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Guten Morgen, Hamas04.03.2008
Der Friedensblock Gush Shalom fordert die israelische Führung zu Gesprächen mit den palästinensischen Parteien auf. Antworten auf häufig gestellte Fragen
Von Uri Avnery
Nach dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen im Januar 2006 haben wir zu Gesprächen mit ihr aufgerufen. Hier einige der Fragen, die von allen Seiten auf mich herabregneten.
Mögen Sie Hamas?
Überhaupt nicht. Ich bin ein säkularer Mensch. Ich bin gegen jede Ideologie, die Politik und Religion vermengt – sei sie jüdisch, islamisch oder christlich, in der arabischen Welt wie in Amerika. Das hat mich aber nicht gehindert, mit Hamas-Leuten zu sprechen, wie ich auch mit anderen Leuten gesprochen habe, mit deren Meinung ich nicht übereinstimme. Es hat mich nicht gehindert, in ihrem Hause zu Gast zu sein, Meinungen auszutauschen, zu versuchen, sie zu verstehen. Einige haben mir gut gefallen, andere nicht.
Stimmt es, daß Israel Hamas geschaffen hat?
Israel hat Hamas nicht geschaffen, hat aber viel zu ihrer Entstehung beigetragen. In den ersten zwanzig Jahren der Besatzung sah die israelische Regierung in der PLO ihren Hauptfeind. Deshalb unterstützte sie palästinensische Organisationen, die die PLO unterminieren konnten. Man erinnere sich an den lächerlichen Versuch Ariel Scharons, »die Dorfgesellschaften« zu bilden, die als Agenten der Besatzung fungieren sollten.
Die Gemeinde der israelischen Geheimdienste, die sich in den letzten 60 Jahren bei fast allen Vorhersagen bezüglich der arabischen Welt geirrt hat, lag auch diesmal daneben. Sie glaubte, die Gründung einer islamischen Vereinigung würde die säkulare PLO schwächen. Zu einer Zeit, als die Militäradministration in den besetzten Gebieten jeden Palästinenser ins Gefängnis warf, der sich irgendwie politisch betätigte – auch wenn er sich für den Frieden einsetzte – rührte sie religiöse Aktivisten nicht an. Die Moscheen waren die einzigen Orte, an denen sich Muslime versammeln und politisch organisieren konnten.
Diese Auffassung basierte natürlich auf komplettem Unverständnis für den Islam und die palästinensische Wirklichkeit.
Hamas wurde offiziell Ende 1987 gegründet, kurz nach Ausbruch der ersten Intifada. Selbst damals noch tolerierte der israelische Geheimdienst, bekannt als Shin-Bet oder Shabak, die Organisation großzügig. Nur ein Jahr später verhaftete er ihren Gründer Sheikh Ahmad Yassin. Die Ironie des Schicksals brachte es mit sich, daß die israelische Führung jetzt die PLO unterstützt, um Hamas zu untergraben.
Weist der Wahlsieg der Hamas auf eine Stärkung des Islam bei den Palästinensern hin?
Nicht unbedingt. Das palästinensische Volk ist nicht über Nacht religiöser geworden. Tatsächlich gibt es in der Region einen langsamen Prozeß der Stärkung des Islam, von der Türkei bis zum Jemen, von Marokko bis zum Irak. Es ist die Antwort der neuen Generation auf das Versagen des arabischen säkularen Nationalismus beim Lösen nationaler und gesellschaftlicher Probleme. Das hat aber nicht zum Erdbeben in der palästinensischen Gesellschaft geführt.
Kann man erwarten, daß die Palästinenser selbst die Hamas stürzen?
Solange die Besatzung andauert, gibt es dafür nicht die mindeste Chance. Ein hoher israelischer Offizier behauptete vor einigen Tagen, wenn die israelische Armee nicht mehr in der Westbank operierte, würde auch die Westbank in die Hände der Hamas fallen. Die Abu-Mazen-Regierung steht auf tönernen Füßen, denen Amerikas und Israels. Wenn die Palästinenser endgültig das letzte bißchen Vertrauen in Abu-Mazens Fähigkeit, Frieden zu erreichen verlieren, kollabiert seine Macht.
Aber wie kann man mit einer Organisation, die verkündet, sie würde Israel nie anerkennen, deren Charta zur Zerstörung des jüdischen Staats aufruft, eine Übereinkunft erzielen?
Die Sache mit der Anerkennung ist Unsinn, ein Vorwand, um Gespräche zu vermeiden. Wir brauchen von niemandem »anerkannt« werden. Als die USA Verhandlungen mit Vietnam begannen, forderten sie nicht, als angelsächsischer, christlicher, kapitalistischer Staat anerkannt zu werden. Wenn A mit B einen Vertrag unterschreibt, heißt das, A erkennt B an. Alles andere ist Firlefanz.
Zum selben Thema: Die Charta der Hamas erinnert an die Charta der PLO zu seiner Zeit. Ein ziemlich unwichtiges Dokument, das von unseren Repräsentanten jahrelang dazu benützt wurde, Gespräche mit der PLO zu verweigern. Himmel und Erde wurden bewegt, um die PLO dazu zu bringen, die Charta zu annullieren. Wer erinnert sich heute noch daran? Wichtig sind die Taten von heute und morgen, nicht Papiere von gestern.
