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Europameister Deutschland - legale Waffenexporte an kriegführende Staaten und menschenrechtsverletzende Regimes22.02.2010

Zivilcourage 01-2010

(von Jürgen Grässlin für Zivilcourage – Mitgliedermagazin der DFG-VK – 1/2010)

Der brisante Rüstungsexportskandal um den Waffenlobbyisten Schreiber ist atypisch: Rund 98 Prozent aller Waffentransfers erfolgen legal. Mit der aktuellen Veröffentlichung der Zahlen zu den deutschen Rüstungsexporten 2008 wird deutlich, wie dramatisch sich die Entwicklung verschärft hat.

Europameister Deutschland steigerte seine Waffenlieferungen auf ein erneutes Rekordniveau. Ganz legal erfolgten Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 5,78 Milliarden Euro - gut zwei Milliarden mehr als im bisherigen Rekordjahr 2007. Moralische Grenzen existieren nicht: Kriegsschiffe, Militärhubschrauber, Panzer und Gewehre bzw. deren Teile wurden an kriegsführende Nato- und Nato-assoziiierte Staaten sowie an menschenrechtsverletzende Regime geliefert.

Neue Waffensysteme wie das XM25 sollen die Kriegsführung revolutionieren und auch zukünftig den Rüstungsexportmarkt anheizen. Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen, der Koalitionsvertrag unter der neuen christlich-liberalen Bundesregierung lässt das Schlimmste befürchten. Dabei hätte Deutschland aus den Opferzahlen der Vergangenheit lernen müssen. Allein die Direktexporte und Lizenzvergaben der Gewehre und Maschinenpistolen von Heckler & Koch haben bis heute mehr als 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet, eine weitaus größere Zahl von Opfern zeitlebens verstümmelt. Mit Waffenexporten leistet Deutschland Beihilfe zum Massenmorden in aller Welt.

Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, startet die Friedensbewegung am 1. September 2010 die neue Anti-Rüstungsexportkampagne Aktion Aufschrei - Rüstungsexporte ächten, den Opfern eine Stimme geben! Interessierte sind zur Mitarbeit aufgerufen.

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Selten zuvor hat ein Rüstungsexport die Republik derart bewegt wie der Fall des Karlheinz Schreiber. Der Waffenlobbyist muss sich derzeit wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung und des Betrugs vor dem Landgericht Augsburg verantworten. Im Jahr 1991 sollen beim Verkauf von 36 „Fuchs“-Spürpanzern von Thyssen an Saudi-Arabien 200 Millionen Mark Schmiergelder geflossen sein. Auch für die EADS-Tochter Airbus vermittelte Schreiber Aufträge.

Der frühere Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls soll von Schreiber Zuwendungen in Millionenhöhe erhalten haben. In der Folge legte Altkanzler Helmut Kohl den CDU-Ehrenvorsitz nieder, die Namen der Spender will er bis heute nicht nennen. Notgedrungen offenbarte CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep die verwegene Geschichte des Geldkoffers mit einer Million Mark, die Schreiber an der deutsch-schweizerischen Grenze übergeben haben soll. Wolfgang Schäuble, damals CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzender, musste von seinem Amt zurücktreten - was die heutige Bundesregierung nicht daran gehindert hat, ihn jetzt zum Finanzminister zu befördern. Laut Schreiber seien neben der CSU und der CDU auch SPD- und FDP-Politiker in seine Geschäfte involviert gewesen sein.

Entscheidende Fragen sind bislang offen: Wie kann es sein, dass namhafte Vertreter der CDU/CSU als so genannter christlicher Partei in Korruption bei illegalen Waffentransfers verstrickt sind? Warum nennt Ex-Bundeskanzler Kohl bis heute nicht die Namen der Spender? Mit welchem Rechtsverständnis und mit welcher Zielsetzung akzeptiert die amtierende Bundeskanzlerin Merkel diese unglaubliche Vertuschungspolitik ihres Parteifreundes Kohl? Möchte sie den amtierenden Finanzminister Schäuble decken? Kann es sein, dass der höchst brisante Vorwurf der Bestechung vom Landgericht Augburg mittlerweile als verjährt eingestuft wird? Bleibt die Wahrheit bei den zu befürchtenden Deals des Gerichts und der Staatsanwaltschaft mit Schreiber auf der Strecke? Die Antworten bergen politischen Sprengstoff.

