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ND: NATO-Zankapfel Afghanistan - Verlängerung und Ausweitung des Einsatzes in der Allianz umstritten 10.10.2007

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Von Olaf Standke

Nicht nur im NATO-Staat Deutschland ist der Afghanistan-Einsatz umstritten. Er wird für den gesamten Nordatlantik-Pakt mehr und mehr zur Zerreißprobe.

NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer nutzte jetzt einen Besuch in Kopenhagen zu einem flammenden Appell. Es sei überaus wichtig, dass die 26 Pakt-Staaten und ihre elf Partner in Afghanistan »so viel Solidarität wie möglich« an den Tag legten und im Schulterschluss »die Lasten gleichmäßig verteilen«. De Hoop Scheffer würdigte das militärische Engagement Dänemarks am Hindukusch – derzeit hat man dort 560 Soldaten stationiert; eine Aufstockung der Truppen allerdings wollte Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen nicht versprechen, obwohl er sich nachdrücklich für eine Fortsetzung der Offensive gegen die radikalislamischen Taliban aussprach. Er spielte lieber das in der Allianz so beliebte Spiel »Hannemann, geh du voran« und forderte andere Länder auf, über eine Verstärkung ihrer Einheiten nachzudenken. Gegenwärtig operieren etwa 40 000 ISAF-Soldaten in Afghanistan.
Während der Weltsicherheitsrat das Mandat der von der NATO geführten Schutztruppe ausgeweitet hat, gerät die Allianz vor Ort gleich mehrfach unter Druck. Jedes neue zivile Opfer sorgt auch für neuen Imageschaden und wachsenden Widerstand. Vor einigen Tagen blockierten hunderte Afghanen in der Provinz Kandahar eine wichtige Straße, um gegen die Tötung ihres Mullahs während eines Luftangriffs zu protestieren. Deutsche und internationale Nichtregierungsorganisationen kritisieren die zunehmende Verquickung der ISAF-Mission mit den US-geführten Antiterroroperationen unter dem Namen »Enduring Freedom« ebenso wie die schleichende »Militarisierung« humanitärer Hilfe. Sie fordern am Hindukusch einen Strategiewechsel für den Wiederaufbau. Die Politik müsse »das Militär in seine Schranken weisen« und die Mittel für die zivile Entwicklung im Lande aufstocken, meint Hans-Joachim Preuss, Generalsekretär der Welthungerhilfe. In diesem Jahr belaufen sich z.B. die Kosten für die deutsche ISAF-Beteiligung und den Tornado-Einsatz auf 530 Millionen Euro. Dagegen kommen aus Bundesmitteln nur rund 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau.
Seit Jahresbeginn starben nach ISAF-Angaben in Afghanistan nicht nur rund 4000 Aufständische und über 170 ausländische Soldaten, sondern auch hunderte unschuldige Zivilisten. In Kanada votiert vor diesem Hintergrund in Umfragen eine Mehrheit der Befragten für den Abbruch der NATO-Mission. Der konservative Regierungschef Stephen Harper allerdings denkt öffentlich über eine Verlängerung des umstrittenen Einsatzes über das Jahr 2009 hinaus nach. In Italien hängt das Schicksal der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi nicht zuletzt an der Afghanistan-Frage. Im Frühjahr hatte der Ministerpräsident im Parlament eine Abstimmung über die Finanzierung des Militäreinsatzes verloren und wollte daraufhin sogar zurücktreten. Im Januar steht nun die nächste Parlamentsdebatte an. Und auch die Niederlande tun sich im Unterschied zur neuen französischen Regierung schwer, den bis zum 1. August 2008 befristeten Einsatz der eigenen Truppen (1600 Mann) zu verlängern – obwohl NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer gerade auf seine Landsleute besonderen Druck ausübt.
Mindestens 1200 Mann zusätzlich brauche die Afghanistan-Truppe für den Kampfeinsatz, so die Generäle im militärischen Hauptquartier im belgischen Mons. Es fehle an Hubschraubern und an Ausbildern für die afghanische Armee, die von gegenwärtig 50 000 rasch auf bis zu 80 000 Mann anwachsen soll. Nachdem man bei den einstigen Bündnisfeinden in Russland und in der Ukraine schon sechs Antonow-Riesen gemietet hat, um die Mängel im strategischen Lufttransport zu beheben, will die Allianz jetzt auch Helikopter ausleihen. Woher die geforderten zusätzlichen Soldaten kommen sollen, bleibt jedoch offen. Die meisten der 26 NATO-Mitgliedstaaten zeigen sich jedenfalls überfordert.

Mehr Informationen: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=117441&IDC=2

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