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Homohochzeit in Kriegszeiten01.06.2011

Zivilcourage 2011-01 Titelthema: Stoppt den Waffenhandel!

Rezension von Eugen Januschke zum Buch
"Queere Bündnisse und Antikriegspolitik" von Judith Butler

Noch haben wir einen öffentlich bekennenden Schwulen als Außenminister. Und der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages Reinhold Robbe heiratete am 16. April Freo Majer, der mit seinem Verein „Frontkultur“ Theater für deutsche Soldaten in Afghanistan macht.
Die Zeiten, da man annehmen konnte, dass Schwule der Bundeswehr zumindest mit Vorbehalten gegenüber stehen, scheint vorbei. Nicht nur viele Schwule sehen Staat und Bundeswehr als Verteidiger ihrer „Minderheitenrechte“. Judith Butler ordnet dies ein in „... Versuche, Schwule für den Aufbau nationalistischer und fremdenfeindlicher Kulturen zu rekrutieren ...“, so in ihrem nun publizierten Vortrag „Queere Bündnisse und Antikriegspolitik.“

Gehalten wurde dieser Vortrag in der Berliner Volksbühne am Vorabend des Christopher-Street-Day (CSD) letzten Jahres. Butler sollte auf der Abschlusskundgebung des CSD dessen Zivilcouragepreis verliehen werden. Dort verweigerte sie öffentlich die Entgegennahme und begründete dies mit rassistischen Tendenzen innerhalb einiger Organisationen, die den CSD in Berlin veranstalten. Da es personelle Überschneidungen zwischen dem Veranstalter des Abends mit den Organisatoren des CSD gibt, konnte offensichtlich nicht der Versuchung widerstanden werden, den Beitrag im Buch noch um „Annotationen“ zu ergänzen, die sich um diesen Rassismusvorwurf drehen. Dabei ist das Anliegen des Textes von Butler durchaus weitergehend, indem sie Grundlagen für eine queere Antikriegspolitik aufzuzeigen sucht.

Hierzu entwickelt Butler zunächst ihre Forderung nach „radikaler Demokratie“ aus dem sich im CSD artikulierenden Wunsch, öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen. Dieses „Recht“ auf die Beanspruchung von öffentlichen Raum hilft Butler zu begreifen, warum der sich darin ausdrückende Kampf mit dem Kampf aller entrechteten Minderheiten verknüpft ist. War diese Bündnisforderung „früher“ in emanzipatorischen Bewegungen mal selbstverständlich (ob sie dann tatsächlich erfüllt wurde, ist eine andere Frage), so hat diese Selbstverständlichkeit heute verschiedene Risse: Viele Schwule sind nicht nur gut integriert, sondern fühlen sich Staat und Militär auch in deren rassistischem Handeln verpflichtet. Anderseits behindern rassistische Einstellungen bei schwulenpolitisch Aktiven Bündnisse mit anderen Minderheiten.

Butler beklagt nicht lediglich diesen Rassismus, sondern sie sucht - indem sie quasi einen Schritt zurück tritt - nach einer Grundlage queerer Antikriegspolitik. Diese sieht sie in der Auseinandersetzung mit der „normativen Rahmung“ des menschlichen Körpers durch Staat und Gesellschaft: „Dieser normative Rahmen legt von vornherein fest, welches Leben lebenswert, schützenswert und betrauernswert ist. Diese Auffassungen vom Leben durchziehen und rechtfertigen die heutigen Kriege. Leben wird danach unterschieden, ob es einen bestimmten Staat repräsentiert oder ob es eine Bedrohung für die liberale staatliche Demokratie darstellt, so dass reinen Gewissens ein Krieg im Namen eines bestimmten Lebens geführt werden oder die Zerstörung eines anderen reinen Gewissens gerechtfertigt werden kann.“

Deshalb kann Butler ihre Vorstellung von radikaler Demokratie - sich dem Fremden, fremden Ansprüchen, mögen sie auch irritieren, zu stellen - als Antikriegspolitik verstehen. Ob sie damit die Gay Community in ihrer Breite erreicht, kann man in Anbetracht von Homohochzeiten in Kriegszeiten bezweifeln. Interessant ist allerdings Butlers Text durchaus für KriegsgegnerInnen, die vom Ringen queerer Zusammenhänge um Antikriegsbündnisse jenseits von kulturellen Relativismus und Universalismus inhaltlich profitieren möchten.

Eugen Januschke ist aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.


Judith Butler: Queere Bündnisse und Antikriegspolitik.
Männerschwarm Verlag, Hamburg 2011; 42 Seiten; 6 Euro


Mehr Informationen: http://www.zc-online.de

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