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»Soldat ist kein Beruf wie jeder andere«25.08.2009

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Aushöhlung der UN-Kinderrechte. In Deutschland melden sich jedes Jahr mehrere hundert Minderjährige freiwillig. Ein Gespräch mit Ralf Willinger


Ralf Willinger ist Experte für Kinderrechte beim Kinderhilfswerk »terre des hommes«

Die Bundeswehr benötigt zur Bedarfsdeckung nach eigenen Angaben jährlich 20 000 neue Rekruten. Um diese zu bekommen kooperiert die Armee mit Schulen, wirbt in Medien und führt ungezählte Werbeveranstaltungen durch. Was kritisieren Sie an der Werbepraxis der Bundeswehr?
Wir sehen es kritisch, daß die Bundeswehr schon bei Veranstaltungen mit zwölfjährigen Kindern an Schulen oder bei Freizeitveranstaltungen Werbung für sich macht. In der UN-Kinderrechtskonvention ist zwar keine Altersgrenze für solche Werbeaktivitäten festgelegt. Sie widersprechen aber klar dem Geist der Konvention, nach dem sich Kinder frei entwickeln sollen, im Geist der Verständigung und des Friedens. Besonders kritisch sehen wir, daß die Werbung bei der Bundeswehr beispielsweise die Begeisterung von Kindern für Technik, ihre Abenteuerlust oder den sportlichen Wettbewerb ausnutzt. So etwas funktioniert bei Kindern durchaus. Die lebensgefährliche Realität des Soldaten wird dadurch verharmlost. Natürlich nimmt die Bundeswehr in unserer Gesellschaft eine wichtige Aufgabe wahr, und Soldat sein ist ein ehrenwerter Beruf, aber dennoch kein Beruf wie jeder andere, denn man wird zum Töten von Menschen ausgebildet. Erst Erwachsene sind in der Lage zu entscheiden, ob sie einen solchen Beruf ausüben können.

Nimmt die Bundeswehr Minderjährige in ihre Reihen auf?
Ja, jährlich werden mehrere hundert 17jährige Jungen und Mädchen in die Bundeswehr aufgenommen, die sich freiwillig dafür gemeldet haben. Dies widerspricht dem Prinzip der UN-Kinderrechtskonvention, nach dem alle Menschen unter 18 Jahren Kinder sind und besonderen Schutz und besondere Rechte genießen – die Kinderrechte also. Damit ist der Dienst im Militär unvereinbar. Doch westliche Regierungen, darunter Deutschland, haben eine Ausnahmeregelung im betreffenden Zusatzprotokoll der Konvention von 2002 erwirkt, nach der staatlichen Armeen die Rekrutierung von über 16jährigen Freiwilligen unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Die allermeisten Staaten halten sich dennoch freiwillig an die Grenze von 18 Jahren. Daß Deutschland dazu nicht bereit ist, ist aus unserer Sicht und auch aus der Sicht des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes bedauerlich, denn es weicht den 18-Jahres-Standard für Kinderrechte auf.

Warum benötigt die Bundeswehr eigentlich so junge Menschen?
Die Bundeswehr fürchtet schlicht den Rückgang der Bewerberzahlen. Uns gegenüber haben Regierungsvertreter und hohe Offiziere argumentiert, daß viele junge Menschen nach dem Schulabschluß direkt einem Beruf nachgehen wollen. Das schon 17jährige in der Bundeswehr – wenn auch eingeschränkt – Dienst tun dürfen, ist für die Militärs sehr wichtig, weil sie befürchten, daß die jungen Menschen sonst andere Berufe ergreifen.

Wie kann dem Anwerben und Rekrutieren Minderjähriger durch die Bundeswehr entgegengewirkt werden?
Wir werden weiter versuchen, die Bundesregierung zu überzeugen, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre zu erhöhen, wie es fast alle Regierungen weltweit getan haben. Denn das Wohl des Kindes muß laut Kinderrechtskonvention, die Deutschland unterschrieben hat, Priorität haben vor staatlichen Überlegungen. Dafür setzt sich terre des hommes als Kinderrechtsorganisation in vielen Entwicklungsländern, aber auch in Deutschland ein – beispielsweise zur Verbesserung der Situation von Flüchtlingskindern, deren Rechte in unserem Land oft fundamental verletzt werden. Es ist wichtig, mit der Regierung über solche Probleme zu verhandeln und öffentlichen Druck gegen Bundeswehrwerbung an Schulen aufzubauen – damit läßt sich viel erreichen. Eltern, die das nicht wollen, sollten beispielsweise Briefe an Schulleitung und Bundesregierung schreiben oder das Thema in die lokalen Medien bringen.
Interview: Michael Schulze von Glaßer

Quelle: http://www.junge.welt.de

Mehr Informationen: http://www.tdh.de

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