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Mali: Hilferuf, Schutzverantwortung, Militärintervention17.01.2013

www.gruene-friedensinitiative.de

Von Uli Cremer

Dieser Tage hat die französische Regierung eine Militärintervention in Mali begonnen. Nach der Luftwaffe werden inzwischen auch französische Bodentruppen eingesetzt. Die Militäraktion wurde anfänglich als reine Defensivmaßnahme verkauft und völkerrechtlich durch einen Hilferuf der malischen Regierung legitimiert.

Um mit letzterem zu beginnen: Aber wer ist die malische Regierung? Wie demokratisch legitimiert ist sie? Bekanntermaßen war im März 2012 gegen den damaligen gewählten Präsidenten Touré geputscht worden. Die Putschisten wurden jedoch international nicht anerkannt und isoliert. Stattdessen wurden die beiden Politiker Traoré (ernannter Präsident) und Diarra (ernannter Premierminister) als zentrale Figuren installiert. Letzterer war zuletzt Microsoft-Chef in Afrika gewesen. Die Putschisten unter Führung von Sanogo, einem vom US-Militär ausgebildeten Offizier (an Militärausbildung hat es also in der Vergangenheit nicht gemangelt), sitzen keineswegs im Gefängnis, sondern nehmen weiter politisch Einfluss. Die machtpolitische Basis der beiden zentralen Figuren ist begrenzt: Traoré begab sich im Frühjahr zwei Monate zur Behandlung nach Frankreich, nachdem er in Bamako verprügelt und verletzt worden war. Premier Diarra wurde Mitte Dezember 2012 vom Militär verhaftet und musste am 11.12.2012 den Rücktritt seiner Regierung verkünden. Insofern wurde Traoré gezwungen, einen neuen Premierminister zu ernennen, nämlich Django Sissoko, der in seiner Karriere immerhin schon für Weltbank und IWF tätig war.

Die mutmaßlich organisierten Hilferufe aus Bamako erinnern an jene aus Afghanistan 1979, so dass die französische Regierung quasi posthum dem sowjetischen Einmarsch nach Afghanistan neuen Segen verleiht.

Eine Parallele zwischen Afghanistan und Mali ist natürlich auch die letztlich – Wahlen hin, Wahlen her – nicht wirklich vorhandene Staatlichkeit der „Staaten“. Auch die gewählten Regierungen Malis waren kaum in der Lage, die Kontrolle über das malische Territorium auszuüben. Manche sprechen in diesem Zusammenhang treffend von „Potemkin’schen Staat“ . Auch der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy, ein glühender Verfechter der französischen Militärintervention, sieht das Problem und fragt: „Wie baut man ein Land auf ohne Staat, wie eine Nation ohne Regierung und Armee?“ (FAZ 16.1.2013) Der Ruf aus Mali nach einer ausländischen Militärintervention kommt also von einem Land ohne Staat und einer Nation ohne Regierung. Und natürlich ist das gewünschte Ergebnis einer Militärintervention auch die Installierung einer genehmen örtlichen Regierung, die die Interessen der Interventionsmächte bedient. Insofern geht es auch um Einflussnahme Frankreichs auf die malischen Verhältnisse im Süden.
Das Beispiel Afghanistan zeigt außerdem, dass Konflikte stets über Verhandlungen und Kompromisse gelöst werden müssen und dabei eben auch Kräfte wie die Taliban oder die „Wüstentaliban“(Levy, FAZ 16.1.2012) am Tisch bzw. im Zelt sitzen, denen man wenig Sympathie entgegen bringt.

Offizieller Anlass für die französische Militärintervention war, dass die islamistischen Rebellen, die in 2012 die Kontrolle über Nordmali errungen hatten, nun auch den bevölkerungsreichen Süden des Landes, in dem über 90% der Bevölkerung leben, hätten erobern wollen. Sie hätten eine militärische Offensive gestartet. In den Worten des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy: Es drohte die Etablierung einer „Achse des Verbrechens, die zu zerschlagen ohne den aktuellen Einsatz beinahe unmöglich gewesen wäre.“ (FAZ 16.1.2013 „Warum wir die Pflicht haben, Mali zu schützen“)

Wie so häufig bei Kriegen, scheint auch diese grundlegende Argumentation nicht zu stimmen. Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) präsentiert eine komplett andere Version der Geschichte:

„Tatsächlich ist dieser Offensive (der islamistischen Rebellen, UC) ein Angriff von Teilen der malischen Armee auf die Stadt Douentza, gute 100km westlich von Konna, vorausgegangen, die sich seit dem 1. September 2011 unter Kontrolle der Islamisten befand. Der Militärsprecher, der diese Rückeroberung noch selbstbewusst verkündete, verband dies gleich mit der Ankündigung, weiter in den Norden vorzustoßen, um auch Timbuktu, Kidal und Gao zu befreien. Den Einmarsch der Islamisten nach Konna, von wo vermutlich Truppen für die Offensive in Douentza abgezogen wurden, wollte er zu diesem Zeitpunkt nicht kommentieren. Konkret ging der „Offensive der Islamisten“ also eine Offensive malischer Militärs voraus.“ (zitiert nach: http://www.imi-online.de/2013/01/14/regime-change-mal-anders/ )