Dabei darf der Fall Schreiber nicht darüber hinwegtäuschen, dass rund 98 Prozent aller Waffentransfers legal erfolgen, d.h. mit Genehmigung der Bundesregierung bzw. des Bundesausfuhramtes Bafa. Dieser Beitrag beschäftigt sich deshalb ausschließlich mit dem Skandal legal genehmigter Rüstungsexporte in alle Welt.


Kriegsprofiteure: Die Top Ten der Rüstungsriesen

Das Erfreuliche vorneweg: Die Zahl der Kriege sinkt seit Jahren und hat sich im Jahr 2009 auf nunmehr 34 - immerhin der niedrigste Stand seit gut eineinhalb Jahrzehnten - verringert. Dies belegt eine jüngst publizierte Studie der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (http://www.akuf.de) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg. Im letzten Jahr brachen zwar zwei Kriege und ein weiterer bewaffneter Konflikt neu aus, zugleich aber endeten acht kriegerische Auseinandersetzungen.

Grund genug, die weltweiten Militärausgaben spürbar zu senken, Waffenexporte drastisch zu reduzieren und die Rüstungsindustrie schnellstmöglich auf eine sinnvolle zivile Fertigung umzustellen. Zeit also, endlich die lang ersehnte Friedensdividende einzufahren und Rüstungskonversion einzuleiten - möchte man meinen. Das Wunschbild trügt, die Realität sieht leider ganz anders aus: Militäreinsätze und Rüstungsgeschäfte boomen wie seit Jahren nicht mehr, in Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise und wachsender Terrorangst verzeichnen Rüstungskonzerne Rekordumsätze.

Ein Blick in die aktuellen Statistiken des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) vom letzten Jahr verrät, wie wenig Wunsch und Wirklichkeit zusammengehen: So stiegen die Waffenverkäufe vieler führender rüstungsproduzierender Unternehmen, allen voran der US-Rüstungsindustrie. Allein sechs waffenproduzierende US-Konzerne rangieren in den Top Ten (siehe die Info-Graphik auf der folgenden Seite).

Die weltweit höchsten Profite verzeichneten in den vergangenen Jahren US-Unternehmen. Wie in den Vorjahren führt Boeing die Profit-Statistik 2007 mit Gewinnen in Höhe von 4,1 Milliarden US-Dollar an. Auf den Plätzen zwei bis vier folgen die US-Rüstungskonzerne Lockheed Martin mit 3 Milliarden, General Dynamics mit 2 Milliarden und Northrop Grumman mit 1,8 Milliarden US-Dollar.

Die einzige ernstzunehmende Konkurrenz kommt - militärisch gesehen - aus dem eigenen Lager: Mit British Aerospace (BAE Systems), der European Aeronautics Defence and Space Company (EADS), Finmeccanica und Thales finden sich zugleich auch vier europäische Rüstungskonzerne in der Spitzengruppe. Deren Profite fielen allerdings geringer aus als die der US-Giganten. Während BAE Systems noch fast gleichauf mit Northrop Grumman abschnitt (1,8 Milliarden US-Dollar), konnten Thales aus Frankreich und Finmeccanica aus Italien (mit 1,2 Milliarden bzw. 713 Millionen US-Dollar) vergleichsweise geringere Gewinne verbuchen. Die EADS fiel 2007 mit Verlusten in Höhe von 610 Millionen US-Dollar gänzlich aus dem Rahmen, was sich u.a. mit den hohen Entwicklungskosten des neuen Militärtransporters A400M erklären lässt. Ein Blick in den EADS-Geschäftsbericht für 2008 verrät jedoch die Rückkehr in die Gewinnzone durch neuerliche Waffentransfers.

Rüstungskonzerne sind Profiteure der Kriege in aller Welt. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 lassen vor allem die für den „Krieg gegen den Terror“ benötigten Waffen mit den Kriegseinsätzen im Irak, in Afghanistan und Pakistan die Kassen der Rüstungskonzerne klingen.


