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junge Welt: Ersatzdienst ist in Griechenland fast unmöglich12.07.2008

Lazaros Petromelidis, www.ebco-beoc.org

Totalverweigerer in Athen bereits zum 15. Mal verurteilt. Kriegsgegnern wird das Leben schwergemacht. Kaum Anerkennung von Gewissensgründen. Gespräch mit Nikolas Kominis (Sekretär im Vorstand von Amnesty International Griechenland)
Interview: Heike Schrader, Athen

Zum wiederholten Male ist Anfang Juli in Griechenland ein Totalverweigerer verurteilt worden. Warum tritt Lazaros Petromelidis seinen Ersatzdienst nicht an?

Petromelidis hat den Wehrdienst aus Gewissensgründen zu einer Zeit verweigert, als das gesetzlich noch gar nicht möglich war. Erst 1998 ist diese Möglichkeit geschaffen worden, und alle, die zuvor verweigert hatten, wurden amnestiert. Da wollte Petromelidis den Ersatzdienst antreten. Beim Militär hätte der Vater eines minderjährigen Kindes nur viereinhalb Monate dienen müssen. Sein Ersatzdienst hätte über 30 Monate gedauert. Das hat er verweigert, und so fing seine Misere an. Jedes Jahr wird er wegen Desertion erneut vor Gericht gezerrt. Mittlerweile ist er zum 15. Mal verurteilt worden: Dieses Mal zu drei Jahren Gefängnis und nur das Einlegen von Berufung in Verbindung mit einer Kaution in Höhe von 7000 Euro könnte ihn vor der Haftstrafe bewahren.

Muß Lazaros Petromelidis also hinter Gitter?

Der Staat fürchtet sich vor dem internationalen Aufschrei, den eine Inhaftierung verursachen würde. Der Fall hat schon viel Aufsehen erregt und Solidarität hervorgerufen. Deswegen steckt man ihn nicht ins Gefängnis, sondern höhere Gerichte entscheiden immer wieder auf Bewährungsstrafen. Dieses Theater wird sich noch solange hinziehen, bis er endgültig zu alt für eine Einberufung ist und seine früheren »Vergehen« verjährt sind. Seinen Zweck, potentielle Verweigerer eines Strafersatzdienstes abzuschrecken, hat die Verfolgung von Lazaros Petromelidis all die Jahre trotzdem erfüllt.

Liegt es an solcher Repression und Verfolgung, daß es in Griechenland nur sehr wenige Wehrdienstverweigerer gibt?

Die meisten wissen gar nicht, daß es die Möglichkeit zu verweigern überhaupt gibt, oder halten sie für illegal. Im Informationsbüro des Verteidigungsministeriums, hier direkt in der Innenstadt von Athen, zum Beispiel werden alle Fragen rund um den Wehrdienst gewissenhaft beantwortet. Nur zur Möglichkeit der Verweigerung bekommt man keine Auskunft, sondern wird an das Musterungsbüro verwiesen. Wenn sich aber jemand informiert, merkt er gleich, daß die zu durchlaufende Prozedur den Ersatzdienst eigentlich unmöglich macht.

Zum einen werden Verweigerer aus Gewissensgründen selten anerkannt, da die zuständige Militärkommission sie für Drückeberger hält. Abschreckend wirkt auch, daß der Ersatzdienst in Griechenland mit immer noch 23 Monaten fast doppelt so lange dauert wie der einjährige Wehrdienst. Dazu kommt die extrem geringe Entlohnung im Ersatzdienst. Sie liegt bei 220 Euro im Monat, ein Betrag, von dem unmöglich der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Vor allem, da das Gesetz vorschreibt, daß der Ersatzdienst zwingend weit weg vom Heimatort geleistet werden muß.

Wie sehen die Arbeitsbedingungen im Ersatzdienst aus?

Auch hier werden Ersatzdienstleistende benachteiligt. Im Prinzip gelten für sie die gleichen Arbeitsbedingungen wie für die übrigen Angestellten im Einsatzbereich. Aber ein Ersatzdienstleistender hat nicht die gleichen Rechte. Insbesondere ist es ihm verboten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, mit der Begründung, Wehrdienstleistende hätten auch keine Recht auf Gewerkschaftsorganisation. Damit wird unter anderem erreicht, daß Verweigerer bei den Behörden oder Krankenhäusern als Streikbrecher eingesetzt werden können.

Und wenn man das ablehnt?

Verstößt ein Ersatzdienstleistender gegen irgendwelche Arbeitsvorschriften, wird er nicht etwa disziplinarisch bestraft wie ein anderer Angestellter, sondern zur Armee geschickt. Ein einziger Ausrutscher im Ersatzdienst und das Recht auf Verweigerung ist verwirkt und man landet beim Militär.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/07-12/054.php?sstr=Lazaros%7CPetromelidis

Mehr Informationen: https://www.dfg-vk.de/thematisches/kriminalisierung_von_antimilitarismus/2008/281

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