Natürlich ist völlig unwahrscheinlich, dass Frankreich von all dem keine Kenntnis hatte. Vor diesem Hintergrund würde die Öffentlichkeit von der Pariser Regierung dramatisch hinters Licht geführt. Auch die anfängliche französische Behauptung, man wolle nur die „Offensive“ aufhalten, aber keine weiteren militärischen Schritte unternehmen, erwies sich bereits als Nebelkerze. Inzwischen geht der Feldzug selbstverständlich um die Rückeroberung von Nordmali und die militärische Niederwerfung der islamistischen Rebellen. Hollande sei „fest entschlossen, dass wir diese Terroristen auslöschen müssen“, lässt sich der französische Verteidigungsminister vernehmen.

Außerdem sind die französischen Militärmaßnahmen natürlich nicht spontan erfolgt, sondern zumindest wochenlang vorbereitet worden. Nur der Befehl kam kurzfristig.

Dass der französische Angriff international und auch in Deutschland großen Anklang gefunden hat, hängt damit zusammen, dass kommunikativ die Botschaft, wer die Guten und wer die Bösen sind, klar rübergebracht wurde. Wer will schon Partei für islamistische Terroristen ergreifen, die das Weltkulturerbe in Timbuktu schleifen und die Menschen in Nordmali Hände abhacken, diese terrorisieren und sie einem radikalen Scharia-Regime unterwerfen usw.? Hunderttausende sind schließlich vor dieser Schreckensherrschaft geflohen. Mit den gleichen Argumenten könnte man natürlich auf dem syrischen Präsidenten Assad im syrischen Bürgerkrieg zu Hilfe eilen. Auch für diesen gelten die Rebellen als Terroristen, kriminelle Banden und Islamisten. Umgekehrt sind aus westlicher Sicht in Syrien die Islamisten plötzlich „Freiheitskämpfer“, da sie das westliche Anliegen nach Regime Change unterstützen.

Das Zauberwort lautet heutzutage natürlich Schutzverantwortung. Der französische Angriff gilt als Robin-Hood-Einsatz, der dem Brandschatzen und Morden der Bösen endlich ein Ende setzt. Böse Zungen sagen allerdings, dass es eher um die Schutzverantwortung für die Uranminen im Niger und die noch nicht ausgebeuteten Uran-Vorkommen in Nordmali geht. Jedenfalls: Der französische Atomkonzern „Areva zählt zu den diskreten Fürsprechern einer Militärintervention im Norden Malis“, berichtete die FAZ am 14.10.2012.

Da die französische Regierung die Militärintervention im Alleingang startete, liegt der Verdacht nahe, dass hier die französische Ordnungspolitik in Afrika in Anknüpfung an die Kolonialgeschichte fortgesetzt wird. Auf die Versicherung von Hollande, man verfolge keine „eigenen Interessen“, kann man natürlich nicht viel geben. In Wirklichkeit ist natürlich damit jede gemeinsame EU-Afrika-Ordnungspolitik torpediert. Die anderen EU-Regierungen können sich nun mit militärischen Solidarbeiträgen anschließen und der militärischen Führungsrolle Frankreichs huldigen.

Statt die französische Militärintervention zu kritisieren, streitet die deutsche politische Klasse von Schwarz-Gelb bis Rot-Grün darüber, wie man den Militäreinsatz am besten unterstützen kann. Es ist geradezu grotesk, wenn der GRÜNE Fraktionschef Trittin Außenminister Westerwelle zurechtweist: „Ich würde von einem Außenminister gerne einmal hören, was geht, und nicht nur, was alles nicht geht“. Das ist wahrlich keine Kritik, sondern der laute Schrei nach Intervention. Deutschland soll sich militärisch an der Afrikaordnungspolitik beteiligen. De Maizière kündigte inzwischen als erste Maßnahme an, beim Lufttransport mit Flugzeugen zu helfen.

Wo westliche, von Frankreich angezettelte Militärinterventionen hinführen, zeigt das libysche Beispiel. Der dortige Regime Change führte dazu, dass tausende Tuareg-Kämpfer Libyen verließen und in ihre Heimat (u.a. Mali) zurückkehrten. Im Gepäck hatten sie reichlich Waffen, mit denen sie den malischen Regierungstruppen aus Nordmali vertrieben und dort einen eigenen Staat mit Namen Azawad ausriefen. Allerdings übernahmen nach wenigen Monaten islamistische Kräfte die Kontrolle in der Region. Der Tuareg-Separatismus wurde allerdings international nicht unterstützt, weder vom Westen (analog Südsudan oder Kosovo), noch von Russland (analog Südossetien oder Abchasien).

Zuletzt sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Probleme in Mali direkte Folge des NATO-Militäreinsatzes in Libyen sind. Auch nach zwei Jahren erweist sich also die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat als sehr klug.

Quelle: E-Mail der Grünen Friedensinitiative

Mehr Informationen: http://www.mali.dfg-vk.de

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