Schiffe entern oder an fremdes Land gehen können.

Bleiben noch die U-Boote der Klasse 212: Das letzte der vier U-Boote des neuartigen Typs 212 wurde Anfang Mai 2007 in Dienst gestellt. Die U-212 sind die kampfstärksten konventionellen U-Boote der Welt. Das wird durch einen neuartigen Brennstoffzellenantrieb erreicht, der das Boot weitgehend von Außenluft unabhängig macht, so dass die U-Boote drei bis vier Wochen lang ununterbrochen unter Wasser bleiben und dabei bis zu 22.000 km zurücklegen können. Dabei bewegen sie sich quasi lautlos („Selbst amerikanische Atom-Boote sind lauter“) . Die Kampfstärke der U-212 wird erreicht durch neuartige deutsche Schwergewichtstorpedos Seehecht, von denen die Bundeswehr 70 Exemplare geordert hat. Aus sechs Rohren lassen sich diese über eine gelenkte Laufstrecke von mehr als 50 km (Vorgängermodell ca. 20 km) ins Ziel befördern. Der Seehecht kann nicht nur Überwasserschiffe, sondern auch U-Boote versenken.

Außerhalb der NATO ist keine Marine fähig, Jagd auf diese U-Boote zu machen. Für z. B. Russland, China, Iran oder Nordkorea stellen diese U-Boote im Konfliktfall bis auf weiteres eine nicht abwehrbare Bedrohung dar. Die U-212-Technik wird exportiert: Auch Süd-Korea, Israel, Griechenland, Portugal und Italien erhalten sie. Eine weitere Besonderheit: Eins dieser U-Boote kann „800 km Küste kontrollieren“ .
Zwei weitere dieser U-212 wurden im September 2006 vom Bundestag beschlossen. Die beiden U-Boote werden für das „verdeckte Anlanden und Wiederaufnehmen von Spezialkräften“ ausgelegt. Kampfschwimmer können dann „eine Vier-Mann-Schleuse nutzen und auch umfangreiche Ausrüstung in druckfesten Behältern mitführen.“ Die beiden 915 Mio. Euro teuren U-Boote sollen in den Jahren 2012 und 2013 in Bundeswehrdienst kommen.

Abschließend sei bemerkt, dass die Bundeswehr für den weltweiten Einsatz in den Schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO bemerkenswert gut gerüstet geht. Die Regierung richtet sie auf eine weltweite Angriffsfähigkeit aus. Auch wenn die Verteidigungspolitischen Richtlinien von Volker Rühe von 1992 von denen Peter Strucks 2003 abgelöst wurden, scheint doch eine prägnante Richtlinie nach wie vor wegweisend zu sein: „Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet ist, muß Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.” (Pkt. 27) Das werte ich als klar formulierten imperialistischen Machtanspruch, der auf die Sprache der Waffen setzt.

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Lühr Henken, Jahrgang 1953, Mitglied der DFG-VK, ist im Vorstand des Hamburger Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V., einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedenratschlag, Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Der Beitrag als pdf-Datei mit Quellenangaben und Verweisen:
Lühr Henken, Rüstungsprogramme der Bundeswehr, Vortrag auf dem Sozialforum Cottbus 19.10.2007

Mehr Informationen: http://www.imi-online.de

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