Etablierter Rüstungsexport-Europameister Deutschland

Unbeschadet von der Wirtschaftskrise konnte die deutsche Rüstungsindustrie Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen vermeiden, die Werftenindustrie stärkte ihre Position durch einen Restrukturierungsprozess. In Zeiten allgemeiner Rezession liefen und laufen die Waffengeschäfte dank einer überaus großzügigen Exportförderungspolitik der Bundesregierung und personell chronisch unterbesetzter Rüstungskontrollbehörden wie geschmiert. In der Folge hat sich Deutschland von 2004 bis 2008 - nach den USA und Russland - als Europameister endgültig auf Platz 3 der Weltwaffenexporteure etabliert. Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri im letzten April mit seiner Veröffentlichung der Daten zum Waffenhandel im Jahr 2008 dokumentierte, stiegen die deutschen Rüstungsausfuhren in den letzten fünf Jahren um rund 70 Prozent, der Weltmarktanteil am Waffenhandel konnte von sieben auf zehn Prozent ausgebaut werden - allen voran durch Waffenlieferungen an kriegführende Nato-Partner wie die USA und Großbritannien.

Maßgeblich am deutschen Rüstungsexportboom beteiligt ist die European Aeronautic Defence and Space Company. Größte Stimmrechtseigner der EADS - im weltweiten Ranking des Jahres 2007 auf Platz 7 - sind der deutsche Automobil- und Rüstungsriese Daimler AG und Sogeade (Lagardère und die französische Staatsholding Sogepa) mit je 22,5 Prozent. Die spanische Staatsholding Sepi hält 5,49 Prozent des Kapitals.

Auf Platz 18 der weltgrößten Rüstungskonzerne folgt der Lenkflugkörperproduzent MBDA, dessen maßgeblicher Anteilseigner mit 37,5 Prozent die EADS ist. Unter den Top 100 rangierten 2007 (laut dem Sipri-Jahrbuch 2009) mit Rheinmetall (Platz 29), Thyssen-Krupp (39), Krauss-Maffei Wegmann (42), Diehl (58) und MTU Aero Engines (69) fünf weitere deutsche Rüstungskonzerne. Zu den „Verkaufsschlagern“ zählen Panzer vom Typ Leopard-2A4, teilweise im Ausland in Lizenz gefertigte deutsche U-Boote des Typs 214, in Kooperationen produzierte Kampfhubschrauber, Militärjets wie der „Eurofighter“, Tankflugzeuge und Drohnen, Granatwerfer und Sturmgewehre des Typs G36.


Geheimentscheidungen unter Ausschluss der Demokratie

Wie kann es sein, dass Deutschland, das nach Aussagen seiner Regierungspolitiker über die restriktivsten Rüstungsexportgesetze der Welt verfügt, zugleich zum Europameister bei Waffentransfers avanciert ist? Und wie ist es möglich, dass die deutsche Bundesregierung, die sich humanistischen und christlichen Werten verschrieben haben will, Rüstungsexporte selbst an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten legalisiert? Die Antwort liegt in der Auslegung politischer Zielvorgaben und ist damit nicht allein juristisch Ebene begründet.

Rechtsgrundlage der deutschen Rüstungsexportkontrolle bildet Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes: „Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden.“ Das Nähere regeln das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz.

Politisch besonders brisante Rüstungsexporte wie beispielsweise Waffenlieferungen in den Nahen oder Mittleren Osten werden im geheim tagenden Bundessicherheitsrat beschieden. Die Sitzungsleitung obliegt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Zu den weiteren acht stimmberechtigten Mitgliedern zählen Guido Westerwelle (FDP) als Bundesminister des Auswärtigen, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als Bundesminister der Verteidigung, Wolfgang Schäuble (CDU) als Bundesminister der Finanzen, Thomas de Maizière (CDU) als Bundesminister für Inneres, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als Bundesministerin der Justiz, Rainer Brüderle (FDP) als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Ronald Pofalla (CDU) als Chef des Bundeskanzleramts sowie der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel (FDP). Bei Bedarf können weitere Bundesminister sowie der Generalinspekteur der Bundeswehr zur Beratung hinzugezogen werden.

Hatten die Regierungen vor der 1998 durch SPD und Grüne gewonnenen Wahl im Bundessicherheitsrat einvernehmliche Entscheidungen zur Voraussetzung erhoben und ein Veto einzelner Mitglieder als Exportblocker akzeptiert, so führte die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und seinem Stellvertreter Joschka Fischer das bis heute gültige Prinzip der Mehrheitsentscheidungen ein. Was demokratisch klang, stellte seither einen Freifahrtschein für die starke, wirtschaftsorientierte Pro-Export-Fraktion dar.

