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Absage an Geist, Logik und Praxis militärischer Gewalt - jetzt! - Eine Kritik an 65 Jahren deutscher Militarisierung seit der "Stunde Null" 194508.05.2010

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Das Schauspiel macht nachdenklich und weckt fatale Erinnerungen:
Drei in Afghanistan getötete deutsche Soldaten werden eine Woche später mit einer Trauerfeier geehrt, die durch die Anwesenheit höchster RegierungsvertreterInnen geradezu den Charakter eines Staatsakts, wenn nicht sogar der Heldenverehrung annimmt. Propagandistisch wird von der Mehrzahl der Medien eine breite Anteilnahme der Bevölkerung suggeriert, Trauer, aber auch Stolz auf die militärischen Leistungen werden vielfach wieder als Normalität vorausgesetzt, wie die wenigen verbliebenen kritischen Medien vermerken.

Diese Kriegspropaganda rechnet auf ein allmähliches Vergessen der schrecklichen Erfahrungen des Angriffskriegs Nazideutschlands, die viele Opfer und Zeitzeugen in den ersten 50 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland mit viel Engagement im Bewusstsein der öffentlichen Meinung noch wachhalten konnten. Sie geht einher mit einer Militarisierung der Gesellschaft, die sich allerorts bemerkbar macht: Veranstaltungen von Militärs an Schulen, die ein positives Bild von „vernetzter Sicherheit“ und damit Militäreinsätzen vermitteln sollen und dabei durch Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Kultusministerien gestützt werden, in der instrumentalisierenden Einbindung von PsychotherapeutInnen zur Rehabilitierung kriegstraumatisierter SoldatInnen, bei öffentlichen "feierlichen Gelöbnissen", Militärgottesdiensten mit klingendem Spiel oder in der logistischen Unterstützung von Kirchentagen durch die Bundeswehr.

Wie weit ist es mit der Bundesrepublik Deutschland 65 Jahre nach Kriegsende wieder gekommen, seit einer "Stunde Null", in der im Entsetzen über das Geschehene und Getane die Waffen auf große Haufen geworfen wurden und eine Wiederbewaffnung für alle Zeiten undenkbar schien? Der preußische Militarismus und die Wehrmacht als seine Steigerung zur Barbarei hatten abgewirtschaftet., Ggänzlich andere, vergessen geglaubte "Vormärz"-Vorstellungen von Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit und friedlicher Einordnung in die Völkergemeinschaft erwachten in dieser ersten Nachkriegszeit neu und fanden ihren Ausdruck in der föderalen Konzeption der Bundesrepublik und im Grundgesetz von 1949. Die Aufstellung von Streitkräften war darin nicht vorgesehen, jede Vorbereitung eines Angriffskriegs unter Androhung von Höchststrafe verboten, das Recht des Einzelnen auf die Gewissensentscheidung, den Kriegsdienst zu verweigern, garantiert. Es schien so, als ob die schon im Ersten Weltkrieg formulierte freundliche Vision Hermann Hesses, Deutschland möge "der Welt nicht bloß mit den Waffen imponieren, sondern mit den Künsten des Friedens und mit der Betätigung einer übernationalen Humanität", greifbar geworden sei.

Aber schon bald mobilisierten die alten Eliten, gestützt auf eine schweigende Bevölkerungsmehrheit, die sich die Emanzipation von autoritärem Denken und repressiven Erziehungsmodellen noch nicht zutraute, für eine Rückkehr zu militaristischen Traditionen. Die CDU/CSU-Regierung Adenauer konnte nach einer von den Westalliierten unterstützten ideologischen Kampagne 1955 die Wiederbewaffnung durchsetzen und provozierte mit der Gründung der Bundeswehr die Gründung der NVA. Das Grundgesetz gestattete in seiner Neufassung nun die Aufstellung von Streitkräften ausschließlich zur Verteidigung. Und mit der fatalen Einbeziehung in das "Verteidigungsbündnis" der NATO begann die Relativierung und Verkehrung der ursprünglichen Verfassungsziele, in denen noch "der Verzicht auf den Krieg als ein Mittel der Politik" (Carlo Schmid) vorgesehen war.

Zugleich regte sich jedoch entschiedener Protest und führte zu einem ersten großen Anwachsen der Friedensbewegung gegen die Wiederbewaffnung. Die atomare Bedrohung und die befürchtete nukleare Teilhabe der Bundesrepublik waren dann vor genau 50 Jahren Anlass für die ersten Ostermärsche in Deutschland. Der für die USA in einem Desaster endende Vietnamkrieg und eine breite antimilitaristische Strömung im Zusammenhang des antiautoritären gesellschaftlichen Umbruchs zum Ender der 608er Jahre senkten die Akzeptanz für alles Militärische beträchtlich. Eine Fülle von entstehenden friedensethischen und alternativen entwicklungspolitischen Ansätzen aus der Zivilgesellschaft und namentlich den Kirchen heraus - der "konziliare Prozess", die Befreiungstheologie! - ließen jede Rückkehr zu gewaltbewehrten Politikkonzepten über den Ost-West-Konflikt hinaus unwahrscheinlich werden. Zu einem regelrechten Aufbranden der Friedensbewegung unter Beteiligung von Millionen kam es schließlich gegen die nuklearen Aufrüstungspläne der NATO-Staaten Anfang der 80er Jahre, die bereits den Beginn eines weltweiten konservativen Scroll Back signalisierten.

