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Internationaler Antirepressionskongress in Hamburg 2010, 08.-10.10.2010

Demonstrationsrecht ist Grundrecht 02

Der „War on Terror“ richtet sich nicht zuletzt gegen die linke Opposition in der westlichen Hemisphäre. Die neue Weltordnung, die auf einer marktradikalen Ökonomie basiert und seit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus mit imperialistischen Kriegen durchgesetzt wird, duldet noch linksliberale Emanzipationspolitik, aber keine antikapitalistische Linke.

Je freier der Warenverkehr, desto unfreier die Menschen. In der Krise offenbart das herrschende System sein wahres Wesen: „Friendly Fascism“ (Bertram Gross). Im vergangenen Jahrzehnt wurde ein Sicherheits- und Überwachungsstaat konstituiert, verbunden mit einer rapiden Erosion von Grundrechten wie der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Ein von den Architekten des Neoliberalismus konzipiertes negatives Menschenbild, dem der weiße (Natur-)Beherrscher Robinson Crusoe (wieder) als Ideal gilt, wird via Medien und Kulturindustrie perpetuiert. Die westliche Gesellschaft degeneriert zur Summe atomisierter Angepasster, die in einem Klima von Angst und Denunziation, Antiaufklärung und Eindimensionalisierung des Denkens leben. Dieser Prozess hat zuweilen groteske Auswüchse, die an George Orwells „Neusprech“ erinnern – eine manipulative herrschaftliche Sprache mit extremer Einschränkung des Bedeutungsspektrums der Worte und dem Ziel, Kritik sprachlos zu machen. „Demokratie“ ist zum Schlagwort verkommen für die ideologische Legitimierung von Freiheitsentzug, Militärgewalt, Folter und (Justiz-)Mord an Menschen, die verdächtigt werden, außerhalb der Grenzen der westlichen Zivilisation zu stehen.

8.-10. Oktober 2010 Universität Hamburg



Wer sich nicht vor die Wahl „Kapitalismus oder Barbarei“ stellen lassen will oder auch nur durch subversives Bewusstsein auffällt, dem droht Kriminalisierung. Diese richtet sich mehr und mehr gegen alle, die im Kollektiv sozialer Bewegungen, autonomer Strukturen, MigrantInnen- und Flüchtlingsorganisationen, Gewerkschaften oder kapitalismuskritischen Parteien oder auch als Einzelne Widerstand leisten ¬– vor allem die, die nach einer ganz anderen Gesellschaft freier und mit der Natur versöhnter Menschen streben, einer Zukunft, in der Schlachtfelder ebenso als finstere Vorgeschichte gelten wie Schlachthöfe.

Anfang März dieses Jahres begann in Wien ein Strafprozess gegen 13 AktivistInnen der Tierbefreiungsbewegung, denen die Bildung einer kriminellen Organisation gemäß § 278a öStGB – dem Pendant des bundesrepublikanischen Organisationsparagraphen 129 StGB – vorgeworfen wird. 2008 hatten zehn der Angeklagten nach einer überfallartigen Festnahmeaktion und Hausdurchsuchungen durch Sondereinheiten der österreichischen Polizei drei Monate in Untersuchungshaft verbracht.

Obwohl ihnen kaum mehr als die regelmäßige Teilnahme an angemeldeten Demonstrationen und die Verschlüsselung von E-Mails – also lediglich die Wahrnehmung elementarer Bürgerrechte –, zur Last gelegt werden kann, drohen den AktivistInnen Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren.

Diese „grüne Welle“ staatlicher Repression ging von den Vereinigten Staaten aus. Dort wurde bereits 1992 der „Animal Enterprise Protection Act“ gegen Aktivitäten von TierschützerInnen/ TierbefreierInnen verabschiedet. 2006 hatte die Bush- Administration das bestehende Gesetz durch den „Animal Enterprise Terrorism Act“ verschärft. Die bloße Ankündigung von Protesten gegen Wirtschaftsunternehmen wird als Erzeugung von „reasonable fear“ gewertet, die InitiatorInnen als „Terroristen“ verfolgt.

2005 wurden in Großbritannien Sondergesetze eingeführt, die gegen die Proteste sozialer Bewegungen gerichtet sind. Wurden zunächst TierbefreiungsaktivistInnen mit drakonischen Gefängnisstrafen für Bagatelldelikte belegt, stehen zunehmend auch Antimilitarismus-, Antirassismus und Anti-Atom-Kampagnen im Fokus der Ermittler.

