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Kriegskurs und Aufrüstung - Falsche Weichenstellungen auf dem NATO-Gipfel22.05.2012

www.friedensratschlag.de

Zur Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in Chicago erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedenratschlag Lühr Henken und Peter Strutynski, in einer ersten Stellungnahme:

Die von den 28 Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsländer unterzeichnete Gipfelerklärung hält den größten Militärpakt in der Geschichte der Menschheit weiter auf Kurs; und der ist auf Bedrohung, Krieg und Aufrüstung gerichtet.

Afghanistan:

Die getroffenen Vereinbarungen bezüglich Afghanistan (hierzu wurde am Montag zusätzlich eine eigene Deklaration verabschiedet: Chicago Summit Deklaration on Afghanistan) lesen sich einerseits wie eine Erfolgsgeschichte des zehneinhalbjährigen Krieges, andererseits stellen sie bereits die Weichen für ein Verbleiben der NATO auch nach dem vorgesehenen Abzug Ende 2014. In Ziffer 6 der Gipfelerklärung wird bereits von einer "neuen Post-2014-Mission" gesprochen, die zwar eine andere Gestalt annehmen soll, aber die afghanischen Sicherheitskräfte (Militär und Polizei) einschließlich deren Spezialeinheiten weiterhin "trainieren, beraten und unterstützen" soll. Der ausdrückliche Hinweis darauf, dass dies keine "Kampfmission" sein würde, dient lediglich der Beruhigung der Öffentlichkeit, die den Afghanistankrieg lieber heute als morgen beendet sehen will. Wir fragen: Wie kann die NATO in den verbleibenden zweieinhalb Jahren stabile demokratische und menschenrechtsfreundlicheVerhältnisse in Afghanistan schaffen, wenn dies in zehneinhalb Jahren nicht ansatzweise gelungen ist?

Der französische Präsident Hollande hat mit seiner Abzugsankündigung bis Ende dieses Jahres die Zeichen und die Haltung der Bevölkerung besser erkannt als all jenes Obamas und Merkels, die trotzig davon reden, dass man auch "zusammen raus gehen" müsse, wenn man "zusammen rein gegangen" sei.

Wir sagen: Die Verlängerung eines falschen Krieges aus purer Prinzipienreiterei kann dessen Fehler nicht korrigieren, Er setzt zudem leichtfertig das Leben von Menschen, Zivilpersonen und Soldaten aufs Spiel.


Libyen:

Das Bekenntnis zum NATO-Krieg gegen Libyen im vergangenen Jahr ist so abgeschmackt wie der Krieg selbst. Was hier als großer militärischer Erfolg gepriesen wird (Ziff. 14), war ein fast achtmonatiger Luftkrieg zur Unterstützung einer am Boden operierenden "Rebellenarmee". Kein einziger NATO-Soldat erlitt eine Blessur -- aber ca. 50.000 Libyer -- zumeist Zivilisten - sind in dem Krieg ums Leben gekommen.

Wir sagen: Wenn so der "Schutz der Zivilbevölkerung" aussieht (Ziffer 13), dann sollte man für alle Zeiten auf solchen Schutz verzichten.


"Smart Defense" ("Intelligente Verteidigung")

Hinter dem irreführenden Begriff "Smart Defence" (Ziff. 20) verbirgt sich das Bestreben der NATO-Mitglieder, durch Zusammenlegung von Kapazitäten ("Pooling") oder von Aufgabenspezialisierung ("Sharing") angesichts von Sparzwängen ihre Kampfkraft zu erweitern. Über die integrierten Besatzungen der AWACS-Flugzeuge und den strategischen Lufttransport hinaus strebt die NATO zunächst eine Allianz-eigene Bodenüberwachung mit Großdrohnen (Air-Grund-Surveillance, AGS) und eine Seeraumfernaufklärung an. Für die AGS will die Bundesregierung ein Drittel der Kapazitäten stellen. Das Vorhaben birgt NATO-internen Konfliktstoff. Die NATO hat das Interesse, permanenten Zugriff auf diese Ressourcen zu haben, unabhängig davon, ob der Bundestag, dem Militäreinsatz zustimmt.