Zur Beruhigung des Gewissens einer zuweilen durchaus rüstungsexportkritischen Parteibasis ließen Außenminister Fischer und Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul in der siebenjährigen Amtszeit von Rot-Grün wiederholt durchblicken, dass sie in verschiedenen Fällen gegen besonders bedenkliche Rüstungsexporte votiert hatten. Da aber keiner der Führungskräfte beider Regierungsparteien der rot-grünen Bundesregierung jemals die Koalitionsfrage stellte - weder bei Rüstungsexporten an kriegführende Staaten noch bei Waffentransfers an menschenrechtsverletzende Regimes - besaß dieses Abstimmungsverhalten allenfalls Alibifunktion. Ein Zustand, an dem sich auch nach mehrmaligem Regierungswechsel bis zum heutigen Tage nichts geändert hat.

So verbleibt einzig die recht überschaubare Embargoliste von momentan gerade mal 17 Staaten als Exporthemmnis. Länder wie Saudi-Arabien, Israel, Libyen oder Pakistan waren im Rüstungsexportbericht 2007 - der Bericht für 2008 liegt Anfang 2010 noch nicht einmal vor! - auf dieser Liste nicht zu finden.


Deutsche Waffenexporte selbst in „problematische“ Länder

In ihrem aktuellen Rüstungsexportbericht kritisiert die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) vehement die erneut dramatisch gestiegenen Waffenlieferungen aus Deutschland. Laut Analyse der beiden großen christlichen Kirchen genehmigte die Bundesregierung 2008 Einzelausfuhrgenehmigungen im Volumen von 5,78 Milliarden Euro, das sind gut zwei Milliarden mehr als im Jahr zuvor.

Bei der Präsentation des GKKE-Berichts im Dezember in Berlin kritisierte Karl Jüsten, der katholische GKKE-Vorsitzende: „Wir sind enttäuscht und unzufrieden.“ Der Koalitionsvertrag der neuen CDU/CSU/FDP-geführten Bundesregierung orientiere sich vorrangig an „außenwirtschaftlichen und industriepolitischen Gesichtspunkten“. Schlimmer noch: Er sei sogar dabei behilflich, Wettbewerbshindernisse für die deutschen Waffenproduzenten aufzuheben.

Nicht anders urteilte Bernhard Felmberg, evangelischer GKKE-Vorsitzender. Er zeigte sich insbesondere besorgt über Rüstungslieferungen selbst an instabile Entwicklungsländer. Zudem sei der Verbleib dieser Waffen oft nicht gesichert, wie „das Beispiel der auf dem afghanischen und pakistanischen Schwarzmarkt gehandelten Waffen deutscher Herkunft“ belege.

Zurecht verwies Felmberg auf frühere Lizenzvergaben allen voran im Bereich der Kleinwaffen an ehemalige Unrechtsregimes, die die Politik heute einholen würden. „Man braucht sich nur aktuelle Fotos von Kämpfern in Pakistan anzusehen und entdeckt gleich das klassische deutsche G-3-Gewehr im Einsatz“, kritisierte die GKKE. Des Weiteren erfolge vor einem US-Gericht Anklage gegen die Daimler AG und Rheinmetall, da sie das südafrikanische Apartheid-Regime in den achtziger Jahren mit Nato-Geschützsystemen beliefert hatten.

Für die GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte kritisierte deren Vorsitzender Bernhard Moltmann die fehlende Wirkung öffentlicher Kritik am U-Boot-Geschäft mit Pakistan. Dieser Waffentransfer ist verbunden mit einer staatlichen Ausfallbürgschaft, den so genannten Hermes-Bürgschaften: „Von den 36 Staaten, die weltweit über nicht-nukleare U-Boote verfügen“, monierte Moltmann, hätten „mehr als die Hälfte U-Boote deutscher Herkunft im Einsatz.“ Die Howaldtswerke Deutsche Werft GmbH in Kiel seien bis 2017 mit Rüstungsaufträgen ausgebucht. Unter anderem zeigten die Türkei, Israel, Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate, Indien und Pakistan Interesse an deutschen Militär-U-Booten. Bekanntermaßen trugen die beiden letztgenannten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt kriegerische Konflikte gegeneinander aus.

