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Mordsgeschäft!25.04.2013

J. Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel - Wie Deutschland am Krieg verdient.

Umfassende und fundierte Information durch Grässlins neues „Schwarzbuch Waffenhandel“ von Stefan Philipp? für ZivilCourage 2/2013

Dass Deutschland nach den USA und Russland auf Platz 3 der waffenexportierenden Staaten liegt und damit den traurigen Titel Rüstungsexport-Europameister trägt, ist mittlerweile Allgemeinwissen geworden. Dass deutsche Unternehmen mit staatlicher Erlaubnis und Unterstützung ihre tödlichen Produkte auch in Krisengebiete und an Diktatoren liefern, wissen die meisten.
Mit zu diesem Wissen beigetragen hat der DFG-VK-Bundessprecher Jürgen Grässlin. 1994 veröffentlichte er das Buch „Den Tod bringen Waffen aus Deutschland“ mit dem Untertitel „Von einem, der auszog, die Rüstungsindustrie das Fürchten zu lehren“, das sich hauptsächlich mit der Waffenschmiede Heckler & Koch beschäftigt. Nach fast 20 Jahren und Büchern wie „Lizenz zum Töten Wie die Bundeswehr zur internationalen Eingreiftruppe gemacht wird“ (1997) und „Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira, Hayrettin und einem deutschen Gewehr“ (2003) erscheint nun Mitte Mai sein neuestes Werk zum Thema, das „Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient.“

Sucht man im Internet nach der Bedeutung des Begriffs „Schwarzbuch“, so kann man auf der Wikipedia-Seite lesen, dass dieser anknüpfe an das biblische „Buch des Lebens“, in dem die Namen all derer verzeichnet seien, die wegen ihrer guten Taten beim Jüngsten Gericht gut davonkommen. Das Gegenstück sei eben das Schwarzbuch, das „sämtliche Untaten bzw. Sünden der Menschen umfasse“.
Welche „Sünden“ beim und durch den Waffenhandel begangen werden und wer die „Sünder“ sind, legt Grässlin ausführlich und detailreich dar. Beginnend mit der bedingungslosen Kapitulation des militaristischen und faschistischen Deutschen Reichs am 9. Mai 1945 beschreibt er einen bedeutsamen Teil deutscher Geschichte. Während die Alliierten im August 1945 in Potsdam noch die „völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands und die Ausschaltung der gesamten deutschen Industrie, welche für eine Kriegsproduktion benutzt werden kann“, festgelegt hatten und während sich das neue demokratische Deutschland eine friedliche Verfassung gab, die friedensstörende Handlungen verbot und bestraft sehen und entsprechend Waffenproduktion streng reglementieren wollte ... wurden im Jahr 2010 Kriegswaffen im Wert von über 2 Milliarden Euro exportiert!

