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Neues Argument in Klageverfahren gegen Einberufungen zum Wehr- und Zivildienst11.09.2010

Zentralstelle KDV

In Streitverfahren um die Zulässigkeit von Einberufungen zum Wehr- und Zivildienst geht es in den jeweiligen Einzelfällen üblicherweise um Tauglichkeit, Zurückstellungsgründe etc. Jede einzelne Einberufung setzt aber auch voraus, dass für sie eine sicherheitspolitische Notwendigkeit gegeben sein muss.

Am 1. September 2010 wurde den Verteidigungsausschüssen von Bundestag und Bundesrat der „Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7.6.2010“ vorgelegt. Dieser Bericht kommt zu dem Schluss, „dass eine sicherheitspolitische Notwendigkeit für die allgemeine Wehrpflicht nicht mehr gegeben ist.“ (siehe: Zusammenfassung des Presse- und Informationsstab des Bundesministeriums der Verteidigung vom 1.9.2010).


Im Bericht selbst schreibt der Generalinspekteur der Bundeswehr unter anderem wörtlich:

„Gesellschafts- und sozialpolitische Argumente wiegen ohne Zweifel schwer. Sie können jedoch für sich allein nicht die allgemeine Wehrpflicht als gravierenden Eingriff in die Grundrechte unserer jungen Männer rechtfertigen. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat dies 1995 auf die prägnante Formel gebracht: ‚Die Wehrpflicht ist so ein tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein allgemeingültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist auch abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können. Gesellschaftspolitische, historische, finanzielle und streitkräfteinterne Argumente können dann ruhig noch als Zusätze verwendet werden. Aber sie werden im Gespräch mit dem Bürger nie die alleinige Basis für Konsens sein können. Wehrpflicht glaubwürdig zu erhalten heißt also zu erklären, weshalb wir sie trotz des Wegfalls der unmittelbaren äußeren Bedrohung immer noch benötigen.‘

Als wesentliche sicherheitspolitische Argumente für die allgemeine Wehrpflicht gelten deren Beiträge

- zum politisch gewünschten Gesamtumfang der Bundeswehr von 252.500 Soldatinnen und Soldaten in einem finanziell verantwortbaren Rahmen,
- zur personellen Regenerationsfähigkeit der Bundeswehr unter den Bedingungen eines durch die demographische Entwicklung bedingten Wettbewerbs um die „besten Köpfe“,
- zur raschen Rekonstitution der Bundeswehr über Bildung eines bereits ausgebildeten Umfangs von Reservisten.

Bei einer Neuausrichtung der Bundeswehr sind diese Argumente auf ihre Tragfähigkeit hin zu untersuchen. Ein rascher Aufwuchs von Kräften über eine Mobilmachung der Bundeswehr ist angesichts der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und erheblich verlängerter Vorwarnzeiten nicht mehr in dem Maße wie heute erforderlich. Wehrpflichtige in Form bereits ausgebildeter Reservisten werden im bisherigen Umfang daher nicht mehr benötigt. Mit den jedes Jahr ausscheidenden BS/SaZ und einer modernen, den heutigen Erfordernissen angepassten Reservistenkonzeption kann eine ausreichende Basis für die Rekonstitution bereitgestellt werden. …

Eine qualitativ bessere aber deutlich verkleinerte Bundeswehr aus BS/SaZ auch ohne Wehrpflichtige ist sicherheits- und bündnispolitisch für Deutschland grundsätzlich ausreichend. Sie trägt auch den demographischen Notwendigkeiten in besonderer Weise Rechnung.

Die Frage der Notwendigkeit einer allgemeinen Wehrpflicht haben darüber hinaus 23 von 28 NATO Staaten entschieden und die Wehrpflicht abgeschafft. Selbst Schweden, das Land, in dem König Gustav II Adolf um 1630 als erster eine selektive Wehrpflicht einführte, hat in diesem Jahr Abschied von der allgemeinen Wehrpflicht genommen.

Die Nachwuchsgewinnung ist in einer qualitativ besseren aber kleineren Bundeswehr auch ohne die allgemeine Wehrpflicht zu bewältigen. Aufgrund der deutlich kleineren Regenerationszahlen ist bei konsequenter Umsetzung der weiteren Attraktivitätsmaßnahmen auch in einem verschärften Wettbewerb mit der Wirtschaft keine Sorge angezeigt.“
(Hervorhebungen durch die Zentralstelle KDV.)



Im Ergebnis heißt das: Schon heute fehlt die Grundlage für jede einzelne Einberufung – es gibt keine sicherheitspolitische Notwendigkeit mehr dafür. Bei der Abwägung der Individualinteressen des Bürgers auf der einen Seite und Gemeinschaftsinteressen des Staates auf der anderen Seite haben sich die Gewichte deutlich verschoben. Mit der Vorlage des Berichts wurde deutlich, dass Bundeswehr und das zuständige Fachministerium inzwischen davon ausgehen, dass zur Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland keine Einberufungen zum Grundwehrdienst (und in der Folge zum Ersatzdienst) mehr nötig sind.

Den vollständigen Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr finden Sie hier.


Mehr Informationen: http://www.zentralstelle-kdv.de/z.php?ID=355

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