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Noch ist Ruhe an der Heimatfront13.08.2012

öffentliches Gelöbnis in Freudenstadt, 20.11.2008

Vorbereitung auf den »inneren Notstand«: Bundeswehr stellt neue Reservekräfte auf.
von Frank Brendle

Eine deutsche Bürgerkriegsarmee? In Bremen wurde am 15. Juni 2012 die erste »Regionale Sicherungs- und Unterstützungseinheit« der Bundeswehr aufgestellt


Die Bundeswehr baut neue, aus Reservisten bestehende Einheiten für militärische Aufgaben im Inland auf. Mitte Juni hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in Bremen die erste sogenannte Regionale Sicherungs- und Unterstützungseinheit abgenommen. Bis zum Sommer 2013 sollen bundesweit 27 solcher Kompanien mit insgesamt 2 700 Angehörigen einsatzbereit sein, die im Ernstfall aktiviert werden. Sie ergänzen die regionalen Kommandos der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ), um den »Heimatschutz« sicherzustellen.??Bei den Bundesländern lösen die neuen Einheiten Begeisterung aus: »Wir brauchen diese Einheiten dringend für die Katastrophenhilfe«, behauptet etwa Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und nennt als Beispiele Hochwasser, Waldbrände und schwere Unfälle. Auch die brandenburgische Landesregierung erhofft sich Unterstützung bei Überschwemmungen.?

Die neuen Einheiten sollen vor allem eine Lücke schließen, die durch Personalabbau und Umstrukturierungen bei der Truppe entsteht. Die Rechnung, mit Hilfe der Bundeswehr an eigenen Katastrophenschutz-Kapazitäten zu sparen und die Haushalte entlasten zu können, machen die Länder allerdings ohne den Wirt auf: Während die zivilen Verwaltungen mit »Heimatschutz« ausschließlich Katastrophenschutz meinen, ist der Begriff für die Militärs ganz anders besetzt. So heißt es in der Pressemitteilung zum Aufstellungsappell in Bremen, die Reservisten nähmen »in erster Linie Wach- und Sicherungsaufgaben wahr, können aber auch zu anderen militärischen Aufgaben, wie zur Unterstützung von Großvorhaben und Projekten, herangezogen werden.« Darüber hinaus sei »auch« ihr Einsatz im Katastrophenschutz »subsidiär möglich.« Das ist eindeutig eine andere, vorrangig militärische Prioritätensetzung.??

Die im Februar vom Verteidigungsministerium verabschiedete Konzeption der Reserve definiert den »Heimatschutz« folgendermaßen: Er umfasse »alle Fähigkeiten der Bundeswehr zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger auf deutschem Hoheitsgebiet«. Dazu gehöre die »Landesverteidigung im klassischen Sinne« ebenso wie Amtshilfe bei Naturkatastrophen sowie Einsätze »zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand.« Die Bundeswehr solle immer dann zum Zug kommen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfüge.??Damit wird das ganze Einsatzspektrum offengehalten, im Falle des »inneren Notstandes« – beispielsweise bewaffnete Unruhen – auch ein Einsatz gegen die eigenen Bürger. Und »Amtshilfe« ist nicht immer so harmlos, wie sie klingt: Beim G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm hatte die Bundeswehr Tornado-Flugzeuge und Spähpanzer eingesetzt, um der Polizei im Vorgehen gegen friedliche Demonstranten zu helfen. Das Besondere an den Reservistenkompanien ist, daß sie aufgrund ihrer Zusammensetzung »regionale Gegebenheiten und vorhandene personelle Potentiale« besser berücksichtigen können als Einheiten aus Berufssoldaten.?

Die Reservisten sollen in der Lage sein, die regulären Kräfte kurzfristig zu unterstützen (vor allem logistisch), mittelfristig aber auch selbständige »Sicherungsaufgaben« wahrzunehmen. Bei ihrer Aufstellung kommt dem Reservistenverband entscheidende Bedeutung zu. Der hat schon vor Jahren damit begonnen, eigenverantwortlich regionale Reservisteninitiativen aufzustellen, die jetzt in die neuen Strukturen integriert werden. Auch die Ausbildung soll weitgehend vom Reservistenverband übernommen werden. Dieser fällt immer wieder dadurch auf, daß er mit Wehrmachtsnostalgikern zusammenarbeitet und Forderungen nach bewaffneten Inlandseinsätzen erhebt.??

