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Protest gegen Potsdam20.05.2013

www.german-foreign-policy.com

AUGSBURG/MÜNCHEN (german-foreign-policy.com) - Vor dem diesjährigen "Sudetendeutschen Tag" an diesem Wochenende kündigt die bayerische Staatsregierung die Einführung eines Gedenktages zur Erinnerung an die Umsiedlung der Deutschen an. Demnach soll von 2014 an alljährlich der zweite September-Sonntag dem Gedächtnis deutscher Opfer von "Flucht, Vertreibung und Deportation" infolge des Zweiten Weltkrieges gewidmet sein. Die Einführung des Gedenktages gehört zu den Maßnahmen, mit denen die deutsche Politik die Meinung, die Umsiedlung sei "Unrecht" gewesen, in den künftigen Generationen verankern will. An diese - geschichtlich unzutreffende - Auffassung können politische Ansprüche gegenüber den Staaten Ost- und Südosteuropas geknüpft werden, die für Deutschland vorteilhaft sind. Zusätzlich zur Einführung des Gedenktags unterstützt Bayern die Errichtung eines "Sudetendeutschen Museums" in München mit 20 Millionen Euro; ergänzend hat der Deutsche Bundestag zehn Millionen Euro zugesagt. Eine Ausstellung, die als möglicher Kern des Museums gilt, stellt die Rechtmäßigkeit der tschechoslowakischen Staatsgründung in Teilen in Frage und stützt umstrittene Aussagen auf NS-Quellen. Für seine Unterstützung der "Vertriebenen" wird der bayerische Ministerpräsident am Sonntag mit einer Auszeichnung der Sudetendeutschen Landsmannschaft geehrt.

Gedenktag für die Umgesiedelten

Wie die bayerische Staatskanzlei mitteilt, hat die Regierung des Freistaates an diesem Mittwoch die Einführung eines landesweiten Gedenktages zur Erinnerung an die Umsiedlung der Deutschen beschlossen. Der Gedenktag soll von 2014 an jährlich am zweiten Sonntag im September begangen werden und "an das Leid durch Flucht, Vertreibung und Deportation" [1] der Deutschen infolge des Zweiten Weltkrieges erinnern. Der Schritt wird von den Umgesiedelten-Verbänden freudig begrüßt. Der Freitsaat Bayern habe sich gegenüber den "Vertriebenen" stets "vorbildlich" verhalten, erklärt die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach.[2] Im BdV lässt man keinerlei Zweifel daran, dass man die Einführung eines solchen Gedenktages bundesweit wünscht. Es müsse darüber endlich einen "parteiübergreifenden Konsens" in der deutschen Hauptstadt geben, fordert der stellvertretende BdV-Vorsitzende Bernd Fabritius.[3]

Vom Unrecht der Vertreibung

Die politische Stoßrichtung des Gedenktages lässt sich seiner Terminierung entnehmen, die direkt an den "Tag der Heimat" anknüpft. Der "Tag der Heimat" wird seit 1950 jährlich vom BdV und den übrigen Verbänden der Umgesiedelten begangen, um die Erinnerung an die deutsche Vergangenheit ihrer Herkunftsgebiete wachzuhalten. Ursprünglich geschah dies am ersten Augustwochenende und damit gezielt in unmittelbarer Nähe zum Jahrestag der Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens (2. August 1945): Das Datum sei als "Protest gegen die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz 1945" gewählt worden, erläutert der BdV.[4] Gemeint sind die Passagen des Potsdamer Abkommens, die - als Konsequenz aus den NS-Verbrechen in Ost- und Südosteuropa - die Umsiedlung der Deutschen rechtlich begründen. Dem Protest gegen sie schließt sich die bayerische Staatsregierung ganz offen an: Ministerpräsident Horst Seehofer erläutert, mit dem neuen Gedenktag "geben wir das Signal: Vertreibung ist und bleibt Unrecht".[5] Dass der Gedenktag nicht am ersten Augustwochenende, sondern im September abgehalten werden soll - ganz wie heute meist auch der "Tag der Heimat" -, hat praktische Gründe: In Bayern dauern die Sommerferien der Schulen den ganzen August über an und enden üblicherweise erst am zweiten Wochenende im September. Ein Gedenktag während der Schulferien aber würde weitgehend wirkungslos verpuffen.

