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»Deutsche Soldaten haben da nichts zu suchen«04.01.2013

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Morgen in Lübeck: Protest gegen die Verschiffung deutscher Patriot-Raketen in die Türkei.

Interview: von Mirko Knoche mit Bernd Meimberg, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Lübeck

Angehörige der Friedensbewegung wollen am Samstag in der Lübecker Innenstadt dagegen protestieren, daß am 8. Januar deutsche Patriot-Raketen von der Nachbarstadt Travemünde aus in die Türkei verschifft werden. Dort soll die Luftabwehr der Bundeswehr die Grenze nach Syrien sichern. Warum stellen Sie sich gegen den Einsatz?
Die türkische Regierung hat vom Parlament einen Kriegsvorratsbeschluß billigen lassen, der es ihr erlaubt, binnen eines Jahres jederzeit mit Truppen ins Nachbarland Syrien einzumarschieren. Dabei eskaliert die türkische Regierung selbst den syrischen Bürgerkrieg, indem sie islamistische Aufständische finanziert, bewaffnet, ausbildet und über die Grenze einsickern läßt. So destabilisiert sie die Regierung in Damaskus und kann sich deshalb nicht auf einen Verteidigungsfall berufen, der ein Eingreifen der NATO rechtfertigen würde. Darum haben deutsche Soldaten im türkischen Grenzgebiet nichts zu suchen.

Dem Parlamentsbeschluß in Ankara ist aber syrisches Mörserfeuer vorausgegangen, das in der Türkei mehrere Zivilisten das Leben gekostet hat. Die Damaszener Regierung hat sich öffentlich entschuldigt und die Verantwortung dafür eingestanden. Wollen Sie das einfach ignorieren?
Nein, die Vorfälle waren sehr ernst. Aber deutsche Patriot-Raketen sind nicht dazu geeignet, Granatfeuer im Grenzgebiet zu unterbinden. Es sind Luftabwehreinheiten, die gegen Flugzeuge und ballistische Raketen gerichtet sind. Querschläger auf fremdes Territorium kann es leider immer geben, wenn ein Bürgerkrieg nahe der Grenze ausgetragen wird. Auf den syrischen Golanhöhen ist das Gleiche passiert, und den israelischen Besatzungstruppen war an keiner Eskalation gelegen.

Die Türkei mischt sich viel stärker in die Angelegenheiten ihres Nachbarlandes ein. Sie hat sich während des gesamten arabischen Frühlings sehr in den Vordergrund geschoben und ihr eigenes Modell eines vermeintlich gemäßigten Islamismus mit einer säkularen Verfassung als Musterlösung propagiert. Da ist es kein Wunder, wenn sie nun das letzte verbliebene weltliche Regime im arabischen Nahen Osten stürzen will. Außerdem will sie verhindern, daß die syrischen Kurden mehr Autonomie erlangen, was die türkischen Kurden in ihrem Kampf bestärken könnte. »Man soll sich auf den Krieg vorbereiten, wenn man den Frieden will«, hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach dem Grenzzwischenfall gesagt.

Warum hat die türkische Regierung überhaupt Patriot-Raketen angefordert, wenn sie die gar nicht braucht?
Zeitweise war die Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien im Gespräch. Dafür wären Patriot-Abfangraketen sehr gut geeignet. Das paßt auch zu den deutschen AWACS-Einsätzen in der Türkei – das sind Aufklärungsflugzeuge, die großräumig Gebiete überwachen. Die USA haben übrigens mitgeteilt, daß sie Informationen an die Rebellen weitergeben. Gerade die AWACS-Daten sind militärisch sehr interessant für die Aufständischen.

Seit dem Desaster in Libyen werden Rußland und China im UN-Sicherheitsrat einer Flugverbotszone keinesfalls zustimmen, längst ist der Vorschlag vom Tisch. Auch die westlichen Mächte haben durch ihre Einmischung in Libyen fast mehr Feinde als Freunde gewonnen. Warum wird jedes Säbelrasseln gleich als Vorbereitung eines Einmarschs gewertet? Für den Iran wird auch ständig ein Krieg vorhergesagt, obwohl sich selbst die USA dagegen aussprechen.
Ich möchte das auch nicht heraufbeschwören. Als Friedensbewegung können wir die mannigfaltigen Beweggründe und Widersprüche doch gar nicht überblicken. Allerdings müssen wir vor den Gefahren warnen, die – im Falle Teherans – durch die aggressive Rethorik aus Israel und den USA geschürt werden.

Welche Interessen hat die Bundesregierung? Die Beziehungen zu Ghaddafi waren exzellent, wie zu den meisten anderen arabischen Staaten auch. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat sich schon früh gegen eine Militärintervention in Syrien ausgesprochen. Warum schickt die Regierung dann Raketen-Truppen in die Türkei?
Eine weitere Lehre aus Libyen ist, daß niemand daneben stehen möchte, wenn die Beute verteilt wird.

Protest gegen die Patriot-Verschiffung: Samstag: Lübeck, Breite Straße, Ecke Dr.-Julius-Leber-Straße, ab 10.30 Uhr (angemeldet)

Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/01-04/052.php

Mehr Informationen: http://www.syrien.dfg-vk.de

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