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Neue Chancen, neue Ansatzpunkte30.03.2011

Atomwaffen und AKW Nee

Die AKW-Stilllegung kann gelingen, wenn genügend Menschen dafür auf die Straße gehen von Jochen Stay (für Zivilcourage 1-2011)

Die Geschichte der Protestbewegungen in der Bundesrepublik Deutschland ist davon geprägt, dass vor einer umstrittenen Entscheidung zwar große Demonstrationen stattfinden, viele Menschen aber nicht mehr auf die Straße gehen, wenn Regierung und Parlament trotz der Proteste hart bleiben. Das war beispielsweise so bei der Bewegung gegen die Notstandsgesetze in den 1960er Jahren, bei den Protesten gegen die Stationierung neuer Atomraketen in den 1980er Jahren, bei den Montagsdemonstrationen gegen die Einführung von Hartz IV im Jahr 2004.

Doch in den letzten Monaten hat sich etwas verändert, und für diese ermutigenden Veränderungen stehen zwei Ortsnamen: Stuttgart und Gorleben

Ein beliebtes Argument der baden-württembergischen Landesregierung, um den Protest gegen das Immobilienprojekt „Stuttgart 21“ zu diskreditieren, war die Feststellung, es sei doch schließlich alles bereits entschieden. Was denn die Leute überhaupt noch wollten. Der Protest käme zu spät. Aber siehe da: Den empörten BürgerInnen in Stuttgart ist das herzlich egal. Sie hatten zwar die Entscheidung nicht verhindern können, tun jetzt aber alles dafür, um die Umsetzung dieser Entscheidung zu stoppen.

Ähnliches war in Gorleben zu beobachten: Obwohl der Bundestag die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke beschlossen hatte, kamen so viele Menschen wie niemals zuvor zu den Protesten und den Widerstands-Aktionen gegen den Castor-Transport im November. Auch hier ist das klare Ziel der Bewegung, die Umsetzung des Parlamentsbeschlusses zu verhindern.

Doch wie kann das praktisch aussehen? Schließlich ist es denkbar unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung vor der nächsten Wahl im Jahr 2013 das jetzt beschlossene Atomgesetz nochmals aufschnürt. Gibt es also überhaupt eine Chance, mit weiterem Protest etwas zu erreichen?

Dazu ist es sinnvoll, sich einmal anzusehen, was die Anti-AKW-Bewegung im letzten Jahr erreicht hat, auch wenn es nicht gelungen ist, die Laufzeitverlängerungen zu verhindern: Durch die Einführung der Brennelementesteuer und die Verpflichtung der AKW-Betreiber, ihre Alt-Meiler sicherheitstechnisch nachzurüsten - wenn auch nicht in dem Maße, wie es notwendig wäre - sind eine ganze Reihe von Reaktoren an den Rand der Wirtschaftlichkeit geraten. Zumindest für die besonders alten Kraftwerke Isar 1, Neckarwestheim 1, Philippsburg 1, Biblis A und B, Brunsbüttel und Krümmel wird in den Konzernzentralen mit spitzem Bleistift gerechnet, und es ist noch längst nicht absehbar, dass diese AKWs wirklich weiterbetrieben werden - Laufzeitverlängerung hin oder her.

Entscheidend ist hier das Verhalten der Atomaufsicht in den Bundesländern. Denn die ist es, die konkrete Sicherheitsauflagen erteilen kann - oder eben auch nicht. Je mehr die Unsicherheit der Kraftwerke also öffentliches Thema ist, je mehr Menschen an den AKW-Standorten demonstrieren, umso stärker ist der Druck auf die entsprechenden Landesregierungen.

Besonders spannend für AtomkraftgegnerInnen ist die Situation in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg: Im Norden sind die Reaktoren in Brunsbüttel und Krümmel seit dreieinhalb Jahren vom Netz. Betreiber Vattenfall hatte angekündigt, Krümmel im Januar wieder in Betrieb zu nehmen. Die designierte neue Chefin des Kraftwerks fiel aber durch einen Sicherheits-Test. Sie hat es in einer Simulation in der Übungswarte des AKWs nicht geschafft, den Reaktor in einen sicheren Zustand zu bringen. 30 bis 60 Minuten waren die Zeit, die sie hätte einhalten müssen, um die Prüfung zu bestehen. Nach zwei Stunden vergeblichen Mühens wurde die Simulation abgebrochen.