Die junge Generation

Wie aus den Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten hervorgeht, zielt die Einführung des Gedenktages zudem darauf ab, die Debatten der Zukunft zu prägen. Bislang hieß es stets - etwa im Streit um ein "Zentrum gegen Vertreibungen" oder die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" [6] -, man müsse denjenigen, die ab 1944 flohen oder umgesiedelt wurden, persönlich Genugtuung widerfahren lassen. Das sei nötig, obwohl die meisten von ihnen mittlerweile verstorben seien. Der bayerische Ministerpräsident jedoch äußert, man wolle "die Erinnerung an Flucht und Vertreibung gerade für die junge Generation lebendig" halten.[7] In der Tat nehmen die erinnerungspolitischen Aktivitäten in Sachen Umsiedlung staatlicherseits zu, weil die Umgesiedelten inzwischen entweder verstorben sind oder ein hohes Alter erreicht haben - und ihre Verbände, die bislang die Erinnerung an die Umsiedlung wachhielten und diese zum "Unrecht" erklärten, wegen Mitgliederschwund nun immer mehr Einfluss und Bedeutung verlieren. Ministerpräsident Seehofer zufolge gilt es jetzt, die Umsiedlung im Gedächtnis der "junge(n) Generation" zu verankern, weil diese "das europäische Haus von morgen gestaltet". Die Erinnerung an die Umsiedlung und ihre Einstufung als "Unrecht" hält politische Ansprüche Deutschlands gegenüber den Staaten Ost- und Südosteuropas aufrecht (german-foreign-policy.com berichtete [8]).

Vollkommen gleichgültig
Zu den erinnerungspolitischen Maßnahmen, die das angebliche "Unrecht der Vertreibung" auch für die Zukunft auf der europäischen Tagesordnung halten sollen, gehören die Pläne für die Errichtung eines "Sudetendeutschen Museums" in München. Der Bau eines solchen Museums wird schon seit Jahren von der Sudetendeutschen Stiftung vorangetrieben. Im Frühjahr 2011 konnte die Stiftung einen "Gründungsbeauftragten" bestellen, für dessen Arbeit der Freistaat Bayern 300.000 Euro zur Verfügung stellte. Den Posten erhielt Wilfried Rogasch, vormals Kurator einer BdV-Ausstellung, der Anfang 2006 mit Äußerungen zum Thema Umsiedlung einiges Aufsehen erregt hatte: "Aus der Perspektive des Opfers ist es vollkommen gleichgültig (...), ob eine ostpreußische Frau 1944/45 vergewaltigt und dann ermordet wurde oder ob eine jüdische Frau von Deutschen in das KZ nach Auschwitz gebracht wurde und dann ermordet wurde."[9] Der Bundestag stellt bis zum Jahr 2015 zehn Millionen Euro für das Sudetendeutsche Museum bereit, der Freistaat Bayern steuert weitere 20 Millionen Euro bei. Die Arbeiten schreiten voran; eine Bauvoranfrage ist mittlerweile offiziell genehmigt.