Als „problematisch“ einzustufen waren laut GKKE eine Vielzahl von Staaten, die 2008 ganz legal in den Besitz deutscher Waffen gelangten. Allen voran erhielt Singapur Waffen im Wert von 349,7 Millionen Euro, Saudi-Arabien für 170,3 Millionen und die Vereinigten Arabischen Emirate für 142,1 Millionen. Zudem lieferte Deutschland Waffen an Afghanistan, Ägypten, Angola, Brasilien, Indien, Indonesien, Israel, Kolumbien, Malaysia, Nigeria, Oman, Pakistan, Russland, Thailand, Türkei und Venezuela, obwohl deren Menschenrechtssituation gleichsam als „sehr schlecht“ eingestuft werden musste. In mehreren dieser Länder - Afghanistan, Indien, Israel, Kolumbien, Nigeria, Pakistan, Thailand, Türkei und in Venezuela - herrschten zudem interne Gewaltkonflikte.


Neuer Koalitionsvertrag: Türöffner für Waffenlieferungen in alle Welt

Bereits im Januar 2000 hatte Rot-Grün eine durchaus vielversprechende Neufassung der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ verabschiedet. Seither sollte der Menschenrechtsfrage beim Rüstungsexport besonderes Gewicht beigemessen werden. Einer der Kernsätze der Prinzipien lautete, dass „der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen“ wird.

Die im letzten Herbst neu gewählte Bundesregierung erklärte, die „Politischen Grundsätze“ nicht ändern zu wollen, schließlich kommen in ihnen auch die Interessen der Industrie zum Zuge. So ist der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in Nato-Mitglieder, EU-Mitgliedstaaten, Nato-gleichgestellte Länder „grundsätzlich nicht zu beschränken, es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist“.

Allerdings, und das wird nur allzu gern vergessen, ist der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in die so genannten „sonstigen Länder“ klaren Restriktionen unterworfen. So wird die Kriegswaffenlieferung „nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden“. Zudem scheiden Lieferungen an Länder „grundsätzlich“ aus, „die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht“.

Würde die Bundesregierung ihre eigenen - wohlgemerkt rechtlich nicht verbindlichen - Grundsätze zur Grundlage ihres Handels erheben, müsste sie Waffentransfers an die im GKKE-Bericht als „problematisch“ eingestuften Empfängerländer unterbinden. Dass sie dies nicht tut, begründet sich in ihrer industriekonformen Wirtschafts- und ihrer militärorientierten Außenpolitik.

Schlimmer noch: In Zukunft drohen alle Dämme zu brechen. Denn in ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und FDP die Zielsetzung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gestrichen. Für die kommenden vier Jahre lautet das Ziel: „Wir halten an den derzeit geltenden Rüstungsexportbestimmungen fest und setzen uns weiter für eine Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein. Wir treten für faire Wettbewerbsbedingungen in Europa ein und bekräftigen den Offset-Verhaltenskodex der Europäischen Verteidigungsagentur.“ Man hätte auch offene Grenzen für Rüstungsexporte oder Abbau aller Hemmnisse für Waffenlieferungen im Koalitionsvertrag festlegen können, das Ergebnis wäre identisch.

Profiteure dieser unverblümt zutage tretenden Rüstungsexportförderungspolitik werden die deutsche Rüstungsindustrie und ihre internationalen Kooperationspartner sein. Dabei stehen Daimler/EADS und Heckler & Koch einmal mehr im Mittelpunkt des Geschehens.


Daimler/EADS-Waffen an menschenrechtsverletzende Staaten

Bei einem Treffen von Vertretern der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und der DFG-VK im Herbst 2009 sah sich der Daimler-Finanzchef und EADS-Aufsichtsratsvorsitzende Bodo Uebber mit dem Vorwurf konfrontiert, sein Unternehmen liefere Waffen selbst an menschenrechtsverletzende Staaten. So exportiert die EADS die immense Zahl von 72 Kampfflugzeugen des Typs „Eurofighter Typhoon“ an das menschenrechtsverletzende Regime in Saudi-Arabien.

Um die eigene Exportstatistik zu schönen, wählt man seitens der Deutschen den bewährten Umgehungsweg: Der Vertrag zwischen Saudi-Arabien wurde mit der britischen Regierung vereinbart, deren Rüstungsindustrie gleichsam vom „Eurofighter“-Projekt profitiert. In Deutschland knallten die Sektkorken nicht nur in der Daimler-Zentrale. Am EJ200-Triebwerk ist MTU Aero Engines beteiligt, die Bordkanone stammt von Mauser in Oberndorf - zahlreiche weitere deutsche Unternehmen sind beteiligt.