Eine solche Zahl lässt sich im Buch schnell finden, weil es über 20 Infokästen enthält, in denen Fakten und Daten übersichtlich zusammengestellt sind, z.B. zu den „Big Five - Waffenverkäufe der fünf führenden Großwaffenproduzenten Deutschlands“ oder dem „Volumen der Geschäftsbeziehungen ausgewählter deutscher Finanzdienstleister an den Rüs- tungsunternehmen“.
Wer wenig Zeit oder Lust hat, die über 600 Seiten intensiv zu lesen, der kann beginnen mit den „Täterprofilen“. 20 Personen aus Politik und Wirtschaft porträtiert Grässlin und listet dabei immer ihre Beteiligung an Rüstungsexportgeschäften auf. Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel finden sich dort ebenso als „politische Täter“ wie Joschka Fischer, Frank-Walter Steinmeier oder Guido Westerwelle und einige andere. Weniger bekannt sein dürften die Namen Bodo Uebber (EADS-Verwaltungsratsvorsitzender), Thomas Enders (EADS-Vorstandsvorsitzender), Dieter Zetsche (Daimler-Vorstandsvorsitzender), Egon Behle (MTU-Vorstandsvorsitzender), Klaus Eberhardt (MTU-Aufsichtsratsvorsitzender und bis 2012 Rheinmetall-Vorstandsvorsitzender), Frank Haun (Vorsitzender der Geschäftsführung von Krauss-Maffei Wegmann), Friedrich Lürßen (Vorsitzender der Geschäftsleitung der Lürssen-Werft, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie), Olaf Berlien (Vorsitzender der Thyssen-Krupp Marine Systems), Claus Günther (Vorstandsvorsitzender der Diehl Defence Holding), Andreas Heeschen (Hauptgesellschafter von Heckler & Koch) - allesamt tätig an führender Stelle in der Wirtschaft und verantwortlich für und profitierend von dem Waffenhandel. Vielleicht sollte man den Rat geben, sich das Buch bald zu besorgen, denn viele der Genannten dürften „not amused“ sein, sich als Täter porträtiert zu sehen, und könnten versuchen, juristisch dagegen vorzugehen.
Die Täterprofile könnten zur weiteren Lektüre motivieren, die viele überraschende Einblicke bietet. Zum Beispiel in den Bundessicherheitsrat, das geheim tagende Regierungsgremium, das über Rüstungsexporte entscheidet. Die Ex-Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin, von Grässlin für das Buch interviewt, beschreibt die Arbeit dort so, dass unter Rot-Grün Außenminister Fischer in der Regel mit Kanzler Schröder Vorabsprachen Pro-Rüstungsexport traf und beide dann keinen Widerspruch duldeten. Deshalb waren Waffenlieferungen auch an menschenrechtsverletzende Staaten unter dieser Regierung gang und gäbe.
Bleibt die Frage, ob und was zu bemängeln ist an dem Buch? Dem Lektor scheint es leider nicht gelungen, Grässlins Neigung zu „aufgeblasenen“ Formulierungen zu dämpfen: da wird aus Walter Scheel der „liberale FDP-Vize“, Machthaber sind „repressiv und diktatorisch“, Regimes und Diktaturen werden zu „menschenrechtsverletzenden“ und „barbarischen“, „menschenverachtend“ sind Gerichtsurteile, Waffengeschäfte und die Praxis des Waffenhandels. Da darf dann auch der Superlativ „tödlichst“ nicht fehlen, obwohl tödlich einen irreversiblen Effekt bezeichnet, der nicht steigerungsfähig ist.

Vielleicht wird in den Verlagen aber auch gar nicht mehr richtig lektoriert. Sonst wäre diese Behauptung Grässlins so wohl nicht ins Buch gelangt: Mit der Politik Franz Josef Strauß' wurde das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz geschaffen, was die extensive Rüstungsexportpraxis erst möglich gemacht hat, was dem Geist der Verfassung und der Bestimmung des Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes zuwiderläuft. Dies sei deshalb ein Verfassungsverstoß, weil Art. 26 Abs. 2 GG bestimme, „das Nähere [der Rüstungsxporte] regelt ein Bundesgesetz.“ Als Deutschlehrer, der Grässlin ist, kann man das vielleicht so interpretieren, dass nur ein einziges Gesetz gemacht werden durfte, und eben nicht zwei. Aus juristischer Sicht wird man das aber nicht ernstlich vertreten können und allein aus der Existenz zweier Ausführungsgesetze einen Verfassungsbruch ableiten dürfen. Vielmehr wird der Jurist das nur so verstehen können, dass der Verfassungsgeber hier auf einer gesetzlichen Grundlage besteht, die Regelung also nicht etwa einer ministeriellen Verordnung überlassen will.

Für die Rezension (im April) stand lediglich ein PDF-Dokument mit den Druckdaten für das Buch zur Verfügung. Unter Umständen wurden vor dem tatsächlichen Druck noch Korrekturen vorgenommen und z.B.die „U-Booten-Lieferung“ oder fehlerhafte Fußnoten richtiggestellt.

Insgesamt aber ist das Buch allen zu empfehlen, die sich mit den todbringenden Aspekten deutscher Rüstungspolitik und ihren Akteuren näher beschäftigen wollen. Dass Grässlin nicht bei der Analyse und Beschreibung stehenbleibt, sondern in einem eigenen Kapitel „Aufschrei!“ beschreibt, „wie die Zivilgesellschaft den notwendigen Druck gegen Waffenhandel erzeugen kann“, ist begrüßenwert.
Der relativ günstige Preis von 14,99 Euro für den mit über 600 Seiten „dicken Wälzer“ trägt vielleicht dazu bei, dass die fundierten und ausführlichen Informationen eine weite Verbreitung finden - und hoffentlich auch dazu, dass die LeserInnen dem persönlichen Nachwort Jürgen Grässlins folgen, das er so überschrieben hat: „Handeln Sie!“

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage.

Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient. Wilhelm Heyne Verlag, Taschenbuch, München 2013; 624 Seiten; 14,99 Euro

Mehr Informationen: http://www.aufschrei-waffenhandel.de

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