Die Okkupation des Sudetenlandes

Noch im Fluss ist die inhaltliche Ausgestaltung des Sudetendeutschen Museums. Als möglicher Kern gilt eine Ausstellung, die erstmals 2007 öffentlich gezeigt wurde - im Bayerischen Landtag - und dann durch mehrere Bundesländer weitergereicht wurde. Auf den Ausstellungstafeln wurde unter anderem behauptet, die Tschechoslowakei habe zu Jahresbeginn 1919 nicht ihr Staatsgebiet unter Kontrolle gebracht, sondern eine "Okkupation des Sudetenlandes" betrieben und "gegen die im Jahre 1907 beschlossene Internationale Haager Landkriegsordnung" verstoßen. Weiter heißt es, in der Tschechoslowakei sei eine beispiellose "Diskriminierung der Sudetendeutschen" vonstatten gegangen; als Quelle dient eine Schrift, die 1936 im Verlag des Nationalsozialisten Karl Hermann Frank erschien. Frank gehörte bald darauf zum engsten Kreis der NS-Machthaber in Prag und war nicht zuletzt für das Massaker in Lidice verantwortlich. Die Ausstellung erläutert Möglichkeiten, wie das Münchner Diktat vom September 1938 legitimiert werden kann: Dessen Wortwahl lasse "anklingen", heißt es, dass das "Sudetenland als besetztes Gebiet interpretiert werden konnte, das nie legitim zur ?SR gehört hat". Schließlich wird auf einer Ausstellungstafel dem ehemaligen tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Beneš vorgeworfen, eine Mitschuld am Mord an Hunderttausenden Jüdinnen und Juden zu tragen: Eine "Fehlinformation" seinerseits habe "dazu beigetragen, dass die Westalliierten auch einfache Hilfsmaßnahmen für die verfolgten Juden - etwa die unbegrenzte Aufnahme jüdischer Flüchtlinge oder die Bombardierung der Zufahrtsstrecken zu den Vernichtungslagern - unterließen" (german-foreign-policy.com berichtete [10]).


Die mitteleuropäische Völkerordnung

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, dessen Regierung die Sudetendeutschen und ihre Landsmannschaft zuverlässig unterstützt, wird am Sonntag auf dem Sudetendeutschen Tag den Europäischen Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft erhalten - "für Verdienste um eine gerechte Völkerordnung in Mitteleuropa". Der Preis ist nach Kaiser Karl IV. benannt, der "zugleich deutscher und böhmischer König" war.[11] Der Sudetendeutsche Tag, auf dem sich auch in diesem Jahr wieder der ultrarechte "Witikobund" [12] der Öffentlichkeit präsentiert, wird vom Freistaat Bayern finanziell unterstützt - aus Mitteln des Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.

Anlässlich der staatlichen Gedenk-Offensive in Sachen "Vertreibung" berichtet german-foreign-policy.com in den nächsten Wochen in lockerer Folge über die erinnerungspolitische Ausrichtung der wichtigsten Umgesiedelten-Verbände neben der "Sudetendeutschen Landsmannschaft".

[1] Bayerische Staatskanzlei: Pressemitteilung Nr. 178, 15.05.2013
[2] Erika Steinbach dankt Seehoferfür Kabinettsentscheidung zum Gedenktag; www.bdvbund.de 16.05.2013
[3] Bayern führt Gedenktag für Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation ein; www.siebenbuerger.de 16.05.2013
[4] Dokumentation zum Tag der Heimat 2006. Menschenrechte achten - Vertreibungen ächten. Festakt des Bundes der Vertriebenen in Berlin, 2. September 2006. S. dazu Revisionsoffensive
[5] Bayerische Staatskanzlei: Pressemitteilung Nr. 178, 15.05.2013
[6] s. dazu Vertreibung aus dem Leben, Weichen für die Zukunft, Geschichte à la carte, Revisions-PR und Kein Dialog
[7] Bayerische Staatskanzlei: Pressemitteilung Nr. 178, 15.05.2013
[8] s. dazu Pflichtthema "Vertreibung", 60 Jahre Aggressionen
[9] s. dazu Die Perspektive der Täter
[10] s. dazu Ein Lernort
[11] Sudetendeutscher Karlspreis 2013 für Seehofer; www.sudeten.de
[12] s. dazu Wertegemeinschaft Europa

Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58602


Mehr Informationen: http://www.german-foreign-policy.com

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