Wir sagen: Das ist ein Unding. Selbstverständlich darf dem Bundestag nicht das Recht genommen werden, einem Kriegseinsatz das Mandat zu verweigern. Bestrebungen innerhalb der Regierungsfraktionen, diesen NATO-Anliegen mittels eines veränderten Parlamentsbeteiligungsgesetzes grünes Licht zu geben, setzen wir unseren Widerstand entgegen.


Atomwaffen in Europa

Die Gipfelerklärung unterstreicht, dass die NATO eine Atommacht bleibt (Ziff. 54) und mit Russland vertrauensbildende Maßnahmen unter anderem über substrategische Atomwaffen in Europa anstrebt. (Ziff. 38) Vergeblich sucht man in dem Dokument jedoch danach, dass die USA auf die Modernisierung der etwa 200 in Europa stationierten Atomwaffen -- unter anderem in Büchel -- verzichtet. Angeblich benötigt man diese als Faustpfand dafür, analog dem NATO-Doppelbeschluss von 1979 ("Doppelte Nulllösung") Russland zur Abrüstung ihrer möglicherweise 2.000 taktischen Nuklearwaffen zu bewegen. Am Ende dieses Abrüstungsprozesses stünde zwar ein atomwaffenfreies Europa, aber eine konventionell haushoch überlegene NATO. Nach Abrüstungsinitiativen der NATO, die bei sich selbst anfangen, sucht man ebenfalls vergeblich.

Wir sagen: die atomare Abrüstung schließt konventionelle Rüstungskontrolle und Abrüstung ein. Wir fordern die NATO auf, konventionell abzurüsten und die US-Atomwaffen aus Europa abzuziehen.


Raketenabwehr

Unbeirrbar setzt die NATO ihre Bemühungen fort, ein Raketenabwehrsystem zu installieren, das "Bevölkerung, Territorium und Streitkräfte im südlichen Europa" gegen ballistische Raketenangriffe schützen soll (Ziff. 58-61). Einwände aus Russland, dieses System sei potentiell auch gegen Russland gerichtet und werde das strategische Gleichgewicht in Europa zerstören, lassen sich kaum widerlegen. Hinzu kommt die grundsätzliche technische Unzulänglichkeit jeder noch so "perfekten" Raketenabwehr. Im November l.J. hat die Militärwissenschaftskommission des Pentagon (DSB) eine Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, dass entschlossene Gegner die geplanten Abwehrsysteme sehr leicht mit einfachsten Mitteln überwinden könnten. Außerdem würde das Raketenabwehrsystem den Gegnern und Konkurrenten der USA Anreize bieten, ihr eigenes Raketenarsenal zu vergrößern, ohne dabei jedoch eine effektive Möglichkeit zu bieten, diesen vergrößerten Arsenalen erfolgversprechend zu begegnen. Mit anderen Worten: Hier wird das Tor zu einer weiteren Aufrüstungsspirale geöffnet.

Wir sagen: Wer glaubt, sich mit fragwürdigen technischen Mitteln "unverwundbar" machen zu können, unterschätzt die möglichen technischen Gegenmaßnahmen. Sicherheit ist eben nicht militärisch und nicht gegen, sondern nur mit vermeintlichen Gegnern zu erreichen.

Fazit: Der NATO-Gipfel in Chicago hat nichts Neues hervorgebracht. Genau das aber ist das Beunruhigende: Angetrieben durch die größte Militärmacht bewegt sich die Welt weiter in Richtung Hochrüstung und Relegitimierung des Militärischen. Auf der Strecke bleiben das Völkerrecht und die Interessen der Menschheit auf eine friedliche Zukunft. Die Menschheit steht vor der Aufgabe, die NATO abzuschaffen, bevor die NATO die Menschheit abschafft.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Berlin
Peter Strutynski, Kassel

Quelle: Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Mehr Informationen: http://www.ag-friedensforschung.de

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