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Erklärung des BSV zur Situation in Syrien, dem Iran und Israel-Palästina 18.12.2012

www.soziale-verteidigung.de

Mit großer Sorge beobachten wir die Situation im Nahen und Mittleren Osten um die Jahreswende. Gleich drei große Konflikte drohen, im kommenden Jahr (weiter) zu eskalieren und möglicherweise die gesamte Region in einen Flächenbrand hineinzuziehen: Iran, Syrien und Israel-Palästina. Sie sind eng untereinander verbunden, nicht zuletzt dadurch, dass die gesamte Region von erheblichem strategischen Interesse für die westlichen Staaten ist.

Im Iran ist die Gefahr, dass der Streit um die vorgebliche Absicht der Regierung, Atomwaffen zu entwickeln, zu einem Militärschlag gegen das Land führt, bei weitem nicht gebannt. Obwohl die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) von "Teilfortschritten" bei den Verhandlungen mit dem Iran spricht, und die Gespräche zwischen der IAEA und dem Iran im Januar fortgesetzt werden, haben die USA ihre Sanktionen gegen den Iran nochmals verschärft. Im Frühjahr und Sommer 2012 scheiterten Überlegungen von Seiten der israelischen Regierung unter Präsident Netanjahu, den Iran anzugreifen, anscheinend in erster Linie an dem Widerstand der USA -- Barack Obama wollte sich vor den Wahlen nicht auf ein militärisches Abenteuer einlassen, war immer wieder zu lesen. Jetzt sind die Wahlen gewonnen und die Karten werden neu gemischt. Zwar ist das Verhältnis zwischen Israel und den USA derzeit durch die Folgen der jüngsten Gaza-Krise und die Ankündigungen Israels, seinen Siedlungsbau voranzutreiben, belastet, aber im Ernstfall haben sich die USA (und Westeuropa) bislang immer auf die Seite Israels gestellt. Und dazu kommt, dass der Iran eine große strategische Bedeutung für den Westen hat, und ein Regimewechsel oder militärische Kontrolle des Landes unzweifelhaft in den strategischen Interessen der westlichen Alliierten liegt.

In Syrien geht der Bürgerkrieg unvermindert weiter und es ist kaum abzusehen, wie er beendet werden kann. Internationale Beobachter der Lage sind sich uneinig in ihrer Lagebeurteilung. Manche meinen, dass das Regime kurz vor dem Zusammenbruch stehe. Andere Berichte sprechen von militärischen Erfolgen des Assad-Regimes, z.B. der Rückeroberung von Homs, und rechnen mit einer langen Fortsetzung des Krieges. Die Aufständischen hoffen und fordern weiter eine direkte militärische Unterstützung aus dem Ausland, und insbesondere radikale Splittergruppen scheinen dabei erfolgreich, solche Unterstützung (vor allem aus arabischen Ländern) auch zu erhalten, wodurch auch die Gefahr weiterer Fraktionierung zwischen den Aufständischen wächst. In diesem Kontext beobachten wir die Stationierung der Patriot-Raketen durch die NATO in der Türkei mit großer Sorge. Diese Raketen machen in der gegenwärtigen Situation wenig Sinn, -- aber viel Sinn im Rahmen einer möglichen Militärintervention in Syrien: Eine solche Intervention würde vermutlich von der Türkei aus stattfinden, und dann müsste damit gerechnet werden, dass die Türkei von Syrien direkt angegriffen wird.

Beinahe ebenso perspektivlos erscheint die Situation in Palästina. Nicht nur kommt es immer wieder zu direkten militärischen Konfrontationen, sondern die israelische Regierung tut alles, einen Staat Palästina zu verunmöglichen, indem es neue Siedlungen baut und einen Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung verhindert. Das bedeutet für uns als Friedensbewegung jedoch nicht, dass nichts getan werden kann! Auch in Israel und in Palästina gibt es Gruppen, die gewaltfrei Widerstand gegen die Besatzungspolitik leisten.

Eine umfassende Friedensperspektive ist von Nöten

Die Kriegsgefahr im gesamten Nahen und Mittleren Osten ist groß. Die verschiedenen Konflikte sind praktisch alle miteinander verwoben. Deshalb ist es an der Zeit, sie auch gemeinsam anzugehen. Auf staatlicher Ebene könnte dies durch eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten geschehen, wie sie schon verschiedentlich vorgeschlagen wurde. Ein solcher Konferenzprozess würde gewiss nicht zu schnellen Lösungen führen, aber er könnte dadurch, dass die verschiedenen Parteien ins Gespräch miteinander kommen, die Gefahr weiterer militärischer Eskalation an den verschiedenen Brennpunkten vermindern. Wir rufen die Regierungen der Länder in der Region auf, eine solche Konferenz einzuberufen.

