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Rezepte gegen Wehrpflicht: Null Bock auf Bund? Nichts tun und Abwarten!15.05.2008

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Wer sich nicht rührt, hat große Chancen, um den Kasernendienst herumzukommen, berichtet Tilman Steffen. Totalverweigerer melden sich dagegen aus Überzeugung beim Wehrersatzamt und zwingen so den Staat zum Handeln.

Um dem Dienst bei der Bundeswehr zu entgehen, mussten Männer früher einiges auf sich nehmen: Mancher trank literweise Kaffee, um bei der Musterung Herzrasen vorzutäuschen, andere überkamen vor der Musterung plötzliche Depressionen. Kuscheln mit der Katze löste Angst einflößendes Asthma aus. Auch hartnäckiges Bettnässen auf der Stube verschaffte mitunter das Ticket für eine frühe Heimkehr.

Heute ist der Weg einfacher: Nichts tun und abwarten. Denn da die Bundeswehr immer weniger Rekruten einzieht, bleiben Wehrpflichtige mit etwas Glück vom Dienst verschont. Darauf verlassen sollten sie sich aber nicht.

Jugendliche, die sich von vornherein zum Zivildienst melden, können dagegen kaum darauf hoffen, durchs Raster zu fallen. «Wir haben genug Stellen - bei uns muss deshalb so gut wie jeder antreten», sagt Josef Opladen vom Bundesamt für den Zivildienst in Köln.

Doch für Andreas Reuter war auch das keine Alternative. Weil er als Pazifist Gewalt generell ablehnt, verweigerte der 25-Jährige aus dem ostsächsischen Zittau den Waffen- wie auch den Ersatzdienst und musste dafür vor Gericht. Denn auch Zivildienstler müssen die Streitkräfte im Kriegsfall unterstützen, sind also Teil der Kriegsmaschine.

Totalverweigerung ist in Deutschland eine Straftat. Doch die Vielfalt der Urteile spiegelt die Unsicherheit der Justiz im Umgang mit der Dienstpflicht wider: Richter verhängten Freiheitsstrafen, zur Bewährung ausgesetzte Haft, Geldstrafen, aber sprachen auch frei.

Ein dringendes Erfordernis, Pazifisten wie Reuter zum Wehrdienst zu zwingen, gibt es nicht, denn der Bedarf der Bundeswehr ist gering: Heute wird nur noch jeder Zweite wehrtauglich gemustert. «Man hat also eine 50-prozentige Chance, dass man gar keinen Dienst machen muss», sagt Peter Tobiassen von der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen im niedersächsischen Bockhorn. Weil ein Drittel den Wehrdienst verweigerte und Ersatzdienst vorzog, mussten nur wenige Männer überhaupt in die Uniform. «2007 wurde nur 15 Prozent der Wehrpflichtigen des Jahrganges einberufen», errechnete Monty Schädel, Politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsgegnerInnen. Seit Jahren steht die Frage, ob die im Grundgesetz verankerte Wehrgerechtigkeit so noch gewährleistet ist.

Indem die Initiativen Totalverweigerer unterstützen, wollen sie die Wehrpflicht politisch ins Abseits drängen. Denn sie ist es, die per Gesetz das Recht eines jeden auf Gewissensfreiheit einschränkt, wenn auch nur indirekt. Denn ein Wehr-Ersatzdienst steht jedem offen. Strafbar macht sich nur, wer aus innerer Überzeugung heraus nicht nur den militärischen Grundwehrdienst verweigert, sondern auch nicht als Zivi in Sozialstation oder Pflegeheim dienen will. Doch nicht immer tritt der Straffall ein: Von denen, die dem Kreiswehrersatzamt ihre Totalverweigerung mitteilen, beruft die Bundeswehr nur sehr wenige ein. Es gab Jahre wie etwa 2003, in denen nur ein einziger Fall bekannt wurde.

In den 1990ern sah das noch ganz anders aus: «Wer damals die Musterung verweigerte, wurde garantiert eingezogen», sagt Jörg Eichler, der von Dresden aus die Entwicklung beobachtet. 40 bis 60 Strafverfahren zählte die Initiative Totale Kriegsdienstverweigerer damals im Jahr. Nicht wenige Fälle blieben unbekannt, etwa die vieler Zeugen Jehovas, die den Wehr- und Ersatzdienst ablehnen, weil ihre Glaubensverständnis Dienste für weltliche Herren verbietet.

Die Grenze zwischen der bloßen Beratung und Unterstützung von Totalverweigerern durch die Initiativen hin zur Unterstützung von Rechtsbruch verläuft unscharf. Eichler räumt ein, dass seine Initiative politisch für Totalverweigerung eintritt. «Das will ich gar nicht abstreiten.» Andreas Ahammer vom Bundeswehrverband runzelt die Stirn: Für ihn ist offener Aufruf zum Ungehorsam «sehr problematisch». Doch er räumt ein, dass man «im Hinblick auf die Wehrgerechtigkeit durchaus über die Wehrpflicht nachdenken muss. Doch noch besteht sie», beharrt Ahammer.

Nach dem Tiefstand von vor fünf Jahren zählen die Beobachter nun wieder drei Männer, die ein Kommandeur in militärischen Arrest steckte, weil sie nicht am Kasernentor erschienen. Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft sieht darin den Trend, dass der Staat wieder mehr Totalverweigerer einberuft und sie anschließend bestraft. Dagegen kann der Dresdner Jörg Eichler darin keine verschärfte Gangart der Wehrersatzämter und der Bundeswehr erkennen. Einen Trend abzuleiten, hält der Jurastudent, der auch Verweigerer vor Gericht verteidigt, für falsch. Im Gegenteil: «Es gibt eine Tendenz zu milderen Strafen.» Zu Haft oder auf Bewährung verurteilte kaum ein Richter in den letzten zehn Jahren die Dienstverweigerer, eher mussten sie zahlen oder gemeinnützige Arbeit leisten. Bisher einzige Ausnahme: der Fall des Zittauers Reuter, der zwei Monate auf Bewährung erhielt. Doch wie hart ein Urteil ausfällt, hängt laut Eichler «stark von der Voreinstellung des Richters ab». Ob ein Trend daraus wird, hängt von den anstehenden Urteilen gegen die arrestierten Verweigerer ab.

Mehr Informationen: http://www.netzeitung.de/politik/deutschland/1019657.html

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