Strukturell bilden die neuen Kräfte eine von zwei Säulen der sogenannten Territorialen Reserve, die insgesamt rund 7000 Dienstposten umfaßt. Die andere Säule sind die Bezirks- und Kreisverbindungskommandos der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ), die seit 2006 in sämtlichen Kreisen und Regierungsbezirken aufgebaut worden sind. Sie werden von je zwölf Mann gebildet, von denen einer den ständigen Kontakt zwischen den zivilen Katastrophenschutzstäben und der nächstgelegenen Bundeswehrkaserne hält. So sei, heißt es, im Katastrophenfall schnellstmögliche Unterstützung gewährleistet. Auf Nachfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke) hat die Bundesregierung aber schon vor drei Jahren eingeräumt: Die ZMZ »begrenzt mögliche Hilfe und Unterstützungsleistungen nicht auf den Bereich Katastrophenhilfe, sondern gilt ebenso für Hilfeleistungen der Bundeswehr im Wege der Amtshilfe für die jeweils zuständigen Polizeibehörden, z B. anläßlich von Großveranstaltungen.« Auch Einsätze anläßlich von Streiks und Demonstrationen will die Regierung nicht ausschließen: Das sei »dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten«.??

Die ZMZ-Kräfte sind gewissermaßen die Vorposten, die nicht selbst zur Waffe greifen, aber die Bundeswehr durch ihre enge Verzahnung mit den zivilen Verwaltungen bestmöglich mit Lagebildern versorgen. Antimilitaristen sahen in ihnen einen Schritt in Richtung Inlandseinsätze. Mit der Aufstellung der – im Ernstfall bewaffneten – Reservistenkompanien wird nun ein weiterer Schritt gegangen. Daß es vorläufig nur Reservisten sind, dürfte an der im Moment noch ruhigen Lage an der Heimatfront liegen. Ganz ausschließen will man aber in den Planungsstäben nicht, daß die kapitalistische Krise auch in Deutschland soziale Unruhen hervorruft, die als Erscheinungsform des »inneren Notstandes« bekämpft werden sollen.?

Das wäre zwar vor allem eine Aufgabe für die Polizei. Deren Militarisierung hat allerdings noch lange nicht das Ausmaß etwa US-amerikanischer Verhältnisse erreicht. Einige Spezialeinheiten haben in den letzten Jahren gemeinsam mit Elitekräften ausländischer Polizeien Manöver zur Niederschlagung bürgerkriegsähnlicher Unruhen durchgeführt. Dabei waren stets auch paramilitärische Kräfte – Gendarmerien und Carabinieri – beteiligt. Die Bundeswehr hat derweil ihre Fähigkeiten bei der Bekämpfung nicht-militärischer Gegner ausgebaut, etwa durch die Anschaffung sogenannter »weniger tödlicher Waffen« (less leathal weapons, LLW) wie Schlagstöcke, Pfefferspray, Schilde usw. Benutzt werden die einstweilen vor allem im Kosovo, um entweder aufgebrachte Kosovo-Albaner vor Angriffen auf die serbische Minderheit abzuhalten oder Serben, die gegen die albanische Dominanz protestieren, in Schach zu halten. In Fällen des »inneren Notstandes« wäre auch ein Einsatz im Inland möglich.??

Die Reservisten sollen, bis sie tatsächlich zum Einsatz kommen, nicht untätig in Warteposition verharren, sondern als eine Art Propagandakompanie fungieren: Als »Mittler zur Gesellschaft«, die, so will es die Reservistenkonzeption, für die offizielle Sicherheitspolitik werben und die Bundeswehr bei der Rekrutierung von Jugendlichen unterstützen.


Zuerst veröffentlicht in http://www.jungewelt.de am 04.07.2012

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