Angesichts der Schlüsselrolle, die der israelisch-palästinensische Konflikt und die Bedrohungsängste Israels für die gesamte Region spielen, ist zudem die sofortige Einstellung anti-israelischer Polemik (u.a. von Seiten des Iran) und glaubhafte Versicherungen, dass von den Ländern der Region keine Gefahr für Israel ausgeht, essentiell. Zugleich gilt es, den gewaltfreien Widerstand der Palästinenser zu unterstützen.

Frieden kann aber nicht allein den Regierungen überlassen werden. Der Zivilgesellschaft in den verschiedenen Ländern in der Region kommt eine Schlüsselstellung zu. Die verschiedenen Aufstände in der Region haben in den letzten beiden Jahren bereits demonstriert, welche Macht Zivilgesellschaft entfalten kann, wenn sie entschlossen ist. Das geht aber nur ohne Waffen! Die Entwicklungen in Syrien haben einmal mehr gezeigt, wie verhängnisvoll es ist, wenn ziviler Widerstand mit bewaffnetem gekoppelt wird. In allen Ländern -- von Israel und Palästina bis Iran und auch Afghanistan - gibt es Gruppen und Bewegungen, die sich mit gewaltlosen Mitteln für eine andere Politik ihres Landes einsetzen. Ihnen gilt unsere Solidarität -- denen in Israel und den palästinensischen Gebieten genauso wie denjenigen in Syrien, die weiter zivilen Widerstand leisten bis hin zu Oppositionsgruppen im Iran und Afghanistan, die sich für Demokratisierung, Menschenrechte und Dialog einsetzen.

Die deutsche Regierung, die Europäische Union und die USA rufen wir auf,

· alle ihren diplomatischen Möglichkeiten zu nutzen, sich für eine Konferenz für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten einzusetzen,

· Durch Erklärungen und Taten eindeutig zu demonstrieren, dass jegliche militärische Option ausgeschlossen ist -- in Syrien ebenso wie in Iran. Das sollte u.a. bedeuten, dass der Beschluss zur Stationierung von Patriot-Raketen in der Türkei widerrufen wird, dass die USA eindeutig erklären, Israel unter keinen Umständen bei einem Angriff auf den Iran zu unterstützen.

· Ohne Vorbehalte und Vorbedingungen mit allen Staaten zu sprechen, die Einfluss in der Region haben und diese dazu ermutigen bzw. dabei zu unterstützen, im Sinne einer friedlichen Lösung tätig zu werden. Für den Fall Syriens heißt dies z.B., gemeinsam mit Russland und dem Iran initiativ zu werden, um die Regierung Assad zu einer Beendigung des Krieges gegen die eigene Bevölkerung zu bewegen.

· Sofern für eine Übergangszeit in einem Land eine internationale Friedensmission sinnvoll erscheint, um Neuaufflammen von Gewalt zu verhindern und die Bevölkerung zu schützen, kein Militär zu diesem Zweck zu entsenden, sondern ausschließlich ziviles Personal. Die Nichtregierungsorganisation "Nonviolent Peaceforce" hat in den letzten Jahren als Teil eines Internationalen Beobachterteams auf den Philippinen vorgemacht, wie eine solche Mission zivilen Peacekeepings erfolgreich durchgeführt werden kann.

· Alle Waffenexporte in die Region einzustellen -- das gilt auch und besonders für die Leopard II -- Panzer, die nach Saudi-Arabien geliefert werden sollen.

Noch gibt es eine gute Chance, das Jahr 2013 zu einem Jahr zu machen, in dem gleich mehrere Konflikte im Sinne einer zivilen Konfliktbearbeitung zu deeskalieren und einer friedlichen Transformation zuzuführen -- lassen Sie uns diese Chance nicht verpassen.

Christine Schweitzer

(Geschäftsführerin des Bundes für Soziale Verteidigung)


PS: Mehr Hintergrundinformationen zu den Konflikten in Syrien, Israel-Palästina und um den Iran bieten die Dossiers des Monitoring-Projektes Zivile Konfliktbearbeitung: http://www.friedenskooperative.de/

Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) ist ein Fachverband der deutschen Friedensorganisationen und setzt sich für gewaltfreie Alternativen zum Militär ein. Er entwickelt, fördert und verbreitet konstruktive und gewaltfreie Konzepte ziviler Konfliktbearbeitung. Dieses Ziel wird innergesellschaftlich insbesondere durch die Verbreitung konstruktiver Konfliktmanagementansätze in verschiedensten gesell-schaftlichen Handlungsfeldern angestrebt.
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Quelle: Pressemitteilung des
Bund für Soziale Verteidigung e.V.
Schwarzer Weg 8
32423 Minden
Germany
Email: info@soziale-verteidigung.de
Tel.: 0571/29456
Fax: 0571/23019

Mehr Informationen: http://www.soziale-verteidigung.de

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