Die EADS, die ihren Verwaltungssitz im niederländischen Leiden hat, liefert Kampf- und Transportflugzeuge, Militärhelikopter, militärische Satelliten und Drohnen an Nato- und Nato-assoziierte Staaten, verschiedene dieser Waffensysteme jedoch auch an Drittländer, beispielsweise auch an die Vereinigten Arabischen Emirate, Malaysia und Pakistan - allesamt Staaten, in denen amnesty international schwerste Menschenrechtsverletzungen verzeichnet. Mit diesem Vorwurf konfrontiert, rechtfertigte sich Bodo Uebber mit der durchaus zutreffenden Aussage: Alle EADS-Exporte erfolgen legal, also mit Genehmigung der Bundesregierung bzw. des Bundesausfuhramtes.

Was die Daimler AG bei der Fertigung von Großwaffensystemen ist, das ist die Heckler & Koch GmbH (H&K) bei den so genannten „Kleinwaffen“. In den vergangenen Jahren avancierte H&K zu Europas größtem Pistolen- und Gewehrhersteller. Die Produktionspalette reicht von Pistolen und Maschinenpistolen über Sturmgewehre und Maschinengewehre bis hin zu Granatwerfern und Sonderwaffen. In mehr als 35 Staaten - zu denen die USA, Brasilien, Großbritannien, Indonesien, Malaysia, Mexiko, die Philippinen, Singapur und Thailand zählen - schießen Bundespolizeien, Präsidentenwachen oder militärische Spezialeinheiten mit dem neuen, äußerst treffsicheren G36-Sturmgewehr. Noch immer ungeklärt ist der illegale Export von in Oberndorf produzierten G36 nach Georgien. Vieles spricht dafür, dass das G36 auf dem Weltmarkt zum Sturmgewehr Nummer 1 aufsteigen wird. (siehe dazu Jürgen Grässlin: „Waffenschmiede Heckler & Koch feiert 60. Geburtstag - unter Protest der Friedensbewegung“ in ZivilCourage, Februar/März 2009, S. 16 ff.)


Neues Waffensystem XM25: Noch mehr zivile Opfer

Die Zahl der durch H&K-Waffen Getöteten beläuft sich seit der Firmengründung 1949 auf rund zwei Millionen Menschen, berechnet auf einem erhöhten Weltmarktanteil von bis zu 12 Prozent. Durchschnittlich alle 14 Minuten stirbt ein Mensch durch eine Kugel aus dem Lauf einer H&K-Waffe - damit ist Heckler & Koch Deutschlands „tödlichstes“ Unternehmen. (vgl. Jürgen Grässlin: „Den Tod bringen Waffen aus Deutschland“, München 2003; Berechnung der Opferzahlen der H&K-Waffen siehe S. 353 ff.; Volltextversion des Buches im Internet unter http://www.juergengraesslin.com, Stichwort „Buchautor“)

Auch in Zukunft wird die neue H&K-Waffengeneration mit der Maschinenpistole MP7, den Sturmgewehren G36, HK416 sowie HK417 und dem Maschinengewehr MG4 zu den Exportschlagern zählen. Top aktuell ist eine andere Tötungsmaschine, die „unsere Art, Krieg zu führen, komplett verändern“ wird. So zitiert der Journalist Martin Himmelheber US-Oberstleutnant Chris Lehner, der das Experimental Model 25, kurz XM25, als derart revolutionär einstuft wie die Panzer im Ersten Weltkrieg. Tatsächlich vereint dieses neue Waffensystem die waffentechnischen „Vorzüge“ eines Gewehrs und eines Granatwerfers mit modernster Elektronik. Das als „Wunderwaffe“ gefeierte XM25 verfügt über ein Feuerleitgerät von L 3 Brashear. Die programmierbare Munition wurde von Alliant Techsystems (ATK) entwickelt, den Granatwerfer verantwortet die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch.