Worüber sollen wir mit der Hamas sprechen?
Zu allererst über eine Feuerpause. Wenn eine Wunde blutet, muß zuerst die Blutung gestoppt werden, bevor man die Wunde versorgt. Hamas hat viele Male eine Feuerpause angeboten, die im Arabischen »Tahdiyeh« (Beruhigung) heißt. Sie bedeutet: Beide Seiten verpflichten sich, jede feindliche Handlung einzustellen: Kassam-Raketen, Grad-Raketen, Mörsergranaten von seiten der Hamas und den anderen Organisationen, »gezielte Liquidationen«, militärische Einfälle und Aushungern von seiten Israels.
Die Verhandlungen sollten mit Hilfe der Ägypter geführt werden, umso mehr, als sie die Grenze zwischen dem Gazastreifen und dem Sinai öffnen müßten. Gaza muß die Freiheit wieder erhalten, zu Lande, zu Wasser und in der Luft mit der Welt zu kommunizieren.
Wenn Hamas die Ausweitung der Feuerpause auch auf die Westbank fordert, sollte auch das besprochen werden. Das würde natürlich die Notwendigkeit eines Trialogs Hamas-Fatah-Israel bedeuten.
Wird Hamas die Feuerpause nicht zur Bewaffnung ausnützen?
Natürlich. Genauso wird es Israel machen. Vielleicht wird es uns endlich gelingen, einen Schutz vor den Raketen auszubauen.
Wenn die Feuerpause durchgesetzt wird, was wird der nächste Schritt?
Ein Waffenstillstand, im Arabischen »Hudnah«. Hamas tut sich schwer, mit Israel einen formalen Friedensvertrag zu unterschreiben, da für sie Palästina »Wakf« ist – ein Ort, der Gott gehört. (Seinerzeit hatte das politische Gründe: Als der Kalif Omar Palästina eroberte, befürchtete er, seine Generäle könnten das Land unter sich aufteilen, wie sie es mit Syrien getan hatten. Deshalb erklärte er es zum Gottesbesitz. Hier zeigt sich einige Ähnlichkeit zur Auffassung unserer eigenen Religiösen, die behaupten, es wäre eine Sünde, auch nur auf einen Teil des Landes zu verzichten, da Gott es uns versprochen habe.)
»Hudnah« ist eine Alternative zum Frieden. Sie ist ein tief in der islamischen Tradition verwurzelter Akt. Eine »Hudnah« kann Jahrzehnte andauern und uneingeschränkt verlängert werden. In der Praxis bedeutet sie Friede, wenn die Beziehungen zwischen beiden Seiten die Wirklichkeit des Friedens schaffen.
Also ist ein formeller Friede unmöglich?
Auch dafür gibt es eine Lösung. Hamas hat in der Vergangenheit erklärt, sie habe gegen von Mahmoud Abbas geführte Friedensverhandlungen nichts einzuwenden, unter der Bedingung, daß über einen von ihm erreichten Friedensvertrag durch Volksentscheid abgestimmt würde. Wenn das palästinensische Volk ihn annimmt, wird Hamas diesen Beschluß respektieren.
Weshalb wird Hamas dem zustimmen?
Wie jede politische Kraft will Hamas an die Macht im palästinensischen Staat, der in den Grenzen von 1967 entstehen wird. Dazu muß sie das Vertrauen der Mehrheit genießen. Es gibt nicht den geringsten Zweifel, daß die entscheidende Mehrheit des palästinensischen Volkes einen palästinensischen Staat und Frieden will. Hamas weiß das gut. Sie wird nichts tun, was sie der Mehrheit entfremdet.
Und wo ist bei all dem Platz für Abbas?
Man muß ihn unter Druck setzen, damit er eine Vereinbarung mit Hamas trifft, im Sinne der Vereinbarung, die damals in Mekka getroffen wurde. Israel hat ein klares Interesse an Verhandlungen mit einer palästinensischen Regierung, in der die beiden großen Bewegungen vertreten sind, so daß die erreichte Vereinbarung von fast allen Teilen des palästinensischen Volkes akzeptiert wird.
Arbeitet die Zeit zu unseren Gunsten?
Jahre lang haben wir der israelischen Öffentlichkeit erklärt: Laßt uns Frieden schließen mit der säkularen Führung Yassir Arafats, sonst wird der nationale Konflikt sich zu einem religiösen wandeln. Unglücklicherweise hat sich auch diese Voraussage bewahrheitet. Wer die PLO nicht wollte, hat Hamas bekommen. Wenn wir uns nicht mit Hamas einigen, werden wir extremere islamische Organisationen bekommen, wie zum Beispiel die Taliban in Afghanistan.
Der Autor ist Mitbegründer des israelischen Friedensblocks Gush Shalom. Übersetzung aus dem Englischen: Gudrun Weichenhan
Veröffentlicht in der jungen Welt vom 04.03.2008 http://www.jungewelt.de/2008/03-04/048.php
Mehr Informationen: http://www.gush-shalom.org
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