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„Kurzer Prozeß“ am AG Zittau – Befangener Richter schließt kurzerhand unbequeme Verteidiger von Verhandlung aus17.12.2007

Marktplatzrekrutierung der Bundeswehr- Foto: M.Schädel

Zittau/Dresden, den 16.12.2007. Am vergangenen Freitag, dem 14.12.07 ist in der Verhandlung gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Andreas Reuter am
Amtsgericht Zittau völlig unerwartet ein Urteil gesprochen worden. Zuvor hatte der Richter die unbequem gewordenen Verteidiger regelrecht aus dem Weg geräumt und dem Angeklagten in der mehr einem Überraschungsangriff ähnelnden Verhandlung keinerlei Gelegenheit mehr gegeben, seine Verteidigung neu zu organisieren.

Nach nicht einmal 45 Minuten wurde der so überrannte Angeklagte zu zwei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Verhandlung im Saal 201 des Amtsgerichts Zittau gegen den 24jährigen Totalverweigerer begann mit einem Überraschungsangriff des Vorsitzenden. Punkt 8.00 Uhr verkündete Richter am Amtsgericht Kai Ronsdorf zwei Beschlüsse, mit denen sämtliche gegen den Richter erhobenen Befangenheitsvorwürfe als unzulässig verworfen wurden und gleichzeitig den Verteidigern die Zulassung als Wahlverteidiger kurzerhand entzogen wurde.

Wer nun glaubte, dem plötzlich und unerwartet ohne Verteidigung dastehenden Angeklagten müsse die Gelegenheit eingeräumt werden, seine Verteidigung neu zu organisieren, sah sich getäuscht: der Antrag des Angeklagten, die Hauptverhandlung auszusetzen, wurde abgelehnt; der Antrag des Angeklagten,
ihm einen namentlich benannten Rechtsanwalt aus Bremen beizuordnen, wurde
ebenfalls abgelehnt. Dem so überwältigten Angeklagten, der damit völlig unerwartet seiner Verteidigung beraubt wurde, blieb nur noch, seiner Verurteilung – jeder
Wehrmöglichkeit beraubt – ohnmächtig beizuwohnen. Der Richter hatte dem Angeklagten nicht einmal die Gelegenheit gegeben, sich auf die völlig veränderte Prozeßsituation, plötzlich ohne Verteidigung dazustehen, einzustellen.

Den Entzug der Zulassung hatte der Richter u.a. mit einem angeblichen Verstoß gegen das Rechtsberatrungsgesetz (RBerG) begründet. Dieses nationalsozialistische Gesetz von 1935, das ursprünglich dazu diente, Juden und andere „unbequeme Elemente“ aus der Rechtsberatung zu drängen, verbietet die geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten und war auch später durch willkürlich-selektive Anwendung dazu mißbraucht worden, unliebsame Menschen, die sich bspw. in der Asylberatung engagierten, zu kriminalisieren. Dabei hatte das BVerfG erst 2006 entschieden, daß eine altruistisch ausgeübte unentgeltliche Rechtsberatung bei verfassungskonformer Auslegung keinen Verstoß gegen das RBerG darstelle und daher auch nicht zur Versagung einer Zulassung als Wahlverteidiger gem.§ 138 Abs. 2 StPO herangezogen werden dürfe. Die Entscheidung des BVerfG hat zur Neuregelung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) geführt, das bereits durch den Bundestag beschlossen und vom Bundesrat gebilligt wurde und mit Wirkung vom 01.07.08 das RBerG ablösen wird. Nach dem neuen RDG ist die unentgeltliche altruistische Rechtsberatung ausdrücklich erlaubt.