Auf unserem Kongress wollen wir den Zusammenhang zwischen Tendenzen der Totalitarisierung kapitalistischer Ökonomie, der sich zunehmend im autoritären Staat offenbarenden Klassenherrschaft und der wachsenden Herausbildung bellizistischer, xeno- und theriophober Ideologeme für die rücksichtslose Durchsetzung von Profitinteressen freilegen.

JuristInnen, JournalistInnen, HistorikerInnen, SozialwissenschaftlerInnen und linke AktivistInnen werden über Geschichte und Gegenwart der Kriminalisierung und Infiltration sozialer Bewegungen, Entstehung der globalen Sicherheitsgesellschaft und Anwendung von Organisationsparagraphen und anderer Repressionsformen im sich zusehends als Weltordnung etablierenden Ausnahmezustand referieren. Weitere Themen sollen die Schlüsselrolle der Medien bei der Manipulation der öffentlichen Meinung und die mentale Aufrüstung der Menschen für den neoimperialistischen „War on Terror“ sein.

Der US-amerikanische Journalist und Autor Will Potter wird darlegen, warum in einer Zeit aggressiver Feldzüge für die Ausbeutung der letzten Naturressourcen und Zerstörung und Kontaminierung der letzten natürlichen Lebensräume der Anbruch einer neuen McCarthy-Ära gegen Öko- und TierbefreiungsaktivistInnen nur eine logische Konsequenz ist. Was in den 1920er Jahren als „Red Scare“ gegen KommunistInnen und AnarchistInnen begann, erfährt mit „Green Scare“ historische und politische Kontinuität (wegweisend war in den 1970er Jahren der Fall von Leonard Peltier, der bis zum heutigen Tag in Haft ist): In ihrem Bericht von 2008 hat EUROPOL die Ökologiebewegungen in mehreren europäischen Ländern als „terroristische Gefahr“ eingestuft.

Yossi Wolfson, ein Menschenrechtsanwalt aus Jerusalem, wird über Repression gegen soziale Bewegungen und entrechtete ethnische Minderheiten an der Ostgrenze der westlichen Welt unter den speziellen Bedingungen des Kriegsrechts referieren.

Der israelische Historiker und Kritische Theoretiker Moshe Zuckermann wird mit seiner Hommage an Rosa Luxemburg ein Schlaglicht auf die lange Verfolgungsgeschichte antikapitalistischer Oppositioneller in der bürgerlichen Gesellschaft werfen.

Sein Vortrag soll an die – nicht unerheblich von Empathie für Natur und Tiere getragene – Weltanschauung, das politische Leben und den gewaltsamen Tod der marxistischen Revolutionärin erinnern.

Im Rahmen des Kongresses ist auch eine Podiumsdiskussion voraussichtlich über die Ideologieproduktion (wie z.B. neue Erscheinungsformen des Antikommunismus) und andere zivilgesellschaftliche Folgen des „War on Terror“ geplant. Darüber hinaus wird es Informationsstände von Antirepressionsgruppen und anderen linken Organisationen geben.

Die Veranstaltung soll ein Forum für internationale Begegnungen, Meinungs- und Wissensaustausch sein – vor allem aber der gemeinsamen Erkundung von „New Roads of Solidarity“, wie sie die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis vor einigen Jahren gefordert hat. Es geht um die Freisetzung eines „kritischen Impulses“, den Davis definiert als „absolute Weigerung, jegliche Permanenz dessen anzuerkennen, was ist – nur weil es ist“.

Die Vorträge des Kongresses werden teils in deutscher, teils in englischer Sprache gehalten. Für Übersetzungen wird nach Möglichkeit gesorgt. Das vollständige Programm, die Abstracts, Kurzbiografien der ReferentInnen sowie Informationen zum Ablauf, zur Anmeldung, Anfahrt, zu Unterkünften und Catering werden in den kommenden Monaten auf der Internetseite http://antirepkongresshh2010.tk nachzulesen sein.

Wissenschaftlicher Hochschulzusammenschluss
zur Erforschung des Mensch-Natur-Verhältnisses
c/o Universität Hamburg, Alsterterrasse 1, 20146 Hamburg
(Kontakt: antirepkoordinationhh@gmx.de)
Stand: Juni 2010

Einladungsflyer auf Deutsch

Mehr Informationen: http://antirepkongresshh2010.tk

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