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NEUES DEUTSCHLAND: Den Winter in den Knochen19.08.2015

Pace-Fahne (Foto: Uwe Hiksch)

Von Ines Wallrodt

{Der »Friedenswinter« ist beendet, doch der harte Konflikt wirkt nach in der Bewegung
Der Konflikt um die Mahnwachen hat der Friedensbewegung geschadet. Und schon kündigen sich neue Kontroversen um eine geplante Aktion gegen die US Airbase Ramstein an.}

Weder die Russlandfrage noch Afghanistanausstieg oder Nahostkonflikt haben die Friedensbewegung derart tief gespalten wie die Montagsmahnwachen, die an den Aktionen unter dem Titel »Friedenswinter« beteiligt waren. Im Kern fanden dabei zwischen Dezember und Mai zwei Demonstrationen in Berlin statt, mit jeweils rund 4000 Teilnehmern, parallel dazu besuchten sich Vertreter der beiden Spektren bei ihren Aktivitäten. Begleitet waren diese sechs Monate von heftigen internen Angriffen und vernichtender Medienresonanz. Der Friedenswinter ist beendet, doch die Auseinandersetzung wirkt nach. Politische Freundschaften sind zerbrochen, neue Mobilisierungen gegen Kriegspolitik haben mit Misstrauen zu kämpfen.

Der Friedenswinter war aus Sicht seiner Unterstützer ein »Experiment«, ob es gelingt, neue Friedensaktivisten, die seit Ausbruch des Ukrainekonflikts in zahlreichen deutschen Städten gegen einen neuen Ost-West-Konflikt demonstrierten, für die alte Friedensbewegung zu gewinnen. Dort gab es von Anfang an große Skepsis ob dieser neuen Partner, bis hin zu entschiedener Ablehnung. Die Kritiker warfen den Mahnwachen platte Kapitalismuskritik und ein Sammelsurium von Verschwörungsfantasien vor, Hauptgrund für die Ablehnung war aber der immer wieder durch einzelne Vorkommnisse untermauerte Vorwurf, die Mahnwachen würden sich nicht klar genug von Rechts abgrenzen.

Auf der anderen Seite stand die Selbstkritik altgedienter Friedenskämpen, die Bewegung sei zur geschlossenen Veranstaltung verkommen und müsse wieder alle Stimmen, die jeweils aktuelle Kriege ablehnten, umfassen – von links bis zu den Konservativen, so wie in den 1980er Jahren. Es sei möglich, diffuse Bewegungen positiv zu beeinflussen.

Die Kooperation für den Frieden, die mit einer Aktionskonferenz im Oktober 2014 den Startschuss für den Friedenswinter gegeben hatte, zog nach Abschluss der Kampagne die Reißleine. Sie will mit dem Mahnwachenspektrum nicht mehr zusammenarbeiten und lieber einmal zu vorsichtig sein, als etwas Missverständliches zu tun. Der Dachverband von fast 60 Friedensorganisationen – von VVN und DFG-VK über IPPNW bis hin zu Pax Christi – hatte mit Entsetzen wahrgenommen, dass er mit umstrittenen Veranstaltungen und rechten Positionen identifiziert wurde, selbst wenn er gar nicht Mitveranstalter war.

1192 Der Konflikt um die Mahnwachen hat der Friedensbewegung geschadet, das glauben beide Seiten und geben der jeweils anderen die Schuld. Reiner Braun, einer der wichtigsten Köpfe der Friedensbewegung und einer der Sprecher der Kooperation, bleibt dabei: »Es gibt viele vernünftige Leute dort, mit denen man zusammenarbeiten sollte.« Er ist bei zahlreichen Mahnwachen aufgetreten und hat die Überzeugung gewonnen, es lohne sich, um die 150 bis 200 jüngeren Aktionshungrigen zu buhlen, die sich bei solchen Mahnwachen jeweils versammelten. »Sonst können wir in zehn Jahren den Laden dichtmachen«, prophezeit er. Dann werde es nur noch hauptamtliche Strukturen geben.
Doch es gibt Widerspruch: »Der Friedenswinter ist gescheitert«, sagt Martin Singe vom Grundrechtekomitee. Statt der alten Friedensbewegung Beine zu machen, wie es Braun vorschwebt, habe die Kampagne die Friedensbewegung gelähmt.

Lähmung oder Bewegung – bei kaum einem Thema lag man in der Friedensbewegung in der letzten Zeit so weit auseinander. Die meisten wünschen indes vor allem, dass nicht mehr an den Konflikt gerührt wird. »Die Sache ist durch«, sagt Singe. Andere sind ähnlich wortkarg. »Die Aktion Friedenswinter ist abgeschlossen«, teilt auch Pax-Christi-Vorsitzende Wiltrud Rösch-Metzler kurz angebunden mit.