Den Entzug der Zulassung hatte der RiAG Ronsdorf auch damit begründet, daß die Verteidiger ihn mehrfach wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatten. Hierzu hatte sich die Verteidigung veranlaßt gesehen, weil der Richter „wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, daß er den prozessualen Rechten des Angeklagten schlicht keinerlei Beachtung schenkt“. So hatte der Richter u.a. „das Recht der Verteidigung schon zu Beginn des Verfahrens unzulässig beschnitten und das Recht der Akteneinsicht vollständig verwehrt.“ Die schwer befangene Haltung des Richters habe dieser auch mehrfach dadurch dokumentiert, daß er zu den Hauptverhandlungsterminen stets bewaffnete Polizeibeamte hinzugezogen hatte; diese waren teilweise in schußsicherer Weste erschienen und hatten auf Anweisung des Richters die gesamte erste Reihe des Zuschauerraumes besetzt, die für das erschienene Publikum gesperrt war. Die Verteidigung erklärte hierzu: „Wie soll ein Angeklagter, der sich für seine Totale Kriegsdienstverweigerung ausdrücklich auf seine gewaltfreie Grundeinstellung beruft, denn noch von einem
unbefangenen Richter ausgehen können, wenn dieser meint, die Verhandlung gegen ihn lediglich in Anwesenheit von bis an die Zähne bewaffneten Bereitschaftspolizisten durchführen zu können, ohne sich bedroht zu fühlen?!“ Die Begründung des Richters, er habe den Verteidigern „auch aus Gründen der dem Gericht gegenüber dem Angeklagten obliegenden Fürsorge“ den Verteidigern die Zulassung entziehen müssen, sei „nur noch blanker Zynismus – der Richter, dem der Begriff der Fürsorgepflicht gegenüber dem Angeklagten über das gesamte bisherige Verfahren völlig fremd zu sein schien und nahezu sämtliche Rechte des Angeklagten mit Füßen trat, hat einfach nur die ihm zu unangenehm gewordene Verteidigung aus dem Weg räumen wollen, weil diese ihn bei seinem durchgehend prozeßrechtswidrigen Verhalten gestört hat“, erklärte Verteidiger Jörg Eichler. Die „willkürliche Art und Weise“, wie der Richter hier bewußt den Angeklagten hat „in eine Falle laufen lassen“, indem er ihm zu Beginn der Hauptverhandlung völlig überraschend seine Verteidiger nahm und keine Gelegenheit mehr gab, sich eine neue Verteidigung zu organisieren oder auch nur wenigstens auf diese neue Situation einzustellen, erinnere „unangenehm an Praktiken im Umgang mit Systemgegnern, wie sie in der DDR üblich gewesen waren“.

Der Angeklagte, der ursprünglich eine umfangreiche Einlassung insbesondere zur Motivation für seine Verweigerung angekündigt hatte, machte daher deutlich, daß er hier „unter diesen Umständen kein Wort“ mehr sage und schwieg fortan. Es gab keine Einlassung, kein Schlußwort der Verteidigung, kein letztes Wort des Angeklagten. Nach der Verhandlung begründete der Angekagte sein Schweigen damit, daß er nicht bereit gewesen sei, „in einem Prozeß, der nicht einmal mehr zum Schein rechtsstaatliche Formen wahrt, sondern dem Gedanken der Gerechtigkeit nur noch Hohn spottet“, seine „Rolle als Angeklagter mitzuspielen.“

Im weiteren Verlauf der Verhandlung, die einem Schnellverfahren glich, wurde eine Mitarbeiterin des Bundesamtes für Zivildienst als Zeugin gehört, deren Aussage bestätigte, daß der Angekagte trotz Erhalt des Einberufungsbescheides diesen nicht befolgt hatte. Gleichzeitig sagte diese aber auch aus, daß sie aufgrund eines Schreibens des Verweigerers an die Zivildienststelle auch wisse, daß Andreas Reuter aufgrund seiner pazifistischen Grundeinstellung eine Gewissensentscheidung gegen die Ableistung des Zivildienstes getroffen habe.
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, OStA Behrens, hatte im darauffolgenden Plädoyer daher unter Anerkennung dieser Gewissensentscheidung eine Bestrafung lediglich im unteren Bereich des Strafrahmens gefordert und eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten mit Bewährung beantragt. Der Richter, der im Anschluß daran für die „Urteilsberatung“ keine zwei Minuten benötigte und sich hierfür nicht einmal aus dem Saal entfernte, verurteilte den Angeklagten schließlich zu 2 Monaten Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Auch im Urteil wurden die Gewissensgründe des Angeklagten anerkannt.

In seiner Urteilsbegründung führte RiAG Ronsdorf u.a. aus, daß er sich „einer Einstellung des Verfahrens durchaus nicht verwehrt hätte“; dies habe sich der Angeklagte jedoch durch sein Prozeßverhalten und seine Verteidigungsstrategie verscherzt. Die Verteidiger erklärten hierzu, gerade hier zeige sich sehr deutlich die willkürliche Art, in der der Richter meine, Recht sprechen zu dürfen – völlig abgelöst von rechtlichen Kategorien sei sein Urteil offensichtlich davon beeinflußt, daß „der Richter sich durch den Angeklagten und seine Verteidiger in seiner offen rechtsstaatswidrigen Verfahrensweise gestört gefühlt habe“. Auch die Tatsache, daß das Urteil im Vergleich mit anderen gleichgelagerten Fällen sicher nicht besonders hoch ausgefallen ist, dürfe „nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Entscheidungen
dieses Richters weniger von rechtlichen Kategorien als eher von seiner Laune abhängig sind und das Urteil bei leicht anderer Konstellation hätte auch ganz anders ausfallen können.“

i.A. Jörg Eichler

Aktenzeichen: 4 Ds 240 Js 22693/05

Kontakte:

Ø Verteidiger Jörg Eichler, siehe Briefkopf;
Ø Staatsanwaltschaft Zittau, StA‘in Küsgen, Tel.: 03581/469822;
Ø Amtsgericht Zittau, Geschäftsstelle 4. Abtlg., Tel.: 03583/759123;
RiAG Ronsdorf, Dw: 03583/759023.


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