Jetzt steht Krümmel ohne Betriebsleitung da, die Betreiber sind durch die .ausgestrahlt-Kampagne „Tschüss Vattenfall“ massiv unter Druck und verhandeln deshalb mit dem Miteigentümer Eon, ob dieser die Betriebsführung in den beiden umstrittenen AKWs übernehmen kann. Das wird sich aber bis zum Sommer hinziehen. So ist wertvolle Zeit gewonnen, um weiteren Protest im Norden zu organisieren.

In Baden-Württemberg sind am 27. März Landtagswahlen. Der Ausgang ist denkbar offen. Das Land ist zukünftig Eigentümer des AKW-Betreibers EnBW und kann auch darüber Einfluss nehmen. Klar ist aber auch: Selbst wenn es zu einer rot-grünen Landesregierung kommen sollte, führt dies nicht automatisch zur Stilllegung von Reaktoren - bestes Beispiel sind dafür die elf Jahre Rot-Grün in Hessen, die das AKW Biblis schadlos überstanden hat. Auch hier wird sich also nur etwas bewegen, wenn wir uns bewegen und auf die Straße gehen.

Ein weiterer Faktor: Weil die durch die Laufzeitverlängerungen zu erwartenden Gewinne zum größten Teil erst in einigen Jahren anfallen, Steuer und Nachrüs- tungskosten aber bereits kurzfristig, ist das finanzielle Risiko für die AKW-Betreiber immens. Kappt eine zukünftige Bundesregierung die Laufzeiten wieder, ist das Ganze ein Minusgeschäft. Umso besser es der Anti-AKW-Bewegung also gelingt, die Debatte um die Atomkraft weiter zu verschärfen, steigt die Unsicherheit bei den Stromkonzernen, ob sich Nachrüstungen wirklich noch rentieren. Genau diese Problematik hat dazu geführt, dass die Aktien von Eon und RWE im Jahr 2010 trotz Laufzeitverlängerung die Schlusslichter im Deutschen Aktien-Index waren, mit Kursverlusten bis zu 20 Prozent.
Unsere Chancen stehen also gar nicht schlecht.

Jochen Stay ist Umwelt-, Friedens- und Anti-Atom-Aktivist und ist zurzeit engagiert in dem Bündnis „.ausgestrahlt“.


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25 Jahre Tschernobyl - Ostermontag, 25. April: 15 Demonstrationen bundesweit.
Am 26.4.1986 explodierte das AKW Tschernobyl. Hunderttausende starben oder leiden bis heute an schweren Erkrankungen, der radioaktive Fallout des Super-GAUs kontaminierte ganz Europa. Am Ostermontag wird es bundesweit 15 große Demonstrationen geben: an den 12 AKW-Standorten sowie beim geplanten Atommülllager Schacht Konrad in Salzgitter, beim Zwischenlager Lubmin und bei der Urananreicherungsanlage in Gronau. Unsere gemeinsame Forderung: Atomkraftwerke endlich abschalten!
Mehr Informationen unter http://www.tschernobyl25.de und bei http://www.ausgestrahlt.de

Internationaler Kongress „Zeitbombe Atomenergie - Atomausstieg jetzt!“, organisiert von der IPPNW. Berlin, 8.-10. April http://www.tschernobylkongress.de

Montagsspaziergänge:
Montags raus gegen Atomkraft - das gilt inzwischen in mehr als 60 Städten. Es gibt Mahnwachen, Spaziergänge und Atomalarme, auf dem Marktplatz, vor den Toren eines AKWs oder bei der örtlichen Parteizentrale von CDU/CSU/FDP. Mitmachen oder selbst eine Aktion in Deiner Stadt ins Leben rufen! Tipp, Tricks und Materialien dazu auf http://www.ausgestrahlt.de/mitmachen/montagsspaziergang


Mehr Informationen: http://www.atomwaffen-abschaffen.de

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