Himmelheber beschreibt in seinem investigativen Artikel Schussversuche vom August 2009 auf dem Aberdeen-Testgelände in Maryland/USA. In einem 200 Meter entfernten Gebäude wurde ein „Pappkamerad“ zerfetzt, wobei der Schütze durch ein Fenster geschossen hatte, ohne den „Feind“ zu sehen. Die XM25- Munition ist mit einem Mikrochip ausgestattet, der die Munition direkt über dem Gegner zur Explosion bringen kann. „Angenommen, eine US-Patrouille wird von einem Taliban beschossen, der sich hinter einer Mauer versteckt“, zitiert Himmelheber US-Oberstleutnant Lehner, „dann zielt der XM25-Schütze auf die Mauer. Der Laser misst 450 Meter, der Soldat gibt einen Meter dazu, weil der Talibankämpfer sich ja hinter der Mauer versteckt.“ Der eingebaute Mikrochip wird die Granate nach einem Flug von exakt 451 Metern zur Explosion bringen.

In rund vier Jahren soll das XM25 die Kriegsführung revolutionieren und „zivilisieren“ - sprich weniger Opfer unter der Zivilbevölkerung hervorrufen. Die XM25-Entwickler postulieren, das XM25 werde zivile Opfer gar vermeiden helfen. Schließlich treffe der Kombattant nicht mehr wahllos, vielmehr könne man feindliche Krieger gezielt ausschalten, die sich in einem Gebäude verschanzt oder hinter einer Mauer versteckt hielten.

Einmal mehr wird die Öffentlichkeit über die wahre Wirkung von Waffen, allen voran den Gewehren, getäuscht. Bereits heute sterben laut Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes rund 63 Prozent aller Kriegsopfer durch Gewehrkugeln. Beim XM25- Einsatz ist die Gefahr immens, dass in noch größerer Zahl als bisher unbeteiligte Zivilistinnen und Zivilisten, die gleichsam hinter Mauern und in Gebäuden und damit im Verborgenen Schutz suchen, verstümmelt, zerfetzt und getötet werden.

Offen wird das XM25 vom amerikanischen Projektpartner ATK als „Airburst Assault Weapon“ - als Angriffswaffe - eingestuft. Hier geht es nicht um Verteidigung, sondern um Angriff, Sieg und Vernichtung. In diesem Sinne passt das XM25 in die neue Strategie militärischer Präventivschläge der US-Armee. Ist das XM25-System erst einmal auf dem Markt, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis Terroristen in aller Welt über Beutewaffen in den Besitz der neuen Waffe gelangen. Die Gewaltspirale dreht sich weiter - wohlgemerkt auf waffentechnisch noch höherem Niveau.


AKTION AUFSCHREI - Rüstungsexporteure ächten, den Opfern eine Stimme geben!

Ansatzpunkte zur Gegenwehr gegen Rüstungsexporte gibt es in diesem Jahr genug: Vom Mitmachen bei den konzernbezogenen Kampagnen „Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Rüstungsexporte!“ und der Kampagne „Stoppt das G36-Gewehr von Heckler & Koch!“ bis hin zur aktiven Unterstützung politischer Aktionen wie der „Birkacher Erklärung: Waffenexporte ächten!“ der evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Mit der neuen Kampagne AKTION AUFSCHREI - Rüstungsexporte ächten, Opfer entschädigen!, die am 1. September, dem Antikriegstag, ihren Start nehmen wird, soll der Handlungsdruck auf die politisch Verantwortlichen massiv erhöht werden. Nur so kann es gelingen, die Politik zur Umkehr zu bewegen und die Rahmenbedingungen zur Rüstungskonversion, also zur Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung, zu schaffen. Hierzu bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, von Kirchen, Gewerkschaften und Vertretern politischer Parteien. Interessierte sind gerne zur aktiven Mitarbeit aufgerufen (Kontakt über j.graesslin@gmx.de).


Der Autor dieser Titelgeschichte, Jürgen Grässlin, ist Bundessprecher der DFG-VK, Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und des Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) sowie Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Er verfasste er eine Vielzahl kritischer Sachbücher über die Rüstungs-, Militär- und Wirtschaftspolitik. Im November 2009 erhielt er den „Preis für Zivilcourage“ der Solbach-Freise-Stiftung.


Steigerung der Rüstungsexporte, mangelnde Transparenz und Verfahren gegen Schreiber
Interview mit Jürgen Grässlin auf Deutschlandradio Kultur vom 19.01.2010 hier

Mehr Informationen: http://www.rib-ev.de

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