Konnte sich die nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa wieder mit ihrer vollen Souveränität ausgestattete Bundesrepublik aus dem unmittelbar folgenden, den Übergang zur unilateralen Politikphase der "letzten verbliebenen Weltmacht" USA markierenden Golfkrieg 1991 noch heraushalten, so führte der Bürgerkrieg in Jugoslawien zu einer herkömmliche völkerrechtliche Positionen aufweichenden kontroversen Diskussion über die Verpflichtung zu "humanitären Interventionen". Zeitgleiche, offen geostrategische Überlegungen seitens der Bundeswehr im Zusammenhang der sich beschleunigenden Globalisierung zeigten, dass die ethische Debatte den einsetzenden Militarisierungsschub der "Berliner Republik" nur überlagerte. Das Bundesverfassungsgericht lockerte die Interpretation von ersten Auslandseinsätzen als "Verteidigung im Bündnissystem" von Urteilsspruch zu Urteilsspruch. Der "Sündenfall" geschah schließlich unter der rotgrünen Regierung Schröder mit der Beteiligung am nicht UN-legitimierten, völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999, die immerhin noch einen durch die Regierungskoalition gehenden Riss erkennen ließ. Vollends brachen die Dämme dann nach den Attacken auf das World Trade Center in New York am 11.9.2001. Große Teile des Bundestags verwandelten sich in der Folge in eine jeder Kritik am militärischen Engagement unzugängliche politische Kaste, die den Bundeswehreinsatz in Afghanistan beschloss und seiner Verlängerung seitdem Jahr um Jahr neu zustimmt. Die Integration der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in die europäische ESVP und die Durchsetzung des EU-Vertrags von Lissabon ergänzen das neue, unverhohlen machtpolitische Kalkül.

Die deutsche Friedensbewegung hat, aufgerüttelt aus ihrer berechtigten, aber sehr bald enttäuschten Hoffnung auf eine allgemeine Abrüstung und bevorstehende "Friedensdividende" nach der Epochenwende 1989, auf diese Entwicklung mit der Bündelung ihrer Kräfte in nationalen und regionalen Netzwerken und Initiativen reagiert. Namentlich die Kooperation für den Frieden schließt mittlerweile mehr als 50 friedenspolitische, zivilgesellschaftliche und kirchliche Gruppierungen organisatorisch zusammen.
Zum 65. Jahrestag des Kriegsendes 1945 am 8. Mai fordert die Kooperation für den Frieden über die tagesaktuelle Notwendigkeit des Rückzugs aus Afghanistan hinaus eine Grundsatzdiskussion über die Verfassungsmäßigkeit/Verhältnismäßigkeit von inzwischen weltweitem militärischem Engagement und ein Hinterfragen des Sinns von militärischem Handeln als Mittel der Politik überhaupt. So anerkennenswert die mahnende Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.6.2009 auch ist, die den Charakter der Bundeswehr als reines Parlamentsheer festschreibt: die Einsätze sind keine reine Frage der Mandatierung, sondern müssen ständig aufs Neue am übergeordneten Geist und nicht nur Buchstaben unseres Grundgesetzes überprüft werden. Bevor krampfhafte Legitimations- und "umgangssprachliche" Definitionsversuche von Krieg den gesellschaftlichen Diskurs vollends ins Groteske abgleiten lassen, fordern wir nicht weniger als die Rückkehr zu den ursprünglichen Positionen des eben von der Herrschaft des Faschismus befreiten Deutschlands, das in der Stunde Null vor 65 Jahren aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben schien. Der zivilgesellschaftliche Fortschritt der zurückliegenden Jahrzehnte hat in beeindruckender Weise die Wirksamkeit und Gütekraft gewaltfreien politischen Handelns unter Beweis gestellt. Es ist an der Zeit, dass sich diese 'Künste des Friedens in der Betätigung einer übernationalen Humanität', für die die Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen, und nur sie allein, das Instrumentarium bereitstellt, entfalten können. Dazu ist die Rückkehr zu einem nicht abwandelbaren Völkerrecht zwingend notwendig, durch die vollumfängliche Rehabilitierung der Rolle der in ihrem Gewicht zunehmend erodierten Vereinten Nationen.


Der SprecherInnenrat der Kooperation für den Frieden
Reiner Braun, Christof Grosse, Mira Loret, Monty Schädel, Renate Wanie


Mehr Informationen: http://www.koop-frieden.de

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