Die Meinungen sind ausgetauscht. An den konträren Positionen wird sich nichts mehr ändern. Die Idee hat keine Mehrheit in der Friedensbewegung gefunden. Verlierer sind Fürsprecher wie Braun, der selbst zu einer Reizfigur geworden ist. Die Stimmung in der Kooperation für den Frieden hat sich zwar wieder gebessert, doch will er im November nicht wieder als Sprecher kandidieren: »Das Jahr war hart«, sagt er. Verdauen muss er wohl auch, dass er, der sich seit Jahren für Frieden und Antifaschismus aufreibt, plötzlich als Rechter diffamiert wird.

Auch lokal ist die Auseinandersetzung noch immer spürbar. Manch einer meint deshalb, man solle das Friedensthema lieber zwei Jahre ruhen lassen, damit sei »nach dieser Geschichte« kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Linke, die den Friedenswinter unterstützt haben, berichten von Misstrauen und Verdächtigungen. So gibt es seit etwa einem Jahr die eigentliche Mahnwache in Leipzig nicht mehr, wer heute in der Stadt etwas organisieren will, hat es jedoch schwerer als früher, meint Mike Nagler von Attac Leipzig, der auch schon für die LINKE kandidiert hat und die Mahnwache der neuen Aktivisten gemeinsam mit anderen alteingesessenen Initiativen unterstützte. Selbst in der Mobilisierung für den bevorstehenden Antikriegstag wird ihm »Rechtsoffenheit« unterstellt, gar »Querfrontambitionen«. Nagler sieht darin eine Verleumdungskampagne gegen die ohnehin kleine Friedensbewegung – getrieben von interessierten Kräften. Inzwischen wird es schon im Internet angeprangert, wenn Attac Reiner Braun zu einer Veranstaltung einlädt. Als wäre der ein Nazi.

Die Kooperation für den Frieden als Dachverband hält also Abstand. Doch hat die Idee hinter dem Friedenswinter durchaus noch Anhänger. Sie arbeiten in Personenbündnissen zusammen und umgehen als »Koalition der Gutwilligen« die Diskussionen in Dachverbänden.

Eines dieser Projekte soll die US Airbase Ramstein in Rheinland-Pfalz skandalisieren, die von zentraler Bedeutung für den völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg der USA ist. Für den 26. September ist dort eine Aktion geplant, die eine gut vorbereitete Kampagne mit einer Umzingelungsaktion von 25 000 Leuten als Höhepunkt einläuten soll. Den »Ramsteiner Appell« haben in den ersten drei Wochen mehr als 2000 Menschen aus Politik, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft unterschrieben, darunter DFG-VK-Landessprecher wie der Stuttgarter Roland Blach, der Betreiber der Nachdenkseiten, Albrecht Müller, LINKE-Chef Bernd Riexinger sowie der Berliner Vorsitzende der Piraten, Bruno Kramm – aber auch Aktivisten aus dem Mahnwachenspektrum. Braun will denn auch zwischen alter Friedensbewegung und neuen Mahnwachen gar nicht mehr unterscheiden: »Das ist alles Friedensbewegung.« Die Neuzugänge nennt er den »aktionistischen Teil«.

Die Mahnwachen haben sich ausdifferenziert. Ein Teil ist auf Distanz gegangen und hat sich umbenannt. Die Gruppen heißen jetzt Occupeace, Agora oder Bildung für Friedensbewegung und grenzen sich inhaltlich und organisatorisch von bisherigen Führungsfiguren wie Lars Mährholz oder dem Liebäugeln mit Pegida ab. Sie haben einen Koordinierungskreis gewählt, der rund 20 Gruppen vertritt. Nach dem Tagungsort eines Treffens firmieren sie unter dem Namen »Friedenskreis Wanfried«, was auch eine komische Note hat, werden die Mahnwachen doch von ihren Kritikern »Wahnmachen« geschimpft, eine Anspielung auf Verschwörungstheoretiker, die anfangs das öffentliche Bild dominierten.

Mit Chemtrailspinnern will der Friedenskreis nicht mehr identifiziert werden. In seinem Grundsatzdokument steht neben der Abgrenzung von Rechtsextremisten und Verschwörungstheorien ein klares Bekenntnis zur Aufnahme von Flüchtlingen. Es soll weiter wöchentlich, aber nicht mehr montags demonstriert werden. Darüber hinaus verstetigen die Gruppen ihre Arbeit in Vereinen. Es sind diese Leute, in die alte Friedensbewegte wie Reiner Braun ihre Hoffnung setzen. »Die Führungsstrukturen 2015 sind nicht mehr die von 2014«, betont er.

Jüngst stellten Berliner Bewegungsforscher eine Studie zu dem neuen Phänomen vor. Sie prognostizieren das Auftreten weiterer ähnlicher Erscheinungen bei unterschiedlichen Themen. Bewegungen, aber auch Parteien werden einen Umgang damit finden müssen. Vielleicht hatte die Friedensbewegung nur das Pech, zuerst damit konfrontiert zu sein. Sie hat sich mehrheitlich für das Ignorieren entschieden.

Der Artikel erschien am 19.08.2015 auf der Bewegungsseite in der Tageszeitung NEUES DEUTSCHLAND

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